Der Prozess gegen Nadja Benaissa hat die Diskussion um das Stigma HIV wieder angestoßen. Aids-Hilfe bewertet Prozess positiv.

Darmstadt. Sie wirkt irgendwie erlöst, von einer schweren Last befreit, obwohl die Augen kaum aufblicken, ihr Kopf die meiste Zeit gesenkt ist. Die No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa, 28, ist wie erwartet zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Sie hatte trotz einer HIV-Infektion ungeschützten Sex. Ein Freund, 34, hat sich angesteckt - das hat ein Gutachter im Prozess nachgewiesen. Er war ihr Freund für eine Handvoll Nächte, genau wissen es beide nicht.

"Erheblich" strafmildernd wurde Benaissas Geständnis gewertet

Das Urteil des Amtsgerichts Darmstadt bedeutet, dass Benaissa nicht ins Gefängnis muss. Sie wurde aber zu 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt, ihr Anwalt schlug vor in der Aidshilfe. Richter Dennis Wacker wertete es als "ganz erheblich" strafmildernd, dass Benaissa während des Prozesses ein Geständnis abgelegt hatte. Die Sängerin habe deutlich zu verstehen gegeben, "dass sie um ihr Fehlverhalten weiß und Verantwortung übernehmen will". Der Engel mit den schwarzen Augen ist erwachsen geworden, unfreiwillig, unter dem Druck der Öffentlichkeit. Als das Urteil fällt, scheint sie sich damit abgefunden zu haben, dass jeder ihr Geheimnis kennt, dass das Stigma HIV ihr Leben und das ihrer kleinen Tochter, 10, nicht gerade leichter machen wird. Die Kleine ist zum Glück gesund.

Wie aber wird die Zukunft der Sängerin, deren Schönheit womöglich mehr Fluch als Segen ist, aussehen? Musik, Erfolg und Fans müssen nicht der Vergangenheit angehören, wohl aber unbeschwerte Feste. Sie ist die Frau mit der HIV-Infektion. Jeder kennt ihre Geschichte. Und Benaissa wird sich ihren eigenen Ängsten vor einem Ausbruch der Krankheit stellen müssen. Diese hatte sie bisher verdrängt. Denn auch das wurde im Prozess deutlich. Der Nebenkläger, der sich angesteckt hat, wollte nach der Diagnose nur reden, wollte von der Frau, mit der er zuvor nur schnellen Sex hatte, plötzlich Hilfe. Sie hat ihn nicht einmal zurückgerufen. Sie wollte sich dem Unvermeidlichen nicht stellen, nicht nach der Drogenkarriere als Teenager, der frühen Schwangerschaft, dem finanziellen Ruin. Engel haben keine Probleme.

Der Mann aus ihrem Bett ging zum Anwalt, wohl aus tiefer Enttäuschung. Der Jurist erstattete Anzeige. Benaissa wurde medienwirksam festgenommen, öffentlich gedemütigt, vom Gericht schuldig gesprochen. Man könnte sagen: Beide sind quitt. Nur dass die Sängerin nicht wieder ins Vergessen abtauchen kann wie ihr im Prozess unbekannt gebliebener Liebhaber, der bisher nicht erkrankt ist.

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Die Sängerin hat aber eine Diskussion angestoßen: über die Verantwortung bei der Liebe oder sei es nur beim Sex. Marianne Rademacher, Frauenreferentin bei der Deutschen Aids-Hilfe (DAH), mahnt: "Wenn die Verhütung vor allem Frauen und HIV-Positiven einseitig zugeschrieben wird, setzen wir die gemeinsame Verantwortung zweier Menschen außer Kraft."

Der Prozess wird von der Deutschen Aids-Hilfe positiv gewertet

Die große Aufmerksamkeit, die das Thema HIV durch den Prozess bekommen hat, beurteilt die DAH aber positiv: "Es gab durchaus inzwischen eine differenzierte, gute Berichterstattung über HIV und Aids in Deutschland, die dazu beigetragen hat, neue Bilder über HIV zu zeichnen", sagte DAH-Sprecher Jörg Litwinschuh. Etwa, dass HIV nicht gleichbedeutend mit dem Tod sei, sondern dass HIV-Infizierte gut therapiert werden könnten. Benaissa könnte zum Gesicht aller HIV-Infizierten werden, zu deren Hoffnungsträgerin. Das wäre eine adäquate Aufgabe für einen Engel.