Erste Bilder von chilenischen Bergleuten in 700 Meter Tiefe erreichen die Helfer. Die Bohrung des Rettungsschachts kann bis Weihnachten dauern.

Copiapó. Seit fast drei Wochen kauern sie in der Dunkelheit. Bei Temperaturen bis zu 36 Grad sind die 33 chilenischen Bergleute noch immer gefangen, in einem Schutzraum in 700 Meter Tiefe. Aber es ist erst der Anfang ihres Martyriums: Sie werden noch drei bis vier Monate warten müssen, ehe sie wieder Tageslicht sehen. Womöglich müssen sie sogar Weihnachten in ihrem Gefängnis unter Tage verbringen. Oben vor der Unglücksmine am Rande der Kleinstadt Copiapó in der Atacama-Wüste, campieren seit dem 5. August, dem Tag des Unglücks, 500 Angehörige und beten für die Verschütteten.

Alle 48 Stunden gab es zwei Löffel Thunfisch

Inzwischen erhielten die gefangenen Bergleute das erste Mal durch einen Notschacht Lebensmittel, frisches Wasser und Medikamente. Über Funk berichteten sie, wie sie die vergangenen Tage überlebt haben: Alle 48 Stunden zwei Löffel Thunfisch und ein halbes Glas Milch aus den Vorräten, später tranken sie Wasser, das von den Höhlenwänden tropft. Erst am Sonntag war es gelungen, mit den Arbeitern der Gold- und Kupfermine Kontakt aufzunehmen. Das erste Lebenszeichen nach 18 Tagen. Neun Wörter waren es, in krakeliger roter Handschrift geschrieben, die trotzdem Hoffnung aufkeimen ließen: "Hier sind 33 Personen. Wir sind alle am Leben", stand auf dem Stück Papier, das die Rettungskräfte mithilfe einer Sonde aus der Tiefe bergen konnten. Kurz darauf hielt ein glücklicher chilenischer Präsident, Sebastian Piñera, das Zettelchen vor die TV-Kameras. "Alle sind noch am Leben." Eine in die Mine heruntergelassene Kamera zeigte die schwitzenden Bergleute mit nackten Oberkörpern.

Jetzt haben Hilfskräfte damit begonnen, einen Rettungsschacht von 60 Zentimeter Durchmesser zu ihnen zu bohren. Chefingenieur Andres Sougarret rechnet damit, dass dies bis Mitte Dezember dauern wird. Bis dahin werden sie auf sich gestellt sein, allein gelassen mit ihren Ängsten und Gefühlen.

"Das Größte, was die Menschen derzeit haben, ist die Hoffnung", sagt Peter Holst, der das Hamburger Team für Krisenintervention vom Deutschen Roten Kreuz leitet. Bei Ausnahmesituationen, wie dem Bergwerksunglück in Chile, spricht der Krisenexperte von einer "Gemengelage": "Es ist äußerst wichtig, dass die Hilfskräfte nicht nur die eine Seite, also die Verschütteten, sehen, sondern sich auch um die Wartenden an der Oberfläche kümmern." Denn auch die durchlitten eine Belastungssituation, bräuchten professionelle Hilfe.

+++ Chile weint vor Freude: Verschüttete Bergleute leben +++

Adolf Herbst, 67, kennt das Gefühl, lebendig begraben zu sein. Er war einer der elf Überlebenden, die im Oktober 1963 in Lengede bei Salzgitter in einer Eisenerzgrube 14 Tage in 58 Meter Tiefe gefangen waren. "Die letzten Tage waren die Schlimmsten. Man sieht die Bohrer, aber bis zur letzten Sekunde weiß man nicht, ob man wegen der Steinschläge überlebt," sagte der Rentner dem Abendblatt. Die Tage zuvor seien vor allem wegen der Dunkelheit unerträglich gewesen. "Wir rechneten alle damit, dass wir sterben würden." Man müsse den Leuten die Wahrheit sagen, sagt Herbst. "Man muss sie beschäftigen, damit niemand durchdreht."

Den Überlebenswillen der chilenischen Kumpel liest man aus den Zeilen eines Briefes heraus, der über die Sonde ans Tageslicht gelangte. Mario Gomez, 63, schreibt darin an seine Ehefrau Lilana: "Ich hoffe, ich komme bald raus. Hab Geduld und Vertrauen. Ich habe keine einzige Sekunde aufgehört, an Euch alle zu denken." Lilana Gomez sagte zu Journalisten: "Ich wusste, dass mein Ehemann stark ist!"

Über einen zweiten Schacht soll Nahrung in die Tiefe gelassen werden

Direkt nach der ersten Nachricht aus dem Untergrund hatten die Rettungskräfte begonnen, einen breiteren Kanal zu bohren, um weitere Hilfsgüter hinabzuschicken. Vor allem baten die Männer um Zahnbürsten. Präsident Piñera lobte die Verschütteten für ihre "Tapferkeit". Der chilenische Multimillionär Leonardo Farkas versprach jeder Familie der eingeschlossenen Bergleute einen Scheck über umgerechnet knapp 8000 Euro. "Wenn sie gerettet sind, schmeiße ich eine Party."

Champagnerlaune ist laut Holst noch lange nicht angesagt. "Die Menschen müssen laufend auf dem neuesten Stand der Bergungsarbeiten gehalten werden", sagt er. "Wichtig ist, dass ein oder zwei Personen die Führungsrolle übernehmen, damit die Situation unter den 33 Männern nicht eskaliert."