Rio de Janeiro. Die deutschen Radfahrer begeistern in Rio de Janeiro am laufenden Band. Sie sind Geigenlehrer, Schwimmer, Chemiker und Extremsportler.
Eine Geigenlehrerin, eine ehemalige Schwimmerin, eine, die am Strand von Rio an den Winter in Südkorea denkt, ein "Fast"-Rentner ohne Sattel, ein Chemiker und ein Extremsportler - ein bunter Haufen mischt Rio ordentlich auf. Die deutschen Radsportler sorgen bei den Paralympics am Strand von Barra für große Furore und haben bis zu den Wettbewerben am Samstag mit acht Goldmedaillen sogar die erfolgsverwöhnten Leichtathleten in den Schatten gestellt.
Nachdem das bärenstarke Team von Bundestrainer Patrick Kromer durch Dorothea Vieth, Andrea Eskau, Christiane Reppe, Michael Teuber, Hans-Peter Durst und Vico Merklein innerhalb von zwei Tagen sechs Siege eingefahren hatte, sorgten Stefan Warias und erneut Durst am Freitag im Straßenrennen gleich für zwei weitere Triumphe.
"Die coolsten Hunde im ganzen Team"
Denise Schindler aus München, die bereits Silber im Zeitfahren gewonnen hatte, sicherte sich am Freitag wie auch Jana Majunke zudem Bronze. Dazu kamen noch Silber durch Eskau und Max Weber sowie Bronze von Merklein. Macht insgesamt 14 Mal Edelmetall auf der Straße! Dazu kommt einmal Zeitfahr-Bronze durch Kai Kruse/Stefan Niemke auf der Bahn. Dies wäre am Freitagnachmittag (Ortszeit) Platz elf im Medaillenspiegel gewesen.
"Sie waren vor den Spielen schon sehr gut. Die Radsportler entwickeln sich zum Maß der Dinge im Para-Rennsport" lobte Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Die Athleten seien "sehr trainingsfleißig. Und sie haben auch Top-Heimtrainer", führte er im SID-Gespräch weiter aus. Die Radsportler seien eben "die coolsten Hunde im ganzen Team", betonte Warias, der im normalen Leben Chemiker ist, schmunzelnd.
Für Merklein, der seinen "Vize-Fluch" bannen konnte, ist es ebenfalls keine Überraschung, dass ausgerechnet die Abteilung Radsport im DBS derart erfolgreich ist. "Jeder Einzelne von uns trainiert wie ein Profi. Wir machen nichts anders als das normale Fußvolk", sagte Merklein und meinte damit die nichtbehinderten Rad-Kollegen.
Jeder habe seine "Hausaufgaben gemacht, auch mit vielen zusätzlichen Trainingslagern", ergänzte der fünfmalige Paralympicssieger Teuber. Bei ihm und manchen Anderen im Radteam seien "17.000 km und bis zu 200 Auslandsübernachtungen im letzten Jahr zusammengekommen".
Nur auf der Bahn, so Extremsportler Teuber, habe man "ein bisschen was verschenkt". Dies führte der 48-Jährige, der schon mal den Kilimandscharo besteigt, "um Grenzen auszuloten", auf Nachteile beim Material zurück: "Vielleicht kann man im Zuge dieses Riesenerfolges auch einmal Forderungen ans BMI stellen."
"Fast-Rentner" fährt jüngeren Gegnern davon
Es ist ein "verrückter" Rad-Haufen, der in Rio für Deutschland fährt. Die 55 Jahre alte Vieth, die im Zeitfahren vor Eskau triumphiert hatte, ist selbstständige Geigenlehrerin und musste für Rio erst einmal ihr Schüler vertrösten.
Eskau (45) hat eine ganz besondere Doppelbelastung. "Wer mich kennt, der weiß, dass ich schon die Paralympischen Spiele 2018 im Kopf habe. Nach dem Wettkampf ist vor dem Wettkampf", sagte die querschnittsgelähmte Eskau, viermalige Sommer-Paralympicssiegerin und zweimalige (Langlauf, Biathlon) im Winter, nach ihrer Gold-Fahrt mit dem Handbike mit Blick auf Pyeongchang 2018.
Reppe (29) aus Nendorf ist Quer-Einsteigerin. Sie gewann als Schwimmerin bei den Paralympics zweimal Bronze, hörte dann auf, um beim Radsport wieder durchzustarten. "Ich brauche den Sport. Und Radfahren war eine tolle Möglichkeit. Das macht mehr Spaß."
Der Spaßfaktor ist auch bei Hans-Peter Durst noch riesig. In einem Alter, in dem andere in den Vorruhestand gehen, fährt der 58-Jährige seinen viel jüngeren Konkurrenten bei seinen zweiten Paralympics noch davon. Bislang ist er der einzige deutsche Athlet in Rio mit zwei Goldmedaillen.
"Ich tüftle jede Möglichkeit aus", betonte er nach seinem zweiten Gold am Freitag im Straßenrennen. Dass er zuvor auch noch ohne Sattel beim Zeitfahren gewonnen hatte, war dabei noch das Tüpfelchen auf dem I. "Sitzen", meinte Durst danach etwas derb, "ist sowieso fürn Arsch."
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sid