Hamburgs Handballer, die am Sonnabend gegen die Rhein-Neckar Löwen spielen, kassieren 30 Gegentore pro Spiel – die meisten aller Spitzenteams. Es geht um nicht weniger als die Meisterschaft.

Hamburg. Diese Woche schickt sich für Uwe Gensheimer und die Rhein-Neckar-Löwen an, eine der außergewöhnlichsten der Vereinsgeschichte zu werden. „Sollten wir auch gegen den HSV gewinnen, können wir uns das im Kalender dick anstreichen“, sagt der deutsche Nationalspieler im Trikot der Löwen. Dann nämlich hätte seine Mannschaft innerhalb von vier Tagen geschafft, was zu Saisonbeginn bestenfalls eine Wunschvorstellung war – den Rekordmeister THW Kiel aus dem Pokal, und kurz darauf den HSV Hamburg aus dem Titelrennen zu werfen. Den ebenso überragenden wie überraschenden Achtelfinal-Sieg gegen den THW Kiel nennt der Löwen-Kapitän einen „schönen, erfolgreichen Ausflug“ und zeigt damit, dass er eigentlich längst bei der nächsten Herausforderung ist. Am Sonnabend (15 Uhr/O2 World) geht es in Hamburg um nicht weniger als die Meisterschaft.

„Das wird ein Endspiel“, kündigt HSV-Abwehrrecke Davor Dominikovic vor dem Bundesliga-Spitzenspiel gegen den Tabellenvierten an. „Jedes Spiel bis zum Saisonende ist für uns ein Endspiel“, präzisiert er, „aber dieses ein bisschen mehr.“ Und wie dieses Duell endet, wird nicht zuletzt von dem erfahrenen 35-Jährigen und seinem Teamkollegen Matthias Flohr abhängen. 30 Gegentore kassieren die Hamburger im Durchschnitt in der Bundesliga, so viele wie keine andere Spitzenmannschaft. Überhaupt bekommen mit TBV Lemgo, TV Emsdetten, ThSV Eisenach und Balingen-Weilstetten nur vier Teams mehr Treffer eingeschenkt als der Champions-League-Sieger. Die wenigsten Gegentore musste der HSV in seiner Meistersaison 2010/2011 hinnehmen (26,5 im Schnitt). Mehr als 30 waren es noch nie in der Vereinsgeschichte.

„Natürlich analysieren wir mit der Mannschaft unsere Abwehr“, sagt Spezialist Flohr, der in der Defensive durchaus Verbesserungsbedarf erkennt. „Wir müssen genau schauen, dass alle Rädchen ineinandergreifen. Vielleicht haben wir das Kleinste noch nicht gefunden.“ Nach wie vor fehle in der Deckung die letzte Abstimmung und Eingespieltheit. Den zentralen Grund für die vielen Gegentreffer sieht der 31-Jährige allerdings im hohen Tempospiel, wodurch es zwangsweise zu mehr Abwehr- und auch Angriffssituationen kommt. Immerhin ist der HSV in der Offensive tatsächlich absolute Liga-Spitze. Auf 528 Treffer brachte es nicht einmal die Konkurrenz aus Kiel oder Flensburg. „Wir gehen konsequent in den Gegenstoß und sind damit sehr erfolgreich“, lobt Flohr das Umschaltverhalten seiner Mannschaft, die in dieser Woche sämtliche verschiedenen Abwehrsysteme trainierte, um auf die Rhein-Neckar-Löwen, komme was wolle, reagieren zu können.

Viel Zeit zum Überlegen wird der Mannschaft von Trainer Martin Schwalb nicht bleiben. Der Hamburger Abwehr droht an diesem Sonnabend Dauerdruck. Der wurfgewaltige Rückraumrechte der Löwen, Alexander Petersson, zeigte mit ebenso attraktiven wie effektiven Abschlüssen der Kieler Hintermannschaft ihre Grenzen auf. Mit Andy Schmid verfügen die Mannheimer zudem über einen äußerst variablen und schwer auszurechnenden Spielmacher. „Da kommt einer der besten Angriffe der Liga“, sagt Matthias Flohr, „das wird ein Gradmesser.“ Davor Dominikovic fordert vor der richtungweisenden Partie vor allem zweierlei: Disziplin und Konzentration. „Wir müssen 100 Prozent geben und konsequenter werden“, sagt der Kroate. Zuletzt leistete sich der HSV zumeist in der zweiten Halbzeit zu viele schwache Phasen, in denen er Gegentreffer in Serie kassierte und in der Offensive Chancen vergab. „Diese fünf oder zehn Minuten können wir uns am Sonnabend nicht erlauben“, warnt Dominikovic.

So angespannt die Lage im HSV-Lager ist, so selbstbewusst gibt sich Uwe Gensheimer aufseiten der Gäste: „Das wird über 60 Minuten ein hartes Stück Arbeit. Der HSV ist teilweise überragend, aber noch nicht konstant.“ Die Löwen, die mit 397 Toren bisher deutlich weniger Treffer zuließen als die Hamburger, wollen alle sportlichen Stärken in die Waagschale werfen. Denn auf dem Spiel stehen mehr als nur zwei Punkte. Der Verlierer wird von der Spitzengruppe abgehängt.

Das Pokalduell gegen den THW Kiel hat die Löwen Kraft gekostet. HSV-Kapitän Pascal Hens sieht in der schweren Pokalaufgabe der Gäste einen Vorteil: „Wir haben das Spiel gesehen und können daraus unsere Schlüsse ziehen.“ Trainer Martin Schwalb hütete sich jedoch, einen Favoriten für die Partie zwischen den punktgleichen Mannschaften ausmachen und sprach von einem Duell auf Augenhöhe: „Wir haben eines der wichtigsten Spiele der Saison vor der Brust. Mit einem Sieg bewahren wir uns alle Chancen auf den Titel.“

Trotz der zwei Gesichter, die die Hamburger im Saisonverlauf zeigten, glaubt Uwe Gensheimer zu wissen, was am Sonnabend auf ihn zukommt: „Ich glaube, wir treffen auf den sehr, sehr starken HSV.“ Wer vor der Partie in die Augen von Davor Dominikovic blickte, wird ihm zweifelsohne beipflichten.