Juristisch scheint der Fall Kachelmann mit einem Freispruch beendet. Die Aufarbeitung der Berichterstattung des Falles geht indes weiter.

Berlin. Der Fall Kachelmann hinterlässt viele Verlierer - darunter wohl auch die Medien. Die Mannheimer Richter geißeln in ihrer Urteilsbegründung einseitige Berichterstattung über den Fall und frühe Parteinahme etlicher Blätter und Journalisten. CDU-Rechtspexperte Volker Kauder fordert schon eine Einschränkung der Prozessberichterstattung zumindest in Vergewaltigungsfällen, notfalls auch per Gesetz. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte die „Beweisaufnahme in Talkshows“. Die Medien als Buhmann – doch das geht dem Deutschen Journalisten-Verband und Medienexperten zu weit.

Journalisten hätten einiges falsch gemacht, doch Verteidigung und Staatsanwaltschaft hätten ordentlich mitgemischt, meint Medienwissenschaftler Alexander Kissler. „Die Prozessparteien haben versucht, einen öffentlichen Prozess zu führen – schon vor der Verhandlung“, sagte Kissler am Mittwoch der dpa. Beide Seiten hätten auf „ungewöhnliche und unseriöse Weise versucht, Einfluss zu nehmen“.

Dass die Medien diese Informationen aus Prozess- und Vernehmungsakten ausgeschlachtet und bereitwillig verwendet hätten, sei Teil des Systems und den Verlagen oder Sendern kaum anzulasten, meint er. „Die Medien sind ja auch Akteure in einem wirtschaftlichen Verdrängungswettbewerb. Da kann man es sich nicht leisten, zurückzustehen“, sagte Kissler.

Das führte dann zur Wahrnehmung von „vorschnellen Prognosen“, dem „einseitigem Präsentieren von Fakten“ und „mit dem Anschein von Sachlichkeit verbreiteten Wertungen“, wie das Landgericht in seinem Urteil am Dienstag feststellte. Dies sei zwar gut für markante Schlagzeilen, „der Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung (...) jedoch in hohem Maße abträglich“, kritisierten die Richter.

Medienexperte Kissler sieht bei den kritisierten Medien vor allem ein handwerkliches Problem: Sie hätten häufig nicht zwischen Meinung und Bericht getrennt, sondern beides vermischt – ein Kardinalfehler. „Journalisten sollen ja durchaus Meinung beziehen, das erwartet der Medienkonsument, aber das muss klar deutlich gemacht werden“, sagte Kissler. „Im Medium der Reportage unterschwellig selbst Recht zu sprechen, ist problematisch.“ Da sei wohl einigen Journalisten die professionelle Distanz abhandengekommen. „Die Gerichtsreportage ist eine Königsdisziplin, sie lebt vom Beobachten und Beschreiben, nicht aber vom Kommentieren. Dafür gibt es Kommentar- und Meinungsspalten.“

Ähnlich sieht es Leutheusser-Schnarrenberger: „Rechtsstaatliche Verfahren drohen ausgehebelt zu werden, wenn die Beweisaufnahme vom Gerichtssaal in Talkshows verlagert wird“, sagte sie der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch). „Die Unschuldsvermutung ist in Gefahr, wenn Medien ihr Urteil fällen, lange bevor Richter gesprochen haben.“

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) spricht von Fehlern der Medien, die aufgearbeitet werden müssten. „Dazu ist der Journalismus in der Lage, ohne dass es der Drohung mit schärferen Gesetzen bedarf“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken mit Blick auf die Aussagen von Kauder. Der CDU-Politiker hatte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Mittwochausgabe) gefordert, zum Schutz der Privatsphäre möglicher Vergewaltigungsopfer die Öffentlichkeit von Prozessen öfter auszuschließen.

Konken konterte: Der Pressekodex des Deutschen Presserates ziehe hier schon eindeutige Grenzen. „Diese Selbstverpflichtung der Medien macht gesetzliche Regelungen überflüssig (...) Rechtspolitiker sollten sich erst mit der Sachlage vertraut machen, bevor sie die Pressefreiheit in Teilen zur Disposition stellen“, sagte Konken. Außerdem sei es verfassungswidrig, die Berichterstattung per Gesetz einzuschränken. (dpa)