Türkei wird ihn nicht ausliefern. Experten befürchten, dass der Verdächtige Opfer eines “Ehrenmordes“ werden könnte. Bilder vom Fall Kardelen; Bilder zu den Verbrechen an Michelle, Jenisa und Kardelen

Paderborn/Izmir. Für die Polizei in Paderborn ist der Mord an der acht Jahre alten Kardelen aufgeklärt. Das letzte Glied der Beweiskette wurde gestern entdeckt: DNA-Spuren in der Wohnung des dringend tatverdächtigen Nachbarn Ali K. (29). Er wohnt nur knapp 30 Meter entfernt von Kardelens Familie, nach dem Mord ist er mit seiner deutschen Ehefrau (26) in die Türkei geflohen.

Jürgen Heinz, der Leiter der Mordkommission: "Durch DNA-Spuren des Mädchens ist die Wohnung als Tatort eindeutig identifiziert." Dort sei die kleine Kardelen am 12. Januar vergewaltigt und erstickt worden. Nach Erkenntnissen der deutschen Ermittler hielt sich der gesuchte Ali K. zumindest zwischenzeitlich in der Türkei auf. Er habe sich am 13. Januar, dem Tag nach der Tat, von einem Mann aus Herne abholen und - nach kurzem Zwischenstopp bei Verwandten in Soest und Herne - am Flughafen Köln-Bonn absetzen lassen. Der Fahrer habe dem Türken und seiner Frau wohl ohne Wissen um das Verbrechen einen "Freundschaftsdienst" erwiesen. Der Verdächtige habe dann mehrere Tage bei Verwandten in der westtürkischen Region Izmir verbracht, sein derzeitiger Aufenthaltsort sei aber weiter unbekannt. Die türkische Polizei vermutet ihn in seiner Heimatstadt Aydin, wo er angeblich seinen kranken Vater besuchen wollte. Sollte Ali K. gefasst werden, wird er nicht in die Bundesrepublik ausgeliefert, sondern in seinem Heimatland vor Gericht gestellt. "Das werden wir selbstverständlich respektieren", erklärte Horst Rürup, Sprecher der Staatsanwaltschaft Paderborn und sagte den türkischen Behörden dafür "sämtliche Unterstützung" zu.

Wie auch viele andere Länder liefert die Türkei eigene Staatsbürger nicht ans Ausland aus. Zum Stand der Fahndung sagte ein Sprecher des Dezernats für Schwerverbrechen in Aydin bei Izmir: "Die Nachforschungen dauern an." Fast alle türkischen Zeitungen druckten gestern das Fahndungsfoto von Ali K. ab. Der Tod von Kardelen hatte auch in der Türkei für großes Aufsehen gesorgt. Das Mädchen war am 18. Januar unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in der Heimat seiner Eltern an der türkischen Schwarzmeerküste beigesetzt worden.

In Paderborn versucht die Mordkommission derweil nachzuvollziehen, wie Kardelens Leiche an den 50 Kilometer entfernten Möhnesee im Sauerland gelangte, obgleich Ali K. weder Führerschein noch Auto besitzt. Half ihm seine Frau dabei?

Außerdem befürchten die deutschen Ermittler, dass der Mordverdächtige Opfer eines "Ehrenmordes" werden könnte. Deshalb habe die Paderborner Polizei vorsorglich ein Treffen von Angehörigen sowohl des ermordeten türkischstämmigen Mädchens als auch des türkischen Verdächtigen organisiert. Die Möglichkeit eines "Ehrenmordes" könne leider nicht ausgeschlossen werden, sagte Staatsanwalt Ralf Vetter der "Bild"-Zeitung. "Deshalb haben wir ein Gespräch zwischen den Familien des Opfers und des Täters vermittelt. Alle waren vernünftig, wollen die Tat nicht auf die Angehörigen übertragen."