Große Mengen radioaktiven Jods wurden im Meer vor Fukushima gemessen. Die Werte sind zweimal so hoch wie der Richtwert für Evakuierungen.

Wien/Tokio. Im Gebiet außerhalb der Evakuierungszone um den havarierten japanischen Atomkomplex Fukushima sind nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hohe Strahlendosen entdeckt worden. Sie übersteigen deutlich das Strahlungsniveau, ab dem die Behörde eine Evakuierung empfiehlt.

In dem Dorf Iitate, rund 40 Kilometer von dem Atomkraftwerk entfernt, seien bei einer Messung zwei Megabequerel Strahlung festgestellt worden, erklärte IAEA-Vertreterin Elena Buglova am Mittwoch. Damit liegt der Wert zweimal so hoch wie der Richtwert für eine Evakuierung. Gleichzeitig betonten IAEA-Funktionäre, dass die Messungen in Iitate stichprobenhaft und nur an einer Stelle erfolgt seien. Außerdem wurde nicht bekannt, wann die Messung ausgeführt wurde. Auf die Frage ob die IAEA eine Evakuierung der Bewohner Iitates empfehle, reagierte der hochrangige IAEA-Vertreter Denis Flory mit Zurückhaltung. Die IAEA habe jedoch den japanischen Behörden geraten, die „Situation eingehend zu prüfen.“

Die japanische Regierung hat ein Gebiet von 20 Kilometern rund um die beschädigten Reaktoren von Fukushima räumen lassen und in einem Radius von 30 Kilometern empfohlen, Türen und Fenster geschlossen zu halten. Die Bewohner von Iitate wurden außerdem dazu aufgerufen, kein Leitungswasser zu trinken. Grund seien erhöhte Jodwerte im Trinkwasser.

Angesichts der Atomkatastrophe will die IAEA die internationalen Sicherheitsvorkehrungen auf einer hochrangig besetzten Konferenz überprüfen. IAEA-Direktor Yukiya Amano sagte in Wien, er habe bereits Einladungen an Regierungsvertreter aus 151 Mitgliedsstaaten der IAEA verschickt. Demnach soll die Konferenz im Juni stattfinden. Es gehe darum, Lehren aus dem Desaster in Fukushima-Daiichi zu ziehen und die internationalen Vorkehrungen für solche Unfälle zu verbessern.

Große Mengen radioaktiven Jods im Meer

Unterdessen stellte die japanische Atomsicherheitsbehörde im Meer vor dem beschädigten Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi stark erhöhte Mengen des radioaktiven Jods 131 fest. Sie lägen um das 3.355-fache über den normalen Werten, teilte die Atomsicherheitsbehörde am Mittwoch mit. Das deute darauf hin, dass weiterhin kontaminiertes Wasser ins Meer fließe. Aus welchem Teil des Kraftwerks das Wasser austritt, war aber zunächst nicht klar.

Der hohe Jod-Wert sei „besorgniserregend“, stelle jedoch keine Gefahr für die Gesundheit dar, sagte Behördensprecher Hidehiko Nishiyama. „Wir werden den Grund ermitteln und unser Möglichstes tun, um einen weiteren Anstieg zu verhindern, sagte Nishiyama. Fischfang gebe es in der Region nicht, sagte er.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace rief nach eigenen Strahlungsmessungen im Umkreis des Atomkraftwerks zu einer Evakuierung der gesamten Region auf. Rund 30 Kilometer vom Meiler entfernt seinen Strahlungswerte von 100 Mikrosievert pro Stunde gemessen worden, sagte der belgische Atomexperte Jan van de Putte am Mittwoch in Tokio. Durch die Strahlenbelastung erreichten die Menschen in der Region die jährliche Höchstdosis von 1.000 Mikrosievert innerhalb von zehn Stunden. Putte kritisierte, die japanischen Behörden unternähmen angesichts dieser Strahlenwerte zu wenig für den Schutz der Bevölkerung. Die von Greenpeace gemessenen Werte stünden im Einklang mit den offiziellen Zahlen, sagte van de Putte.

