Russische Athleten sollen sich seit Jahren mit leistungssteigerndem Edelgas auf olympische Wettkämpfe vorbereitet haben. Die Einstufung der Methode ist schwierig. In Sotschi gab es so viele Dopingtests wie noch nie.

Sotschi/Köln. In Sotschi sind 2667 Dopingtests und damit mehr als jemals zuvor bei Olympischen Winterspielen durchgeführt worden. Dies gab das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Dienstag bekannt. Die vorherige Rekordmarke stammte von Olympia 2010 in Vancouver/Kanada (2149).

Die Gesamtzahl der Tests in Russland setzt sich aus 477 Blut- und 2190 Urin-Tests zusammen. 1421 Überprüfungen fanden außerhalb der Wettkämpfe statt. Dies entspricht nach IOC-Angaben im Vergleich zu Vancouver einer Steigerung um 60 Prozent.

Bei den Spielen in Russland gab es sechs Dopingfälle. Neben der deutschen Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle (Reit im Winkl) wurden William Frullani (Italien/Bob), Marina Lisogor (Ukraine), Johannes Dürr (Österreich/beide Skilanglauf), Vitalijs Pavlovs (Lettland) und Nicklas Bäckström (Schweden/beide Eishockey) positiv getestet.

Dopen Russen systematisch mit Xenon?

Was den Dopingfahndern allerdings auch während der Spiele von Sotschi möglicherweise durch die Lappen gegangen sein könnte, sind neue unlautere leistungssteigernde Methoden russischer Sportler.

Wie der WDR in seiner Sendung „sport inside“ berichtete, wird innerhalb der russischen Olympia-Mannschaft möglicherweise seit Jahren mit einer bislang nicht nachweisbaren Doping-Methode gearbeitet. Dem Sender liegen Hinweise vor, dass Athletinnen und Athleten des Olympia-Ausrichters mittels Xenon-Gas schon seit den Sommerspielen 2004 in Athen versuchen, ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. In einem TV-Bericht zitiert der Sender aus einer vom Staat in Auftrag gegebenen Studie einer Forschungs- und Entwicklungseinrichtung namens „Atom-Med-Zentrum“.

Diese besage, mehr als 70 Prozent der russischen Medaillengewinner der Spiele in Griechenland und der Winterspiele in Turin 2006 seien mit dem Edelgas beatmet worden. Die Unabhängigkeit des Unternehmens, das auch Produkte verkauft, ist allerdings fraglich. Eine offizielle Bestätigung für eine breite Nutzung in russischen Olympia-Teams gibt es bislang nicht.

Methode bewegt sich in Grauzone

Ob die Xenon-Methode als Doping einzustufen ist, ist jedoch fraglich. Sollte die Welt-Anti-Doping-Agentur ( Wada) zu diesem Schluss kommen, könnte der olympischen Bewegung allerdings eine Doping-Krise von einem kaum abzuschätzenden Ausmaß drohen. Die Forschungseinrichtung sei zudem auch im Fußball aktiv. „So etwas wurde ausschließlich zur Leistungssteigerung entwickelt – für mich ist das Doping“, sagte der der ehemalige Wada-Präsident Richard Pound dem WDR.

Laut Atom-Med-Zentrum ist Xenon-Gas, das die Erythropoetin-Produktion im Körper anregen und so indirekt die Leistungsfähigkeit erhöhen soll, breit eingesetzt worden, laut WDR wurde es auch „empfohlen für London und Sotschi“. Die Wada sagte dem TV-Sender, sie werde in der Sache tätig werden.

„Unsere Kommission, die die Verbotsliste überwacht, wird sich der Sache schnell annehmen. Bereits bei ihrer nächsten Sitzung nach Olympia wird das Thema Gas-Inhalation behandelt“, sagte der schottische Wada-Präsident Craig Reedie. Ähnlich äußerte sich der ehemalige Wada-Präsident Richard Pound: „Lassen Sie uns zweifelsfrei feststellen, dass es sich hierbei um Doping handelt und dass es in einem möglichen Verfahren unmöglich wird zu sagen, die Regeln seien nicht klar.“ Diese Methode wurde laut Pound „ausschließlich zur Leistungssteigerung entwickelt – für mich ist das Doping.“

Auch die Nada teilte auf Anfrage mit, sie werde sich „dieser Thematik in enger Abstimmung mit der Wada und den beiden Wada akkreditierten Laboratorien in Köln und Kreischa annehmen“.

Wilhelm Schänzer, der Leiter des Kölner Doping-Labors, äußerte sich zurückhaltend. Die Recherchen seien „als Hinweis zu betrachten“, sagte er: „Im Augenblick ist das eine Grauzone.“ Natürlich müsse sich die Wada mit dem Fall beschäftigen, ohne weitere medizinische Erkenntnisse könne aber „noch keine Einschätzung“ gegeben werden, ob tatsächlich eine Doping-Krise bevorstehe.

Steigerung der Epo-Produktion

Mario Thevis, Professor für Präventive Dopingforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln, bescheinigt der Xenon-Methode derweil ein hohes Wirksamkeitspotenzial. In Tierversuchen sei „innerhalb eines Tages die Epo-Produktion um den Faktor 1.6, also um 160 Prozent“, gesteigert worden. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass es auch im Menschen die gleiche Wirkung ausüben wird“, sagte Thevis.

Konfrontiert mit dem Vorwurf, erklärte der Generaldirektor des Atom-Med-Zentrums dem WDR: „Sie wissen doch, was Doping ist. Das ist doch dann, wenn Spuren von biochemischen Reaktionen bleiben. Wenn es nicht so ist, wie kann es ein Dopingmittel sein?“

In der Tat ist umstritten, ob eine derartige Methode in den Wada-Code aufgenommen werden kann oder wird. Die britische Wochenzeitung The Economist, die Anfang Februar von der Xenon-Methode berichtet hatte, wies auf die Vergleichbarkeit mit einer Trainingsmethode in Höhenkammern hin. „Wenn die Xenon-Behandlung lediglich die sauerstoffarme Umgebung durch den Austausch von Sauerstoff durch Xenon ersetzt, ist die Nutzung zur Leistungssteigerung zulässig“, heißt es in dem Artikel „Breathe it in“ (Atme es ein).

Weiterhin berichtet die Zeitung über ein im Jahr 2010 verfasstes Dokument des Forschungsinstitutes des Verteidigungsministeriums, in dem Richtlinien zur Xenon-Dosierung festgehalten sind. Die „empfohlene Dosis“ liege demnach bei 50:50 (Xenon/Sauerstoff). Ob das Edelgas in dieser Konzentration auch schädlich für den menschlichen Organismus sein kann, blieb offen.