Hamburg . Alexander Zverev lieferte eine Zitterpartie beim Sieg Filip Krajinovic aus Serbien. Das Publikum in der Heimat Hamburg half mit.

Boris Becker hatte genug gesehen. 2:6, 2:5 stand es aus Sicht von Alexander Zverev in dessen Viertelfinalmatch bei den Hamburg European Open am Rothenbaum gegen den Serben Filip Krajinovic, als der „Head of Men’s Tennis“ im Deutschen Tennis Bund seinen Schattenplatz auf der Südtribüne verließ und durch den Spielertunnel verschwand. Becker musste seinen Rückflug nach London erwischen; die Buchung dürfte er im Nachhinein verflucht haben. Denn nach 2:20 Stunden Spielzeit war es der Weltranglistenfünfte, der einen 2:6, 7:5, 6:2-Sieg feiern durfte. Einen Sieg, mit dem sich der 22 Jahre alte Hamburger bei seinem Heimturnier endgültig in die Herzen aller Tennisfans zurückspielte.

„Dieser Sieg vor diesem Publikum ist etwas ganz Besonderes. In jeder anderen Stadt wäre ich wohl ausgeschieden, hier haben die Fans mich zum Sieg gepusht“, sagte Zverev, der von den 8000 Besuchern begeistert gefeiert wurde.

Frau mit Kreislaufzusammenbruch

Der Schlüsselmoment war das Break zum 5:4, kurz nachdem in einer Loge auf der sonnenbestrahlten Westtribüne eine Frau mehrere Minuten lang wegen eines Kreislaufzusammenbruchs behandelt und dann ins Krankenhaus gebracht werden musste. „Dieses Break war wichtig, sonst wäre ich nicht mehr im Turnier“, sagte der ATP-Weltmeister.

Welchen Einfluss die Nachrichten auf sein Spiel gehabt hatten, die am Freitagmorgen aus den USA im Internet kursierten, wollte Deutschlands Topspieler nicht einordnen. Ivan Lendl (59), in den vergangenen zehn Monaten Chefcoach im Team Zverev, hatte das Ende der Zusammenarbeit offiziell gemacht. „Sascha wird eines Tages ein großer Spieler sein. Aber er hat momentan außerhalb des Platzes Probleme, die nicht zu meiner Philosophie passen“, sagte er. Das war angesichts des Zerwürfnisses zwischen dem US-Amerikaner und Zverevs Vater Alexander senior (59), der den Sohn seit frühester Kindheit trainiert, zwar keine Überraschung mehr. Der Zeitpunkt jedoch verwunderte, hatte Zverev junior doch am Donnerstag noch erklärt, die Trainerfrage im August im Rahmen der US-Hartplatzsaison klären zu wollen.

„Ich war auch verwundert, dass er es während des Turniers getan hat. Wir wussten beide, worauf unser Gespräch hinauslaufen würde, denn es war klar, dass wir in unterschiedliche Richtungen gehen wollen. Wir passen zum jetzigen Zeitpunkt einfach nicht zueinander. Aber ich habe nichts als großen Respekt für ihn“, sagte Zverev nun am Freitag. Seine Vorbereitung habe Lendls Vorpreschen nicht beeinflusst. „Ich habe mich ganz normal aufs Match konzentriert, aber die ersten eineinhalb Sätze einfach nicht gut gespielt“, sagte er.

Keine Familienabnabelung

Mit Lendls Abgang, der sich nach dem Erstrundenaus in Wimbledon abgezeichnet hatte und nach Zverevs harter Kritik vor Turnierstart in Hamburg („Er fokussiert sich zu wenig auf unser Training“) unumgänglich war, scheint eine Abnabelung vom Familienumfeld endgültig passé. „Ich habe den besten Trainer, den ich mir wünschen kann“, sagte der Jungstar mit Blick auf seinen Vater, „ich bin mit meiner momentanen Situation sehr zufrieden.“

Als Halbfinalteilnehmer darf er das auch sein. 2014 hatte Zverev als 17-Jähriger zum bislang einzigen Mal in Hamburg im Semifinale gestanden. „Damals habe ich nur ein Spiel gewonnen“, erinnerte er an seine 0:6, 1:6-Klatsche gegen den Spanier David Ferrer, „das will ich in jedem Fall besser machen.“ Auch wenn das kein Kunststück wäre: Sein Konkurrent am Sonnabend (13.30 Uhr/NDR) hat ihm immerhin die Erfahrung voraus, wie sich ein Rothenbaum-Triumph anfühlt. Der Georgier Nikolos Bassilaschwili (27/Nr. 16) ist der Titelverteidiger – und wies am Freitag bei seinem 6:2, 6:3-Erfolg über den Franzosen Jeremy Chardy (32/Nr. 77) seine starke Form nach. „Ich spiele hier sehr gern, fühle mich sehr gut und freue mich auf das Duell mit Sascha“, sagte er. Den bislang einzigen Vergleich gewann Zverev im vergangenen Jahr beim Masters in Shanghai (China) auf Hartplatz.

Thiem hat verloren

Dass es nicht mehr zum Traumfinale der beiden Topgesetzten kommen kann, hat der Russe Andrej Rubljew zu verantworten. Der 21 Jahre alte Weltranglisten-78. setzte sich in einem hochklassigen Match gegen den Österreicher Dominic Thiem (25/Nr. 4) mit 7:6 (7:3) und 7:6 (7:5) durch und erreichte sein erstes Halbfinale am Rothenbaum; ein Erfolg, der Thiem auch bei seiner dritten Hamburg-Teilnahme verwehrt blieb. „Ich werde es im nächsten Jahr wieder versuchen“, sagte der zweite Publikumsliebling, der seine Startzusage für 2020 bereits vor Monaten gegeben hatte, „heute habe ich im ersten Satz mit zwei Breaks in Front Fehler gemacht, die einem Spieler wie mir nicht passieren dürfen.“

Rubljew hatte vor wenigen Wochen noch befürchten müssen, die zweite Saisonhälfte zu verpassen. „Ich hatte so heftige Schmerzen im Arm, dass ein erneuter Bruch des Handgelenks befürchtet wurde. Aber jetzt geht es mir gut, ich bin schmerzfrei“, sagte er. Vor zwei Jahren hatte Rubljew im kroatischen Umag seinen bislang einzigen ATP-Titel gewonnen und war als einer der kommenden Stars gehandelt worden. Doch nachhaltige Probleme am Rücken und am Handgelenk warfen ihn immer wieder zurück. Grund dafür sei, dass er bis zu seinem 18. Lebensjahr zu wenig an seiner Physis gearbeitet habe.

Hilfe durch Boxtraining

Erst regelmäßiges Boxtraining, angeregt durch die Kampfsportkarrieren seines boxenden Vaters und seines ringenden Großvaters, habe ihm geholfen, seine Athletik zu stabilisieren. Dieser Kampfgeist, das zeigte er gegen Thiem, hilft ihm auch auf dem Court.

Ob das allerdings reicht, um sich in der Runde der letzten vier gegen Pablo Carreno Busta (28/Nr. 59) zu behaupten, bleibt abzuwarten. Der Spanier, der erstmals am Rothenbaum im Halbfinale steht, besiegte den Italiener Fabio Fognini (32/Nr. 10), 2013 Hamburg-Sieger, am Freitagabend mit 3:6, 6:2 und 7:6 (7:4).