Er war eine Säule der alten Bundesrepublik: Dieter Hildebrandt, der als Kabarettist jahrzehntelang vor allem die Konservativen verspottete, ist mit 86 Jahren an Krebs gestorben.

Am Ende musste er einiges einstecken. Altherrenhumor! Lesebrillenwitze! Und dann war da auch noch die Geschichte von der NSDAP-Mitgliedschaft, die kurz nach seinem 80. hochploppte. Daran, 1944 einen Aufnahmeantrag unterschrieben zu haben, konnte oder wollte er sich nicht erinnern, die Beweise schob er mit einem trotzig-gekränkten „Vielleicht war es meine Mutter“ beiseite. Das Unwürdige an diesem Selbstrettungsversuch schmerzte sogar ergebenste Verehrer.

Am Ende seiner Fernsehzeit wirkte Dieter Hildebrandt wie ein Dinosaurier. Altmodisch wie die Pappkulissen seiner Sendung „Scheibenwischer“. Aber als er weg war, vermisste man ihn augenblicklich. Weil man sah, dass keiner da war, der ihn ersetzen konnte, und weil zwischen politischem Kabarett und den heute so begeistert beklatschten Comedy-Clownerien eben Welten liegen.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Dieter Hildebrandt eine Säule der alten Bundesrepublik gewesen ist. Ein Aufpasser erster Güte. Hildebrandt war der feindliche Beobachter der konservativen Politik. Seine erste Zielscheibe war gleich Konrad Adenauer. Den beschoss er schon aus der „Alten Laterne“, einem Schwabinger Kellerlokal, in dem er Anfang der 50er-Jahre mit seiner Studententruppe auftrat. Danach ging es im Eiltempo nach oben. 1956 gründete Hildebrandt mit Sammy Drechsel die Münchner Lach- und Schießgesellschaft, 1957 kam man schon ins Fernsehen, und bald war es ein deutsches Ritual, sich am Silvesterabend den „Schimpf vor 12“ anzuschauen. Von da an gehörte er quasi zum Establishment.

Apropos: Die 68er haben aus ihrer Verachtung für das, was Drechsel und Hildebrandt machten, keinen Hehl gemacht. Es war ihnen zu bürgerlich, zu systemkonform. Das traf Hildebrandt, obwohl er wusste, dass er in gewisser Weise gekauft worden war. In einem Gespräch mit Günter Gaus bekannte er Jahre später: „Das war sicherlich so, dass man sich uns gehalten hat und sagte: ‚Lass sie machen, viel anrichten können sie sowieso nicht.‘ Und dass wir im Fernsehbild erscheinen durften und dürfen, ist von dieser Denkungsart ausgegangen.“

Damals, 1969, machte er gerade Wahlkampf für Willy Brandt, und wer Wahlkampf für Willy Brandt machte, konnte sich sagen, dass er politisch-moralisch auf der richtigen Seite stand. Hildebrandt war sich sogar nicht zu schade, in Münchens Freibädern die von Günter Grass redigierte Wahlzeitung „Dafür“ zu verteilen. Von dem Kabarettisten Mathias Richling stammt die Interpretation, Dieter Hildebrandt habe die Münchner Lach- und Schießgesellschaft 1972 aufgelöst, „weil er sein kabarettistisches Ziel, die SPD und Willy Brandt an die Regierung zu bringen, erreicht hatte“. Richling, früher ein Freund, inzwischen ein Feind, hat Hildebrandt bei der Gelegenheit auch noch böse nachgerufen, er selbst gehöre nicht zu denen, die ihren Rücken für eine Partei krümmten und aus dem Kabarett eine Religion machten.

Hildebrandt, am 23. Mai 1927 im schlesischen Bunzlau geboren, liebte München. Hier hatte er Literatur- und Theaterwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert, hier hatte er als Kartenabreißer in der „Kleinen Freiheit“ Werner Finck erlebt und das grandiose, absichtsvolle, verbale Ins-Schleudern-Kommen, das er sofort übernahm.

