Watutinki. Der Weltmeister ist ein Team auf der Suche nach sich. Gegen Südkorea dürfte es erneut Wechsel in der Startformation geben.

Marcus Sorg ist überzeugt davon, dass er Leon Goretzka schon gesehen hat bei dieser WM. Beim Frühstück der deutschen Nationalelf. Oder abends, wenn Spieler und Trainer vorm TV in der Teamhotel-Lobby lümmelt. Auch auf dem Trainingsplatz soll er schon gesichtet worden sein. „Leon ist da, kann ich versichern“, sagte der Assistent von Bundestrainer Joachim Löw am Montag.

Löw hat bereits 18 Spieler eingesetzt

Dass Goretzka beim Abflug aus Deutschland vergessen worden ist, auf diese Idee könnte man trotzdem kommen. Obwohl der 23-Jährige vor einem Jahr einen herausragenden Confed Cup gespielt hat und es nun in Russland noch keine voll überzeugenden Leistungen auf seiner Position im zentralen Mittelfeld gegeben hat, spielte der Bald-Münchner keine Sekunde. „Ich bin sicher, dass er noch die Möglichkeit bekommt“, sagte Sorg. Man habe einen breiten Kader, „jeder wird da benötigt.“

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Dass jeder benötigt wird, vor allem schon so früh im Turnier, darin liegt die eigentliche Wahrheit hinter dem deutschen Turnierverlauf bisher. Goretzka ist neben Niklas Süle und Matthias Ginter nur einer von drei Feldspielern in Löws Kader, die in den ersten beiden Spielen nicht zum Einsatz kamen. 18 Profis hat Löw gebracht. Das erzählt einerseits etwas über eine gewisse Fülle im Angebot. Andererseits aber zeigt es auch, dass der Weltmeister bisher ein Team auf der Suche nach sich ist.

Nach Özil und Khedira wackelt auch Müller

Nie gab es weniger eine Stammelf, wenn Löw als Bundestrainer zu einer WM fuhr. Nie war unter ihm ungewisser, wer in der nächsten Partie auflaufen darf. Und das führt soweit, dass es vor dem dritten Gruppenspiel gegen Südkorea am Mittwoch in Kasan (16 Uhr/ZDF) nicht einmal mehr völlig undenkbar ist, dass Thomas Müller raus rutscht.

Reus hofft auf Initialzündung

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    Dass Löw nach Sami Khedira und Mesut Özil gegen Schweden nun gegen Südkorea an ein weiteres deutsches Denkmal herantritt und es umsetzt in den Museumsraum, wo die anderen, gewöhnlichen Helden stehen.

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    18 Spieler hatte Löw auch bei der WM 2014 eingesetzt – aber in allen sieben Partien zusammen. Damals kamen nur Ginter, Erik Durm und Kevin Großkreutz nicht zum Einsatz. Geht man noch tiefer in die Recherche, dann fällt auf, dass Löw kein Freund davon ist, während einer WM ständig sein Team umzubauen. 2010 in Südafrika tauschte der 58-Jährige bis zum Spiel um Platz drei nur einen Spieler aus sportlichen Gründen aus. Für Holger Badstuber kam Jerome Boateng gegen Ghana. 2014 in Brasilien wechselte Löw erstmals zur dritten Partie, gleich auf zwei Positionen. In insgesamt sieben Spielen einschließlich Finale waren es sechs Wechsel, die aus sportlichen Gründen vorgenommen wurden. Vom Viertelfinale bis zum Finale hätte Löw gar nicht getauscht, hätte sich Khedira nicht direkt vor dem Endspiel abgemeldet.

    Am Ende nur noch drei Weltmeister auf dem Platz

    2018 in Russland hat man das Gefühl, Löw fahnde noch nach einem tragfähigen Gebilde. Zunächst sah es so aus, als spielten auch dieses Turnier die Denkmäler, die vor vier Jahren schon den Titel holten. Acht Weltmeister inklusive Julian Draxler begannen gegen Mexiko. Aber dann gab es eine freundliche Übernahme. Nur drei Weltmeister (Manuel Neuer, Thomas Müller und Toni Kroos) standen am Ende gegen Schweden noch auf dem Feld.

    Die Generation von Spielern, die 2014 noch nicht dabei waren und 2017 Confed-Cup-Sieger wurden, haben plötzlich mehr Gewicht bekommen. Mit Timo Werner, Joshua Kimmich, Jonas Hector, Sebastian Rudy und Antonio Rüdiger gehörte gegen Schweden die halbe Startelf dem Confed-Cup-Block an. Draxler, der die Nummer sechs war, ist ein Mischwesen – Weltmeister und Confed-Cup-Sieger.

    Thomas Müller blieb erneut blass

    Das erzählt etwas über ein Team im Wandlungsprozess, aber auch darüber, dass es für Deutschland in diesem Turnier viel weniger Gewissheiten gibt, als man das gedacht hätte. Löw, der von Spiel eins gegen Mexiko (0:1) zu Spiel zwei gegen Schweden (2:1) auf vier Positionen Änderungen vornahm – zwei aus gesundheitlichen Gründen (der genesene Hector und Rüdiger für den angeschlagenen Mats Hummels kamen) –, muss gegen Südkorea erneut umbauen. Jerome Boateng ist gesperrt. Und es sieht danach aus, dass auch Rudy nach seinem Nasenbeinbruch trotz Maske nicht wird spielen können. „Wir müssen darauf vorbereitet sein“, sagte Löw-Assistent Sorg.

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    Stammelf-Gewissheit gibt es aber auch bei Müller nicht mehr. Der 28-Jährige muss um seinen Platz zittern, nachdem er gegen Schweden erneut ohne Wirkung blieb. Zwei WM-Spiele, kein Tor, nur eine echte Torchance, das ist die Bilanz eines Mannes bisher, von dem es doch stets die Gewissheit gab, dass er trifft, wenn WM ist. Zehn Tore erzielte Müller insgesamt 2010 und 2014.

    Khedira-Rückkehr denkbar

    Es ist denkbar, dass Löw gegen Südkorea wieder Khedira bringt – vielleicht auch Özil. Sorg deutete an, dass man im Trainerteam durchaus angetan war von den Reaktionen beider auf ihre Demission. Das würde zum Verlauf bisher passen. Es hängt vom Ausgang dieses Turniers ab, als was man später die vielen Ungewissheiten beim Thema Stammelf deuten wird: Als eine Vielfalt im Kader, wenn die Sache positiv endet. Oder eben als eine erfolglose Fahndung nach der richtigen Zusammenstellung im negativen Fall. Noch ist beides möglich.