Beim Wiederaufbau müsse unbedingt auf mehr Erdbebensicherheit geachtet werden. Es drohten weitere Beben mit einer Stärke von bis zu 5,5.

Port-au-Prince/Los Angeles. Ein französischer Wissenschaftler hat die Regierung in Haiti vor einem möglichen weiteren Erdbeben in einer Stärke von bis zu 5,5 gewarnt. „Es wird vermutlich noch starke Nachbeben geben, niemand sollte sich in falscher Sicherheit wiegen“, sagte der Erdbebenexperte Eric Calais am Montag (Ortszeit) dem haitianischen Sender RFM. Es sei dringend nötig, die beschädigten Häuser von Experten prüfen zu lassen, sagte Calais, der zuvor mit dem haitianischen Präsidenten René Préval zusammengetroffen war. Häuser, die beim letzten Beben von der Stärke 7 nur Risse abbekommen hätten, könnten bei einem Nachbeben leicht einstürzen. „Haiti braucht dringend ein Netz von Seismographen, die Erschütterungen genau aufzeichnen“, betonte er.

Beim Neubau müsse unbedingt auf eine verbesserte Erdbebensicherheit geachtet werden. „Schulen und Krankenhäuser dürfen nicht wieder so gebaut werden wie zuvor“, sagte Calais. Zum Glück seien zahlreiche Gebäude in Port-au-Prince aber gänzlich unbeschädigt geblieben. Das zeige, dass man in Haiti sehr wohl erdbebensicher bauen könne. „Es muss nicht wahnsinnig teuer sein, sicher zu bauen. Es fängt damit an, Schlamperei am Bau zu verhindern“, sagte er.

Zunächst sei aber eine ganze Legion von Bulldozern notwendig, um die Trümmer zu beseitigen und die vom Einsturz bedrohten Häuser einzureißen. Langfristig müssten Schulkinder in Haiti nach dem Vorbild von Japan und anderen erdbebengefährdeten Gebieten schon früh lernen, wie sie sich im Fall eines Bebens zu verhalten hätten. Der Geophysiker von der Universität Purdue im US-Staat Indiana will mit seinem Team drei Wochen in Haiti bleiben, um die Folgen des Erdbebens vom 12. Januar zu untersuchen, bei dem schätzungsweise 180 000 Menschen ums Leben kamen.

Stars nehmen „We Are the World“ für Haiti neu auf

Unterdessen haben hochkarätige Stars wie Barbra Streisand, Celine Dion, Kanye West und Carlos Santana am Montag den Welthit „We Are the World“ nach 25 Jahren neu aufgenommen. Wie die „Los Angeles Times“ berichtete, machten bei der sechsstündigen Marathon-Aufnahme rund einhundert Künstler mit - vom 83 Jahre alten Tony Bennett bis zum 15-jährigen Teeniestar Justin Bieber. Unter den Musikern waren auch die beiden „Beach Boys“ Brian Wilson und Al Jardine, Grammy-Gewinner Zac Brown, Keith Urban, Pink, Jeff Bridges, Vince Vaughn, Usher, Lil Wayne, Toni Braxton, Snoop Dogg, Natalie Cole und Josh Groban.

Produzent Quincy Jones hatte zuvor angekündigt, dass der Gewinn in Hilfsmaßnahmen für das vom Erdbeben zerstörte Haiti fließen soll. 1985 hatte der von Lionel Richie und Michael Jackson geschriebene und von Jones produzierte Song mehr als 50 Millionen Dollar für einen Afrika-Hilfsfonds eingebracht.

Die Aufnahme am Montag fand in dem selben Studio in Los Angeles statt, wo vor 25 Jahren Dutzende Pop- und Rockstars vor dem Mikrofon standen, darunter Diana Ross, Billy Joel, Ray Charles, Bob Dylan, Tina Turner, Stevie Wonder und Willie Nelson.

92 tote Uno-Mitarbeiter in Haiti bestätigt

Die Zahl der bei dem Erdbeben in Haiti getöteten Mitarbeiter der Vereinten Nationen ist inzwischen auf 92 gestiegen. Sieben Uno-Beschäftigte seien noch vermisst, teilte der Chef der Uno-Mission Edmond Mulet am Montag in Port-au-Prince mit. Das Hauptquartier der Uno-Mission war bei dem Beben am 12. Januar gänzlich zerstört werden. Die Mitarbeiter nutzen vorerst die Büros des Logistikzentrums der Uno-Mission nahe dem Flughafen. Die seit 2004 in Haiti stationierte Uno-Mission Minustah hat etwa 7000 Soldaten, um das Land zu stabilisieren.

Derzeit patrouillieren sie verstärkt in den Straßen von Port-au-Prince, um Plünderungen zu verhindern. Sie sichern außerdem die Verteilung von Hilfsgütern ab. Der aus Guatemala stammende Mulet ist der Nachfolger des Tunesiers Hédi Annabi, der bei dem Erdbeben ums Leben kam.

Verdächtigen Amerikanern könnte in USA Prozess gemacht werden

Zehn Amerikaner, die nach dem Erdbeben in Haiti unter dem Verdacht der illegalen Kindervermittlung festgenommen wurden, könnten möglicherweise in den USA vor Gericht gestellt werden. Der haitianische Ministerpräsident Max Bellerive sagte der Nachrichtenagentur AP, seine Regierung sei dieser Idee gegenüber offen, da die meisten Gebäude in seinem Land, darunter alle Gerichtsgebäude, bei dem Beben beschädigt worden seien. Es sei jetzt klar, dass die Amerikaner die Kinder ohne die erforderlichen Papiere außer Landes bringen wollten. Einige der Kinder hätten noch lebende Eltern. „Und es ist auch klar, dass sie (die Amerikaner) wussten, dass das, was sie taten, falsch ist“, sagte er weiter. Die US-Botschaft wollte zunächst nicht sagen, ob Washington im Fall der festgenommenen Amerikaner zu einem Prozess in den USA bereit ist.

Die haitianische Polizei hatte in der vergangenen Woche zehn US-Bürger festgenommen, die 33 Kinder außer Landes bringen wollten. Es bestehe der Verdacht, dass die Kinder illegal an Adoptiveltern vermittelt werden sollten, erklärte der haitianische Sozialminister Yves Cristallin. Die Beschuldigten wiesen die Vorwürfe zurück und erklärten, sie wollten für die Kinder ein Waisenhaus in der an Haiti angrenzenden Dominikanischen Republik errichten. Die haitianische Regierung hat alle Adoptionen gestoppt, die nicht schon vor dem Beben am 12. Januar eingeleitet waren. Zu groß ist die Befürchtung, dass verwaiste oder von ihren Familien getrennte Kinder jetzt mehr denn je in Gefahr sind, verschleppt und verkauft zu werden. Ohne Papiere und ohne jegliche Versuche, die Familie ausfindig zu machen, könnten sie für immer von Angehörigen getrennt werden, die willens und in der Lage wären, für sie zu sorgen. Die 33 Jungen und Mädchen sind vorerst in einem SOS-Kinderdorf untergebracht. Nach Angaben des Heims haben zumindest einige von ihnen noch Eltern. Diesen sei offenbar gesagt worden, die Kinder gingen auf einen längeren Ferienaufenthalt, um aus dem Elend herauszukommen.