Erinnerungen an eine persönliche Begegnung mit Dieter Hildebrandt

Hamburg. Erst am Vortag seines Todes hatte das St. Pauli Theater die Absage erreicht. Am Spielbudenplatz hätte er am 29. Januar ebenso mit seinem Soloprogramm „Ich kann doch nichts dafür“ auftreten sollen wie zuvor Ende Oktober in den Kammerspielen. Dort hatte Dieter Hildebrandt mit Werner Schneyder 2002 sogar Neil Simons Boulevard-Komödie „Sonny Boys“ neue Würze verliehen. Jahre später füllte er mit Roger Willemsen und ihrem Leseprogramm „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – Die Weltgeschichte der Lüge“ das Thalia Theater und beim komischen Musikprogramm „Vorsicht Klassik“ mit den Philharmonischen Cellisten Köln die Laeiszhalle. Viele Hamburger sahen Hildebrandt bis ins hohe Alter in stets ausverkauften Vorstellungen – der Wahlmünchner kam auch in Hamburg immer wieder gern zur Sache.

Als ich vor der Eröffnung des Kabarett-Fests 2009 in Alma Hoppes Lustspielhaus Deutschlands dienstältesten Kabarettisten traf, blitzten die Augen des damals 81-Jährigen: „Ich empfinde meine Arbeit nicht als Dienst“, sagte Hildebrandt. Das Gespräch in der Garderobe drehte sich um den Namensstreit der von ihm geprägten ARD-Sendung „Scheibenwischer“. Er hatte Mathias Richling, einem seiner Nachfolger, die Verwendung des Titels untersagt, weil es ihm missfiel, das öffentlich-rechtliche Flaggschiff (heute „Satire Gipfel“) für Comedians zu öffnen. „Ich habe nur meinen Titel zurückerbeten“, formulierte Hildebrandt.

Freundlich-interessiert blickte er durch seine Brille. Wie auf der Bühne war es auch auf dem Sofa eine assoziative, scheinbar verbindliche Plauderei, doch anders als vor großem Publikum verzichtete er auf seine beliebten Stilmittel: Stammeln, Stottern oder Zögern – das gab es jetzt nicht. Kein gezieltes Auslassen von Wörtern, keine Versprecher oder Wortverdrehungen, wie in fast 60 Jahren Kabarett erfolgreich praktiziert. Hildebrandt überlegte kurz: „Ich möchte nicht, dass mir der Spaß vorgetäuscht wird, als hätte er einen politischen Inhalt“, sagte er. „Ich möchte vorher wissen: Es ist Unterhaltung. Das andere hat mit Haltung zu tun.“

Er wollte nie immer nur ernsthaftes und belehrendes Kabarett machen. „Ich habe immer eine Lust am Kalauer gehabt. Aber ich möchte nicht, dass sich Kabarett im Fernsehen nur mit Nebenthemen beschäftigt.“ Gegen gute Comedians hatte er nichts, Hape Kerkeling oder Bastian Pastewka bezeichnete er als „großartige Künstler“. Und Richling sei im „Scheibenwischer“ immer der Lustigste von allen gewesen, „ein grandioser Parodist. Nur traue ich ihm nicht zu, eine politische Kabarettreihe zu führen“, sagte Hildebrandt. Ende 2010 sollte Richling den „Satire Gipfel“ nach knapp zwei Jahren wieder verlassen.

Hildebrandt aber schaltete beim Kabarett-Fest 2009 kurz nach unserem Garderobengespräch alsbald auf Bühnenmodus um und machte im ersten Teil seines Soloabends eine Stunde lang brillantes aktuelles Kabarett. Und das obwohl das Programm als Lesung angekündigt war. Titel: „Nie wieder achtzig“.