Die deutschen Schwimmer um Britta Steffen und Paul Biedermann schworen sich in Hamburg auf Olympia ein - und tragen Medaillen-Hoffnungen.

Hamburg. Eine Frage kann Paul Biedermann nicht mehr hören: die nach seiner Form. Sie wird ihm natürlich oft gestellt in diesen letzten Tagen vor den Olympischen Spielen. Es ist nur so: Biedermann kann sie nicht beantworten. Nur eines weiß der Schwimmweltrekordler aus Halle (Saale) vor seinem ersten Vorlaufstart am Sonnabend über 400 Meter Freistil hinsichtlich seiner Form genau: "Es wird eine geben."

Vieles spricht dafür, dass es eine gute sein wird. Biedermann und die meisten anderen Nationalschwimmer können heute vom Flughafen Fuhlsbüttel aus in dem Gefühl nach London aufbrechen, alles für den Erfolg getan zu haben. "Wir sind bestmöglich vorbereitet", sagt Diagnose-Bundestrainer Markus Buck. Seit Montag vergangener Woche hatte sich die Delegation des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) am Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein auf den Höhepunkt eingeschworen. Und wer sich gestern am Dulsbergbad unter den Sportlern und Betreuern umhörte, konnte den Eindruck gewinnen, dass in diesen sieben Hamburger Tagen aus 27 Einzelsportlern eine Mannschaft geworden ist.

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"Wir hatten Zeit, als Team zusammenzuwachsen", schwärmte Buck, "hier ist ein ganz besonderer Zusammenhalt entstanden." Der Olympiastützpunkt habe als Gastgeber "einen neuen Standard gesetzt". Und auch Biedermanns Freundin Britta Steffen hat bei ihren drei bisherigen Olympiateilnahmen "selten erlebt, dass das Team so zusammengewachsen ist". Steffen, 28, hat vor vier Jahren in Peking Gold über 50 und 100 Meter Freistil gewonnen. Die Berlinerin gehört somit offenbar nicht zu denen, die ihren Erfolg von dem der Mannschaft abhängig machen, denn der geriet 2008 in den Beckenwettbewerben eher bescheiden. Außer Steffen konnte nur Biedermann überhaupt in ein Einzelfinale schwimmen.

Sollte die Bilanz diesmal besser ausfallen, müsste die Ursachensuche vielleicht in der "Chill-Lounge" des Hotels Aquasport gleich neben dem Dulsbergbad beginnen. In dem gemütlichen Raum fanden die deutschen Schwimmer allabendlich zusammen: zum Plausch in der Sofaecke, beim gemeinsamen Videospiel mit der Konsole oder bei einer Partie Tischfußball. "Echt nett" sei es dort, weiß der Hamburger Schmetterlingsspezialist Steffen Deibler zu berichten, der Großteil der Mannschaft habe das Angebot gern angenommen. Einen derart regen Kontakt mit den Kollegen habe auch er zuvor noch nicht erlebt. Schon gar nicht vor vier Jahren: Damals waren die deutschen Schwimmer in einem großen Berliner Hotel untergebracht und nur selten unter sich. Diesmal habe man versucht, "mehr und sensibler in alle Richtungen zu kommunizieren", wie es Buck ausdrückte. Dazu gehörte auch, dass die Mannschaft am vergangenen Dienstag gemeinsam ein Musical besuchte. Und bei der medialen Außendarstellung habe man sich professionellen Rat geholt.

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Natürlich wird sich der Geist von Dulsberg nicht von selbst in Medaillen verwandeln. Spätestens auf dem Startblock des London Aquatics Centre ist jeder Schwimmer wieder auf sich gestellt, und nicht alle können damit so gut umgehen wie das Vorzeigepaar des deutschen Sports. Von Steffen und Biedermann, dem zweimaligen Weltmeister von 2009, dürfte der Erfolg der deutschen Schwimmer und damit der Gesamteindruck der ersten Olympiawoche auch diesmal abhängen. "Zwei Paar Schultern sind für eine ganze Nation zu wenig", fürchtet Biedermanns Trainer Frank Embacher. Aber er weiß auch, dass es sein Schützling "liebt, gegen die Besten zu schwimmen".

Beim DSV ist die Bemühung unverkennbar, die Hoffnungen ein wenig breiter zu streuen. Leistungssportdirektor Lutz Buschkow traut dem Wuppertaler Christian vom Lehn, WM-Dritter über 200 Meter Brust, auch diesmal eine Medaille zu. Zur gestrigen Pressekonferenz wurden neben Steffen und Biedermann auch die Münchner Schmetterlingsspezialistin Alexandra Wenk, 17, und der Fuldaer Rückenschwimmer Jan-Philip Glania, 23, aufs Podium gebeten. "Wir haben eine ziemlich breite Masse an sehr guten Leuten", beteuerte Steffen. Überhaupt gebe es nicht mehr so eine starke Hierarchie wie früher: "Wir haben nicht mehr die absoluten Superstars." Das klang ein wenig nach Selbstverleugnung, aber dann führte Steffen glaubhaft aus, wie klein sie sich 2000 in Sydney neben der großen Franziska van Almsick gefühlt habe: "Ich hätte mich damals in einer Pressekonferenz gar nicht getraut, etwas zu sagen."

Van Almsick, 34, war gestern als Schwimmexpertin für die ARD unter den Zuhörern. Sie hat ihren Goldtraum bekanntlich nie verwirklichen können, was Steffen gelehrt hat, dass ein Olympiasieg nicht das Wichtigste im Leben ist. "Es ist nur Schwimmen", sagte Steffen, "aber es ist auch eine große Leidenschaft. Eine solche Chance kommt nie wieder." Die Trainingsleistungen seien sehr gut, die Weltjahresbestenlisten führen Steffen auf Platz vier, das lasse Spielraum nach oben wie nach unten: "Ich kann das Finale verpassen oder nach einer Medaille greifen." Dass sie Titelverteidigerin ist, gebe ihr Sicherheit: "Ich weiß, mir kann eigentlich nichts passieren."