Berlin. Auf Twitter schildern Frauen gerade, warum sie nach einer Vergewaltigung nichts unternommen haben. Das liegt auch an der Gesetzeslage.

Wenige Sätze in einem Interview lösen eine Lawine aus: Auf Twitter schildern Frauen eindrucksvoll, weshalb sie nach einer Vergewaltigung keine Anzeige erstattet haben. Unter #whyisaidnothing („Weshalb ich nichts sagte“) schreiben Frauen von Scham, Angst und mangelnden Erfolgsaussichten. Manche Tweets lesen sich, als seien sie für die Frauen eine Befreiung, aus vielen spricht Resignation. Manche sind auch nach kurzer Zeit wieder gelöscht worden. In dieser Sammlung sind einige beispielhaft ausgewählt:

Eine Erklärung, die sich auch in Tweets oft wiederfindet: Anzeigen führen in vielen Fällen nicht zu einer Verurteilung, mit allen Folgen für das Opfer. 2012 war das nur bei 8,4 Prozent der Fall, wie aus einer Analyse des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen hervorgeht. Die Wissenschaftler um Kriminologe Christian Pfeiffer waren selbst erschreckt von ihren Ergebnissen. Um Frauen nicht zusätzlich zu entmutigen, hatten sie die Studie nur teilweise veröffentlicht. So gab es starke regionale Unterschiede: In einem Bundesland führte von 25 Anzeigen nur eine zu einer Verurteilung. Wo das war, sagen die Forscher nicht, weil Frauen dort sonst erst recht glauben könnten, dass sich eine Anzeige nicht lohnt.

Maas plant Gesetzesverschärfung

Die Debatte kommt für Frauenrechtlerinnen passend, um an ein stockendes Gesetzesvorhaben zu erinnern. Im Sommer hatte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) angekündigt, das Strafrecht zu verschärfen: Strafbar soll eine Vergewaltigung auch dann sein, wenn eine Frau deutlich Nein sagt, aber sich aus Angst nicht wehrt. Familienministerin Manuela Schwesig hatte zugestimmt: „Vergewaltigung muss konsequent bestraft werden. Nein heißt Nein!“ Dann würden auch mehr Frauen Anzeige erstatten, so Schwesig. Das Gesetz lässt auf sich warten – offenbar auch aus der Sorge heraus, ein Racheinstrument zu schaffen, das auch Unschuldige trifft.

Die Initiative greift eine Forderung der Organisation Terre des Femmes nach einer Neufassung des Vergewaltigungsparagrafen 117 auf, die 30.000 Menschen unterzeichnet hatten. Auch wenn ein Frau „Nein“ sagt und weinend starr liegt, ist es keine Vergewaltigung, wenn der Mann keine Gewalt anwendet.

Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe analysierte beispielhaft 107 Fälle, in denen Sex gegen den Willen der Frau unstrittig war, die aber alle ohne Bestrafung der Männer endeten. Beispielhaft heißt es in einer Begründung: „Das Ausüben des Geschlechtsverkehrs gegen den Willen des anderen ist grob anstößig und geschmacklos, aber ohne den Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels nicht strafbar.“

US-Autorin löste aktuelle Debatte aus

Entsprechend bitter stößt es Frauen auf, wenn eine Frau viele Vergewaltigungen in Frage stellt. „Welt online“ zitierte die auch als Klimaleugnerin bekannte Feministin Camille Paglia entsprechend. So sagte sie: „Studentinnen, die unfähig sind, die lümmelhaften Vergnügungen und Gefahren von Männerpartys auf Universitäten zu meistern, werden kaum darauf vorbereitet sein, in Zukunft Führungspositionen in Politik und Wirtschaft zu erringen.“ Auslöser waren Umfragen an US-Hochschulen, wonach ein hoher Anteil von Frauen sich als Opfer von sexueller Gewalt bezeichnete. Paglia schloss daraus, wenn Frauen einen solchen Fall nicht meldeten, sei es eben oftmals doch keine Vergewaltigung, sondern nachträgliche Reue. Frauen sollten sich nicht von „überpolitisierter, opferzentrierter Rhetorik verführen“ lassen.

Twitternutzerin Marlies Hübner (@outerspace_girl) las das, ärgerte sich, und schrieb dagegen an.

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Der taz sagt Hübner: „Ich empfand es als dringend notwendig, aufzuzeigen, dass Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe, die nicht zur Anzeige gebracht werden, trotzdem existieren.“ Als sie unter dem Hashtag #whyisaidnothing aufzählte, warum sie geschwiegen hatte, folgten ihr schnell weitere Frauen mit ihren Schilderungen. Das löste auch Kommentare aus, die es ins Lächerliche zogen und die Frauen angriffen.

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2014 wurden laut Polizeilicher Kriminalstatistik 7345 Vergewaltigungen und versuchte Fälle angezeigt. Davon fielen etwa 1450 unter Straßenkriminalität, also Fälle, in denen Frauen oft von Fremden überfallen wurden. Bedeutet: In den allermeisten Fällen kennen sich Täter und Opfer, 2012 kannten Betroffene nur in 18 Prozent der Fälle den Mann nicht.

Fünf Prozent der Anzeigen von Männern

Enge Verbindungen führen auch oft dazu, dass keine Anzeige erstattet wird. Terre des Femmes schätzt die tatsächliche Zahl auf 160.000 Fälle im Jahr 2014. Das wären viele Frauen, die Tweets schreiben könnten. Und ein paar Männer: Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik waren von den Opfern 2014 rund fünf Prozent männlich.