Mit Helikoptern und Wasserwerfern kämpft Japan gegen den GAU. Mit wenig Erfolg. Ein Starkstromkabel weckt neue Hoffnung.

Hamburg/Tokio. Mit hoher Geschwindigkeit fliegen die Militärhubschrauber vom Typ Chinook CH-47 in Richtung Fukushima 1. Im Vorbeiflug werfen sie mehr als sieben Tonnen Meerwasser aus riesigen Behältern ab. Direkt über den beschädigten Reaktoren 3 und 4 des Atomkraftwerks.

Auf den Videoaufnahmen des japanischen Fernsehens ist deutlich zu sehen, wie sich die Wassermassen nach dem Abwurf wie eine weiße Wolke über dem Kraftwerk zerstreuen. Die Löschkraft verpufft. Denn die Hubschrauber können aufgrund der starken radioaktiven Strahlung nicht über dem Kraftwerk schweben und die Ladung gezielt abwerfen. 40 Minuten kann eine Besatzung in der Luft über Fukushima 1 arbeiten, bis die Strahlung zu groß wird. Nach vier Flügen bricht die umstrittene Betreiberfirma Tokyo Electric Power Co. (Tepco) die Aktion ab, um die Wirksamkeit zu überprüfen.

Für Tepco ist der gestrige Einsatz ein Erfolg im Kampf gegen den nuklearen Albtraum, der Japan nach dem Erdbeben und dem Tsunami nun seit Tagen droht. Es sei Dampf aufgestiegen - für Tepco ein Beweis dafür, dass das Wasser das Becken mit den Brennstäben getroffen habe, zitierte die Nachrichtenagentur Kyodo einen Sprecher des Unternehmens. Nicht nur Hubschrauber flogen Löschangriffe auf den Reaktor. Auch zwei Wasserwerfer der Armee waren im Einsatz. Ein Fahrzeug der Polizei kann nach Angaben des japanischen Fernsehsenders NHK nicht eingesetzt werden, weil die Radioaktivität zu hoch war.

Videos aus den Helikoptern zeigen das Ausmaß der Zerstörung an dem Kraftwerk. Verbogene Stahlträger ragen aus eingefallenen Betonwänden hervor, Geröll und Asche belegen, dass viele Gebäude schwer beschädigt wurden. Durch das Beben und die Explosionen, von denen es in den Tagen nach der Naturkatastrophe einige gegeben hat.

Das Hauptaugenmerk der Löscharbeiten lag weiter auf Reaktor 3, denn dort wurde auch das krebserregende Plutonium als atomarer Brennstoff verwendet. Arbeiter in Schutzanzügen versuchen sich ein Bild von der Lage zu machen. Ihre Schichtzeiten wurden wegen der hohen radioaktiven Strahlung verkürzt. Für die Techniker sei es gefährlich, den Reaktoren zu nahe zu kommen, warnte der Chef der US-Atombehörde. "Die drohende Strahlendosis könnte sich in kürzester Zeit als tödlich erweisen", so Gregory Jackzo.

Während Tepco Erfolge vermeldet, sehen Experten im Einsatz der Wasserwerfer vor allem die Hilflosigkeit der Japaner gespiegelt. "Die Wasserwerfer zeigen nur die Verzweiflung", sagte Wolfgang Renneberg, Ex-Chef der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, zu "Spiegel Online". Er glaube nicht, dass sich die Situation in den Reaktoren stabilisiert hat. Das Kühlbecken eines Reaktors fasst 2000 Kubikmeter.

Japans Hoffnung liegt nun anscheinend auf einem Starkstromkabel. Mithilfe der Leitung sollen die Kühlpumpen der Reaktoren wieder in Gang gesetzt und damit das Schlimmste verhindert werden. Techniker hatten schon mit den Arbeiten an dem Kabel begonnen, mussten den Einsatz aber abbrechen. Nach Angaben des Betreibers soll die Arbeit an dem Kabel heute weitergeführt werden. Doch was ist dem Energieversorger Tepco und der japanischen Atomindustrie noch zu glauben? Immer neue Vorwürfe über Vertuschung und Manipulation werden in den Tagen nach dem Unglück bekannt. So sollen bei der Planung des Katastrophenmeilers von Fukushima-Daiichi fundamentale Fehler gemacht worden sein. Das zumindest haben zwei der Konstrukteure des Kernkraftwerks eingeräumt. Trotz der Lage in einem Erdbebengebiet direkt am Meer seien weder Reaktoren noch Sicherheitssysteme auf einen Tsunami ausgelegt worden, sagten zwei frühere Toshiba-Ingenieure bei einer Pressekonferenz des Citizen's Nuclear Information Center. Viele Rückfallsysteme für den Notfall seien ungenügend dimensioniert worden.

"Die Möglichkeit eines Tsunamis wurde bei der Planung nie in Betracht gezogen", sagte der Ingenieur Shiro Oguro, der nach eigener Aussage 35 Jahre lang mit Planung, Bau und Wartung der Reaktoren betraut war. Man habe nicht berücksichtigt, dass die Welle eines Tsunamis nicht nur die reguläre Stromversorgung, sondern auch die unterhalb des Reaktors, praktisch direkt am Meer gelegenen Notstromaggregate beschädigen und außer Betrieb setzen könnte.

Es sind schwere Vorwürfe, über die Japan nun heftig diskutiert. Im Kampf gegen den Super-GAU helfen auch sie nicht weiter. Eine niedrige Konzentration von radioaktiven Teilchen bewegt sich Forschern zufolge nun auf Nordamerika zu und wird auch Europa erreichen. Eine Gefahr für Menschen bestehe nicht, sagte der Forschungsleiter am Schwedischen Institut für Verteidigungsforschung, Lars-Erik De Geer.