Das führende Mitglied der “Hells Angels“ habe laut BGH irrtümlich eine Notwehrlage angenommen und deshalb letztlich straflos gehandelt.

Karlsruhe. Mit diesem Urteil wurde nicht gerechnet: Überraschend hat der Bundesgerichtshof einen wegen der Tötung eines Polizisten zu einer Haftstrafe verurteilten Rocker aus Rheinland-Pfalz vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen. Das führende Mitglied der "Hells Angels“ habe irrtümlich eine Notwehrlage angenommen und deshalb letztlich straflos gehandelt, begründete der BGH das am Donnerstag in Karlsruhe veröffentlichte Urteil. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprach von einem "fatalen Signal“.

Der Rocker hatte einen hinter der teilverglasten Haustür seines Hauses stehenden Polizisten erschossen, weil er annahm, es handele sich um ein Mitglied des rivalisierenden Rockerclubs "Bandidos“, von dem er sich bedroht fühlte. Tatsächlich versuchten SEK-Beamte bei einer Durchsuchungsaktion am frühen Morgen, die Haustür von außen aufzubrechen. Die Razzia war Teil groß angelegter Ermittlungen im Westerwälder Rotlichtmilieu.

Das Landgericht Koblenz hatte im Februar den 44-jährigen Rocker aus Anhausen (Kreis Neuwied) wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Insgesamt erhielt er – auch wegen Nötigung und versuchter räuberischer Erpressung – eine neunjährige Freiheitsstrafe.

+++ Hells Angel erschießt Polizisten trotz Schutzweste +++

Der Mann hatte am 17. März 2010 mit einer Pistole zwei Schüsse durch die geschlossene Haustür seines Wohnhauses in dem Westerwaldort abgegeben. Eine Kugel traf einen 42 Jahre alten Polizisten und verletzte ihn tödlich. Als der Rocker die Aufbruchgeräusche gehört hatte, rief er noch "Verpisst Euch!“ und schaltete das Licht im Treppenhaus ein. Doch die SEK-Beamten reagierten darauf nicht und gaben sich nicht zu erkennen.

Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen Totschlags. Der Rocker habe zwar irrtümlich die Voraussetzungen einer Notwehrlage angenommen, er habe aber auch unter diesen Voraussetzungen nicht ohne Vorwarnung die tödliche Waffe einsetzen dürfen.

Abgabe eines Warnschusses war nicht zumutbar

Dem widersprach der 2. Strafsenat des BGH. Im Augenblick - irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr sei dem Angeklagten nicht zuzumuten gewesen, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine "Kampf-Position“ unter Umständen zu schwächen.

Nach ständiger Rechtsprechung sei "die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage im Ergebnis ebenso zu behandeln wie ein Fall tatsächlich gegebener Notwehr“. Danach müsse der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe zwar grundsätzlich stets zunächst angedroht und gegebenfalls auch ein Warnschuss abgegeben werden. Wenn Warnungen aber in der konkreten "Kampflage“ keinen Erfolg versprächen, dürfe auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden. "Dass es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten kam, war dem Angeklagten daher nicht anzulasten“, unterstrich der BGH.

Der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut betonte jedoch: "Das Urteil kann dazu führen, dass Schwerstkriminelle glauben, sie dürften durch Türen schießen, wenn die Polizei sie festnehmen will. Das ist ein ebenso fatales wie falsches Signal.“ (dapd)