Selbst in den internationalen Medien ist Claudia Pechstein ein Dauerthema. Die 41 Jahre alte Berlinerin will über 3000 Meter am Sonntag in Sotschi ihre zehnte Olympia-Medaille holen.

Sotschi. Über keine Athletin im deutschen Olympia-Team wurde in den vergangenen Wochen und Monaten so viel diskutiert wie über die streitbare Claudia Pechstein. Die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin polarisierte, kritisierte und attackierte. Am Sonntag will die 41-Jährige über 3000 Meter zur ältesten Medaillengewinnerin in der 90-jährigen Geschichte Olympischer Winterspiele in einer Einzeldisziplin werden. „Es wäre ein Traum“, sagte Pechstein kämpferisch. „Ich muss mir nichts mehr beweisen. Aber eine Medaille wäre eine solche Genugtuung nach aller Schmach, die mir der Weltverband angetan hat.“ Es wäre ihre zehnte Olympia-Medaille, ihr 60. Edelmetall bei internationalen Meisterschaften oder Olympia.

Seit einigen Tagen läuft die Berlinerin in Sotschi wie „im Tunnel“. Sie will keine großen Interviews mehr geben und konzentriert sich ganz auf die Stunde X. Große Aufregung ist ihr nicht anzumerken. „Ich bin entspannt und guter Dinge“, sagte sie am Freitag bei strahlendem Sonnenschein vor der Adler-Arena. Die Nichtberücksichtigung als Fahnenträgerin hat sie abgehakt. „Natürlich hätte ich gern die deutsche Fahne getragen, aber im Sinne der Wettkampf-Vorbereitung bin ich sogar ganz froh, dass ich es nicht mache“, erklärte Pechstein nach ihrer Trainingseinheit auf dem Ergometer.

Mit dem Gewinn einer Medaille würde Pechstein den Rekord der britischen Eiskunstläuferin Ethel Muckelt brechen, die bei ihrem dritten Platz 1924 in Chamonix 38 Jahre und 243 Tage alt war. In der Altersklasse Ü-40 breche sie sowieso eine Bestmarke nach der andern, betonte die sechsmalige Weltmeisterin. „Es ist immer wieder von einem 'biologischen Wunder' zu hören. Dabei haben es die anderen doch nur noch nicht versucht“, sagte Pechstein vor ihrem 13. Olympia-Rennen.

Längst ist ihr juristisches Duell gegen den Weltverband ISU auch in den Weltmedien zum Dauerthema geworden. Nach ihrer zweijährigen Sperre wegen erhöhter Blutwerte hat Pechstein die ISU auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagt. Am 26. Februar soll in München über das Prozessprozedere entschieden werden.

Auch um die Wiederaufnahme in die Sportfördergruppe der Bundespolizei kämpft die Polizeihauptmeisterin weiter – obwohl sie mit dem Status als „Halbtags-Beschäftigte“ inzwischen eine auskömmliche Bezahlung erhält. Bei den Demonstrationen zum 1. Mai bewachte sie mit ihrer Einheit eine Tankstelle in Berlin-Kreuzberg und verhinderte mit Schild und Helm, dass Autonome Benzin für Molotow-Cocktails abzapften. „Mein bisher härtester Einsatz als Bundespolizistin“, behauptete sie.

Aufgeben kommt für Pechstein nicht in Frage. Sie will Genugtuung und beharrt auf ihrer Darstellung. Eine vererbte Blutanomalie sei die Erklärung für ihre erhöhten Retikulozytenwerte, die zur Zwei-Jahres-Sperre geführt hatten. Sämtliche sportgerichtliche Instanzen wiesen ihren Einspruch gegen das ISU-Urteil zurück. „Es ist unheimlich schwer, den Stempel einer Dopingsünderin von der Stirn zu bekommen“, gab sie zu. „Mit der Sperre wegen erhöhter Blutwerte hat die ISU mein Leben zerstört. Es wäre jetzt ein Schlag ins Gesicht des Weltverbandes, wenn ich in diesem Alter noch einmal auf das Treppchen käme.“

Pechstein ist angriffslustig. Über 3000 Meter sieht sie die Tschechin Martina Sablikova und Ireen Wüst aus den Niederlanden als die Favoritinnen. „Aber wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte“, sagte sie schmunzelnd. Ihre Taktik werde sie nicht verraten. Pechstein wirkt überraschend locker und nicht so verbissen wie vor manch anderen Wettkämpfen. Am Rande der Eisbahn scherzt sie mit ihrem Lebensgefährten Matthias Große, der für sie längst die Rolle des Mentaltrainers übernommen hat. „Ohne ihn wäre ich nicht hier. Dann hätte ich meine Karriere längst beendet“, spekulierte sie.

Der Immobilienhändler aus Köpenick versucht, den Druck rauszunehmen. „Claudia wird auch nicht weinen, wenn sie Vierte wird“, sagte Große. „Im Training lief sie mit den Schlittschuhpaaren Nummer drei und vier, im Wettkampf will sie die eins oder die zwei rausholen.“ Alle Kufen haben dank eines neuen Sponsors nun einen einheitlichen, perfekten Schliff, der ihr die nötigen Hundertstel bringen soll. (dpa)