Radioaktivität soll "festgeklebt" werden

Um die Ausbreitung der Radioaktivität einzudämmen, will der japanische Kraftwerksbetreiber Tepco eigenen Angaben zufolge den Boden rund um die schwer beschädigten Reaktoren mit Kunstharz besprühen. Die Methode solle am Donnerstag zunächst in einem Teilbereich getestet werden, sagte Nishiyama. Die Idee dahinter sei die, die radioaktiven Partikel am Erdboden “festzukleben„. Die Behörden überlegen den Angaben zufolge zudem, einige der Reaktoren mit Zelttuch zu überdecken. Auf diese Weise könnten sich Arbeiter möglicherweise jeweils für längere Zeiträume im Gefahrenbereich aufhalten.

Drei Arbeiter, die im havarierten Atomkraftwerk mit radioaktivem Wasser in Kontakt kamen, geht es offenbar gut. “Wir haben sie untersucht und keine Strahlung messen können„, sagte der Sprecher der Atomsicherheitsbehörde, Yoshiyuki Tada, am Mittwoch. In der vergangenen Woche waren zwei Arbeiter mit Verbrennungen in ein Krankenhaus gebracht worden, nachdem sie durch radioaktives Wasser gelaufen waren.

Angesichts der wachsenden Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen in Atomkomplex Fukushima wies die Atomsicherheitsbehörde am Mittwoch Reaktorbetreiber im ganzen Land an, die Katastrophenschutzmaßnahmen in ihren Anlagen zu überprüfen. Auf Geheiß der Behörde müssen die Reaktoren landesweit künftig über jene mobile Reservegeneratoren und Löschfahrzeuge verfügen, die in Fukushima zum Einsatz gekommen sind. Die Betreiber müssen der Atomsicherheitsbehörde innerhalb eines Monats über die Ergebnisse ihrer Untersuchungen unterrichten.

Tepco-Präsident ins Krankenhaus eingeliefert

Der Präsident des japanischen Kraftwerksbetreibers Tepco wurde unterdessen in ein Krankenhaus eingeliefert. Masataka Shimizu habe zuvor über Bluthochdruck und Schwindelgefühl geklagt, sagte ein Tepco-Sprecher. Shimizu war bereits seit einigen Tagen nicht mehr in der Öffentlichkeit erschienen. Über seinen Gesundheitszustand war daher schon spekuliert worden.

Tepco räumte zudem erstmals offiziell ein, dass mindestens vier der sechs Reaktoren im Kraftwerk Fukushima-Daiichi nach Beendigung der Krise stillgelegt werden müssten. “Nachdem wir sie mit Meerwasser überschüttet haben, glaube ich nicht, dass wir sie noch nutzen können„, sagte der Vorstandsvorsitzende Tsunehisa Katsumata, der angesichts der Krankheit von Shimizu vorübergehend die Leitung des Unternehmens übernimmt.

Die Aktien des Kraftwerksbetreibers verloren am Mittwoch erneut deutlich an Wert. Nachdem der Kurs bereits am Vortag um 19 Prozent eingebrochen war, fiel er nun um weitere 18 Prozent. Seit Beginn der Katastrophe haben die Tepco-Aktien rund 80 Prozent an Wert verloren.

Während die Behörden in der Region um Fukushima-Daiichi um die Eindämmung der Atomkatastrophe kämpften, versuchten Hunderttausende im Nordosten Japans, wieder ein geregeltes Leben aufzunehmen. Die offizielle Zahl der Toten lag am Mittwoch bei 11.257. Da noch immer mehrere tausend Menschen vermisst werden, könnte die Zahl jedoch noch auf über 18.000 steigen. Die Kosten des Erdbebens sowie des anschließenden Tsunamis am 11. März werden von der Regierung auf rund 220 Milliarden Euro angegeben.