Überhaupt galt Dieter Hildebrandt bald als Fincks natürlicher Erbe, auch wenn Fincks Kabarett literarischer gewesen war als das, was Hildebrandt machte. Der sich als Wahl-Bayer besonders an Franz Josef Strauß abarbeitete. Was für Strauß eigentlich ein Kompliment war, vom Dauer-Attackierten als solches aber nicht aufgefasst wurde. Das Wort von der „politischen Giftmischerei“, das Strauß entfuhr, nachdem Hildebrandt den Bauplänen der CSU-Regierung für den Rhein-Main-Donau-Kanal 1982 eine ganze Sendung gewidmet hatte, ist in die bundesrepublikanischen Annalen eingegangen. Wie tief die Feindschaft dann saß, konnte man etwa daran ermessen, dass Dieter Hildebrandt noch Jahre später den armen Edmund Stoiber einen „Mini-Strauß für kleinere Räume“ nannte.

Die 16 Kohl-Jahre waren für Hildebrandts „Notizen aus der Provinz“ und für seinen „Scheibenwischer“ goldene Jahre. Als Gerhard Schröder an die Macht kam, war die Luft raus. Weil Hildebrandt es nicht fertigbrachte, zur SPD ähnlich gemein zu sein wie zu den Konservativen. Als man ihm 2003 den „Scheibenwischer“ wegnahm (der SFB kündigte die Einstellung des Formats an, aber wundersamerweise gab es dann ziemlich schnell eine Wiederauferstehung mit Bruno Jonas), ging Hildebrandt sofort mit seinem „Ausgebucht“-Programm auf Tournee. Erstaunlicherweise nahm er 2004 auch den Lebenswerk-Grimme-Preis an, den ihm die Fernsehleute mit schlechtem Gewissen hinterherwarfen.

Dann schrieb er seine Memoiren mit dem Titel „Ich musste immer lachen“. Machte neue Soloprogramme. Neue Bücher. Trat in Helmut Dietls „Kir Royal“-Fortsetzung „Zettl“ auf, war gut in einem schlechten Film. War auf einer Never-Ending-Tour wie Bob Dylan. Glaubte immer noch an die eigene Mission, für die er sich Anfang 2013 im Internet mit www.stoersender.tv eine neue Plattform schuf. Da war manches ganz nett – etwa, wenn er eine Gesprächsrunde mit den Worten eröffnete „Wir blenden jetzt alle zehn Minuten folgenden Satz ein: ‚Lassen Sie mich ausreden, ich habe Sie auch ausreden lassen!‘“ –, aber es war auch harmlos.

Wahrscheinlich hätte er es nicht gern gehört, aber am besten war Dieter Hildebrandt eigentlich, wenn er über Gott und die Welt nachdachte. Zum Beispiel über die Wachleute, die er beobachtete, wenn er in München S-Bahn fuhr. Weil die Knüppel hätten, „wittert man auch eine Pistole – aber die haben sie gar nicht, dazu machen sie dieses bewaffnete Gesicht“. Oder seine Gedanken über einen Mann wie Matthias Sammer. Als der FC Bayern München Sammer als neuen Sportdirektor bestellte, sagte Hildebrandt– er selbst war natürlich 1860er-Fan –, Ehrgeiz brauche dieser Verein doch nun wirklich nicht einzukaufen. „Und dieser Mann macht mir einen so verbissenen Eindruck! Er ist mir unheimlich in seiner Unerbittlichkeit.“

In solchen knappen, beiläufig geäußerten Befunden zeigten sich all seine Talente: die scharfe Beobachtungsgabe, die schnelle Reflexion, die originelle Einordnung und Formulierung.

Er gebe die Hoffnung nicht auf, etwas verändern zu können, hat Dieter Hildebrandt irgendwann gesagt. Und selbstironisch hinzugefügt: „Ich werde am Schluss noch einmal stark glühen und dann verlöschen.“

Jetzt ist es so weit. In der Nacht zu Mittwoch ist Dieter Hildebrandt, der seine Prostata-Krebserkrankung erst kurz zuvor bekannt gemacht hatte, in einem Münchner Krankenhaus im Alter von 86 Jahren gestorben.