Warum das Dschungelcamp von RTL vor allem bei Jugendlichen beliebt ist. Eine Polemik von Michael Jürgs, dem Autor des Buches “Seichtgebiete“.

Sydney. Die Blöden gewinnen in der öffentlichen Wahrnehmung immer mehr an Raum. Woher rührt die Robertoblancoisierung der Gesellschaft? Die ersten Castingshows der Geschichte fanden in Rom statt und Wettbewerbe dieser Art waren schon damals des Volkes wahrer Himmel. Das Votum des obersten Jurors allerdings bedeutete nicht wie heute nur Abgang von der Bühne oder Vertreibung aus dem Dschungel, sondern tatsächlich Abschied zu nehmen vom Leben.

Heute ist Rom in den kleinsten Hütten. Sofern diese Fernsehempfang haben. Die neue Staffel der Dschungelshow "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" läuft bestens für RTL. Gute Quoten, sensationelle Marktanteile. Es sind die Formate, die ankommen, bei denen Menschen vorgeführt werden - ganz wie im alten Rom. Erklärung: nachwachsende Zuschauer. Vor allem junge Leute gucken die Geschehnisse im australischen Camp, wie die Einschaltquoten-Vermarkter von Media Control nach den ersten Sendungen mitteilten.

Bei 14- bis 19-Jährigen hat die Show Marktanteile von rund 40 Prozent - vielleicht einfach, weil sie damit schon aufwuchsen. Oder folgen sie nur ungenierter den menschlichen Urinstinkten? Joan Kristin Bleicher, Medienwissenschaftlerin von der Universität Hamburg: "Das Format kombiniert erfolgsbewährte Unterhaltungs- und Boulevard-Elemente mit dem Appell an die niederen Instinkte und die Ekelgefühle der Fernsehzuschauer. Sie weiden sich an den Qualen der Kandidaten und haben außerdem die Möglichkeit, sich für die Nerv-Attacken durch Z-Promis interaktiv zu rächen."

Castingshows spalten zwischen wissend und unwissend

Castingshows sind sinnbildlich für eine Gesellschaft, die gespalten ist zwischen Arm und Reich, zwischen wissend und unwissend, zwischen hoffnungsfroh und hoffnungslos. In der Unterschicht - was im Übrigen nichts zu tun hat mit Genen, Religion, Kultur, Abstammung, weil die unter deutschen Sarrazinfans ebenso sumpfblüht wie unter Türken, Arabern, Muslimen, Katholiken, Atheisten, Protestanten - sind Castingshows reizvoller als demokratische Wahlen. Ich bin ein Depp, lasst mich hier rein, könnte als Motto stehen über allen Shows dieser Art. Ob es ein Container ist, in dem sich jugendliches Prekariat wohlfühlt, weil da alles aussieht und nach ein paar Tagen so riecht wie zu Hause. Egal ob alleinerziehende Mütter mit ihren verschiedenen Kindern von verschiedenen abwesenden Vätern gemeinsam mit den Scouts von RTL nach einem neuen Ernährer suchen. Egal ob ein echter Gerichtsvollzieher klingelt, klopft, kassiert, was der Sat.1-Klientel bekannt vorkommen dürfte aus ihrem häuslichen Alltag. Egal ob man auswandern, rückwandern, ausreißen oder nur mitten im Leben stehen muss: Geht nicht gibt's nicht. Bei solchen Sendeformaten geht alles. Unter die Haut. Unter die Gürtellinie. Wer mitmacht, muss nicht zu Besonderem, aber zu allem bereit sein.

+++ Eva Jacob soll zur Dschungelprüfung - Schwester Rosi ruft an +++

Gegen Lebenshilfen in Dummyformaten, präsentiert von Lehrbeauftragten ohne Ausbildung, haben die tatsächlichen Lehrer auf der untersten Sprosse der Bildungsleiter, in den Grundschulen der Nation, keine Chance. Sie können ihre Botschaften schließlich nicht singend, tanzend oder barbusig verkünden, sich als Germany's Top Model oder kommender Superstar oder Dschungelkönig verkleiden, damit ihnen die Kleinen auch lauschen, weil sie solche Anreize und Formate gewohnt sind aus den Sendern ihrer Wahl.

Nach dem Verhalten der Z-Promis richten sie ihr eigenes Verhalten. Was die supergeil finden, halten auch sie für supergeil. In einer Untersuchung, repräsentativ für sechs Millionen deutscher Schulkinder zwischen sechs und 13 Jahren, hat der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest zuletzt vor zwei Jahren festgestellt, dass "Fernsehen die wichtigste Rolle" spielt im Alltag der befragten jungen Deutschen. Diese erste große Liebe schlägt sich nieder in der Verweildauer vor dem Fernsehapparat, durchschnittlich 91 Minuten pro Tag, Lesen steht mit 23 Minuten abgeschlagen hinter der Computerbenutzung und dem Radiohören auf Platz vier, und diese frühe Liebe prägt ihr Leben. Da inzwischen quer durch alle Schichten fast die Hälfte aller Kinder ein eigenes Fernsehgerät besitzt, pflegen sie diese Bindungen meist ohne den sie dabei störenden Einfluss ihrer Eltern. Sie lassen sich lieber von ihren Lieblingen erziehen als von den lieben Eltern oder gar den ungeliebten Lehrern.

Die Kinder spielen sich deshalb in der Schule so auf, wie es ihnen im Fernsehen vorgesetzt wurde. Gier, Schadenfreude, Ruhmsucht, Gewalt sind ihre ständigen Begleiter. Was die Typen nicht können, die in der ersten Runde einer Castingshow rausfliegen, das kann ich zwar auch nicht - singen, tanzen -, aber wenn die trotzdem im Fernsehen gezeigt werden, kann ich kleiner Depp es auch mal versuchen.

Michael Jürgs ist der Autor des Buches "Seichtgebiete - warum wir hemmungslos verblöden".