Die Reihe folgenschwerer Erdbeben in Norditalien setzt sich fort. Ausbleibende Touristen sorgen nach Buchungsstornierungen für finanzielle Einbußen.

Rom. Die Beben bringen Häuser, Fabrikdächer und sogar einen Uhrenturm zum Einsturz. Jetzt droht in den immer wieder von Erdstößen geschüttelten norditalienischen Gebieten der Tourismus einzubrechen - und das zu Beginn der Sommerbadesaison an der bei Millionen beliebten Adria. Mit Macht versuchen Politik und Fremdenverkehrsindustrie, nach ersten Buchungsstornierungen aus dem Ausland die Ängste der Liebhaber von Stränden und Kulturstätten doch noch rechtzeitig zu vertreiben.

Dabei hat die anhaltende Welle der Beben schon genügend Schaden angerichtet. In Hunderten von Betrieben kann nicht – in etlichen nie mehr – gearbeitet werden, etwa 14.000 Arbeitsplätze gelten jetzt als gefährdet. Auf drei bis fünf Milliarden Euro wird der Gesamtschaden durch die beiden stärkeren Erdbeben der zweiten Mai-Hälfte geschätzt. „Wir verlieren Kunden und müssen deshalb schnell handeln, denn die Konkurrenz bedrängt uns“, zitiert „La Stampa“ besorgte Unternehmer. Beim Wiederaufbau sollen jetzt auch Strafgefangene eingesetzt werden.

+++ Kirchen und Fabriken liegen in Trümmern - 17 Tote +++

Die stark betroffene Emilia Romagna gehört zu den reichsten Regionen Italiens. Einen ausbleibenden Touristenstrom im Sommer könnte diese Gegend jedoch nur schwer verkraften. Und auch andere Adria-Regionen wie Venetien befürchten schmerzhafte Einbußen. Von Rimini über Ravenna bis nach Venedig, Jesolo und Bibione waren sie in der Vergangenheit verwöhnt. „Im Ausland wird Alarmierendes (über die Lage nach den Beben) verbreitet, wir müssen aber vermeiden, dass der Tourismus in Norditalien, ob Badeurlaub oder nicht, darunter leidet“, erläuterte der Tourismus-Verantwortliche der Emilia Romagna, Maurizio Melucci. Er antwortete damit auf das, was der Mailänder „Corriere della Sera“ eine von Medien geförderte „Erdbeben-Psychose“ nennt.

+++ Erneut starkes Nachbeben in Norditalien +++

„Kunststädte und Küsten sind intakt, einer Ankunft der Touristen steht überhaupt nichts im Wege“, stemmt sich etwa Tourismusminister Piero Gnudi im Interview mit „La Stampa“ den Katastrophenbildern entgegen. Und in Venetien weist man gern auch darauf hin, dass die Bebenorte doch 250 Kilometer entfernt liegen. „Wir appellieren an unsere ausländischen Gäste, uns auch in diesem Jahr zu besuchen“, so stellt sich Luca Zaia, Präsident von Venetien, hinter die Tourismuswirtschaft als eine der einträglichsten Branchen der nördlichen Adria-Gebiete.

Deutsche, Österreicher, Schweizer, Niederländer und Franzosen sind es vor allem, die im Sommer zu den nordostitalienischen Badestränden pilgern. Oder sie wollen Kulturbauten und Open-Air-Klassik genießen. Um diese Kundschaft in Zeiten wirtschaftlicher Rezession in Italien zu halten, zieht die Politik in Rom mit an dem Strang: Außenminister Giulio Terzi forderte die diplomatischen Stellen des Stiefelstaates im Ausland auf, für genauere Informationen über die Beben zu sorgen. Denn es ist ja nicht so, dass jetzt ganz Norditalien eingestürzt ist.

Aber nicht nur dem Tourismus, auch den geschädigten Betrieben von der Landwirtschaft bis zur exportabhängigen High-Tech-Industrie muss unter die Arme gegriffen werden. Auch Brüssel soll helfen. Nach einer Gewerkschaftsbilanz sind neben der Nahrungsmittelindustrie vor allem Keramik-Betriebe sowie Unternehmen der Felder Mechanik und Biomedizin betroffen. Der Landwirtschaftsverband Coldiretti schlägt Alarm, weil die Beben Bewässerungsanlagen außer Gefecht gesetzt haben: Zwischen Modena, Bologna, Ferrara und Mantua seien nahezu 100.000 Hektar Land ohne Wasser – Gemüse, Reis und Italiens Birnenernte somit in Gefahr.