Noch ist unklar, was genau das Kölner Stadtarchiv bei U-Bahn-Bauarbeiten einstürzen ließ. Bis zum Sommer 2012 soll die Ursache ermittelt sein.

Köln. Längst sind die Wände des Kraters in der Kölner Südstadt durch Betonverschalungen gesichert - einstürzen kann rund um den früheren Standort des Stadtarchivs wohl nichts mehr. Doch auch zwei Jahre nach dem Archivunglück schrecken die Anwohner jedesmal auf, wenn in ihrem Viertel zur Probe die Sirenen heulen. Denn wie ein Blitz hat die Katastrophe damals die Menschen getroffen - und auch heute noch ist unklar, was genau das Stadtarchiv bei U-Bahn-Bauarbeiten in sich zusammenfallen ließ. Voraussichtlich wird es noch weitere eineinhalb Jahre dauern, bis die Ermittler Klarheit über die Einsturzursache haben.

Es geschah am Dienstag, dem 3. März 2009: Kurz vor 14.00 Uhr liefen Bauarbeiter aus der U-Bahn-Baustelle direkt vor dem Stadtarchiv auf die Straße und riefen: „Alle weg, alle raus“. Mit knapper Not konnten sich die Menschen im Archiv und draußen auf der Severinstraße in Sicherheit bringen, ehe das Gebäude um 13.58 Uhr komplett in sich zusammenstürzte. Zwei junge Bewohner eines ebenfalls einstürzenden Nachbarhauses starben bei dem Unglück.

Materiell wie ideell richtete der Einsturz des größten kommunalen Archivs nördlich der Alpen unermessliche Schäden an: Wertvolle Schriftstücke und Urkunden wurden in dem gigantischen Trümmerberg verschüttet. Restbestände liegen noch heute im mit Wasser gefüllten Krater und werden derzeit ans Tageslicht geholt. Doch nach zweijährigen Bergungs- und Sicherungsarbeiten sollen die Nachforschungen zur Unglücksursache im Sommer endlich in die entscheidende Phase treten: Erneute Bohrungen in dem Krater sollen es den Experten ermöglichen, bis August 2012 erstmals zur eigentlichen Unglücksstelle tief unter der Severinsstraße vorzudringen - dorthin, wo bei den U-Bahn-Bauarbeiten etwas furchtbar schief gelaufen sein muss.

Ein denkbares Szenario für den Einsturz lautet so: Beim U-Bahnbau vor dem Archivgebäude gab es ein Leck in einer der Schlitzwände, die 40 Meter tief in die Erde reichen und die Baugrube stabilisieren. Durch das Leck an dieser Lamelle drang Wasser in die Baugrube ein, das laufend abgepumpt werden musste. Dabei wurden auch große Mengen Sand mit abgepumpt - an der Stelle, an der das Wasser aus der U-Bahn-Baugrube in den Rhein geleitet wurde, fand man später sogar eine Sandbank. So entstand unter dem Stadtarchiv nach und nach ein Hohlraum - bis das Erdreich am 3. März 2009 das Gebäude nicht mehr tragen konnte.

„Bislang sind das alles Spekulationen“, sagt der Kölner Oberstaatsanwalt Günther Feld. „Vielleicht gibt es auch ein ganzes Bündel von Ursachen.“ In den vergangenen beiden Jahren haben die Kölner Ermittler zwar eine Vielzahl Zeugen vernommen und Büros durchsucht, unter anderem von U-Bahn-Baufirmen. Doch was wirklich unter dem Archivgebäude geschehen ist, kann erst der „Ortstermin“ an der Lamelle tief im Erdreich erweisen.

Dazu soll nach Abschluss der Archivalienbergung ab August ein rechteckiger Schacht 33 Meter tief in den Unglückskrater getrieben werden. „Wir hoffen, dass der Bau schnell voranschreitet“, sagt Feld. Denn zur Klärung der strafrechtlichen Verantwortung, aber auch für spätere Schadenersatzklagen ist die genaue Unglücksursache von zentraler Bedeutung. Den Gesamtschaden der Katastrophe beziffert die Stadt auf mindestens eine Milliarde Euro.

Während die Hintergründe des Unglücks im übernächsten Sommer geklärt sein könnten, wird die Restaurierung der Archivalien noch Jahrzehnte dauern. Denn die Bestände des Kölner Archivs, darunter allein 1800 mittelalterliche Handschriften, umfassten sage und schreibe 30 laufende Regalkilometer. Zum Vergleich: Mittlere Kommunalarchive haben drei Kilometer Aktenbestand.

Derzeit ist das aus dem Trümmern geborgene Archivgut auf bundesweit 20 Asylarchive verstreut - von Schleswig im Norden bis Freiburg im Süden. Bis alle Kölner Archivalien restauriert sind, könnte es ein halbes Jahrhundert dauern. Wollte ein Restaurator allein diese Mammutaufgabe bewältigen - er wäre 6300 Jahre damit beschäftigt.