Viele Briten träumen von dieser Einladung: Unser Abendblatt-Autor durfte die Gartenparty Ihrer Majestät besuchen. Ein denkwürdiger Ortstermin.

London. Sie sieht zum Verschwinden klein aus, wie sie am Nachmittag - es ist Teezeit unterm Diplomatenzelt angesagt - den Cricket-gepflegten Rasen überquert, weg vom Gros der Gäste, zu kleiner Runde mit den Botschaftern und anderen VIPs. Ihr malvenfarbenes Kostüm mit mantellanger Jacke mischt sich mit dem Rasengrün zu einem berückenden Pastell. Es hat schon andere Gartenfeste der Queen gegeben, wenn Regen den Rasen des Buckingham-Palastes durchweichte oder Gewitter die Gäste unter Hunderte von Zeltmetern trieb. Nicht diesmal, da der 40 Hektar große Garten einlädt, sich niederzulassen oder einfach staunend zu lustwandeln an diesem Sommertag.

Dreimal im Juni und Juli jedes Jahres lädt Elizabeth II., 85, verdiente Bürger in ihre Londoner Residenz, einmal zusätzlich im August in den Holyrood-Palast in Edinburgh während ihrer schottischen Ferien. Eigentlich möchte sie allen diesen Notabeln aus Verwaltung, Justiz, Kirche und Militär, auch Sozialhelfern und Vertretern anderer dienender Berufe, einen Orden verleihen, ihre liebste Tätigkeit. Aber das würde die Verdienstskalen sprengen, und so treten die alljährlichen Garden Partys in ihr Recht, wenn die Geehrten eine persönliche Einladung erhalten, vom Oberkammerherrn namens Ihrer Majestät ausgefertigt, und mit dieser Auszeichnung eintreten dürfen in eine das Leben schmückende Erinnerung.

Es sind bis zu 10 000 Personen, die jeweils zu den vier Terminen geladen werden; diesmal zählt man 7500 loyale Untertanen, die es genießen, einen Nachmittag lang mit dem Staatsoberhaupt teilen zu dürfen, auf dessen Rasen. Alles reckt die Hälse, tanzt auf den Zehenspitzen, um Elizabeth Windsor wie eine seltene Spezies zu erblicken, oder auch den Prinzgemahl, das 90 Jahre alte Raubein.

Bewehrt mit Pass und einer Rechnung, die meine Londoner Adresse verzeichnet - England sträubt sich gegen Personalausweise -, habe ich an der Hyde Park Corner, der westlichsten Spitze, den Park Ihrer Majestät betreten, vorbei an kanadischem Ahorn, englischen Eichen, Platanen und Maulbeerbäumen in großer Variation. Es lockt die West-, die Gartenfront des Palastes, vor dem sich das Schauspiel des königlichen Bades in der Menge entfalten wird. Staudenrabatte von ausschweifender Farbe säumen den Weg, den berühmten Rosengarten merke ich mir für einen hoffentlich späteren Besuch vor, auch den sonnenüberglänzten See und seine Umgebung, wo Gäste herumwandeln, dem Surren und Rauschen des Verkehrs von jenseits der Mauern entrückt.

Da naht schon die zeltüberdachte Meile mit ihrem lockenden Büfett, wo Afternoon Tea gereicht wird - Kanapees, kleine Törtchen, fingerbreite Gurken- und Kresse-Sandwiches, dazu eine Auswahl an Tees oder Säften, zur Krönung Becher mit Erdbeereis. Es sind ja noch ein paar Minuten bis zum Auftritt der Queen, man isst und plaudert derweil, die Damen unter Hüten oder den "Fascinator" genannten Kopfdekorationen, die Herren in Zylinder und Schwalbenschwanz, wenn sie es sich schuldig zu sein glauben, oder im einfachen dunklen Straßenanzug. Fußmüde haben sich auf Plastikgartenstühlen niedergelassen oder lagern auf dem Rasen wie zum Picknick.

Pünktlich um 16 Uhr erscheinen auf der Terrasse der Gartenfront die Queen und Prinz Philip, er im Stresemann und grauem Zylinder, dazu ein Regenschirm zur eleganten Stütze. Allgemeines Klatschen. Die Nationalhymne erklingt, zwei Militärkapellen an entgegengesetzten Seiten des Areals unterbrechen ihre Musical- und Pop-Nummern. Zuvor hat die Palastwache, auch Beefeaters genannt, die Menge geteilt und zwei Schneisen geschlagen, für Königin Elizabeth und den Herzog von Edinburgh. Small Talk, Small Talk, Small Talk, die Queen wirkt weniger schlag- als schlagzeilenfertig. Der leidige Verkehr zum Beispiel kommt zur Sprache; in der Tat werden Londons Straßen zurzeit für die Olympischen Spiele 2012 und das diamantene Thronjubiläum der Queen aufgewühlt. Einmal öffnet Elizabeth sogar ihr Visier und kommentiert, wie gut sich Kate und William in ihre neue Rolle eingefunden haben. Das klingt schon fast nach königlicher Beichte - wie gelöst die Monarchin sein muss, jetzt, wo die dunklen Wolken, die so lange ihre Familie überschatteten, wie verflogen scheinen.

Ihre Augen sprühen vor Frische und Präsenz, wie ein Dementi zur leicht gebückten Figur. Philip sekundiert aufrecht mit gespielter Herausforderung. Diese Ironie von ihm! Dabei will er die Menschen doch nur entspannen, heißt es, sie aus der Verkrampfung, einer königlichen Hoheit gegenüberzustehen, lösen. "Wissen Sie, was er mich gefragt hat?", raunt mir eine Frau aufgeregt zu. ",Was hat denn Sie hierhergeführt?' Denken Sie nur! Was soll man darauf antworten? Er beliebt es, die Leute zu entwaffnen."

Um 17.30 Uhr heißt es Abschied nehmen, die Queen und der Duke begeben sich zurück in ihre Gemächer, gefolgt vom Herzog von Kent und der Gräfin Wessex, der Ehefrau des jüngsten Königssohns Edward. Ihre Gäste fühlen sich nach diesem Erlebnis der Monarchin näher denn je, auch wenn es ihnen schwerfallen dürfte, zu sagen, was sie denkt.

"Das Leben der Queen" heißt eine neue Biografie, die Thomas Kielinger im Herbst im C. H. Beck Verlag vorlegen wird, Preis 19,95 Euro.