Die HSV-Handballer setzen auf sportliche Klasse, interne Konkurrenz und viel Harmonie. Diesmal ist der Kader, mit 19 Mann der größte der Vereinsgeschichte, vom ersten Tag an einsatzbereit.

Hamburg. Am Ende des Gesprächs sagt Martin Schwalb, 50, dann diesen einen Satz, der den Fans der HSV-Handballer für die nächsten Jahre Mut machen dürfte: „Wenn die Entwicklung dieser Mannschaft beendet ist, wird ein großartiges Ergebnis für den HSV herausgekommen sein.“

Das Versprechen gilt. Dabei ist der Trainer des Champions-League-Siegers eher ein Mann der vorsichtigen Töne. Seine Gewinnwarnungen sind berüchtigt, selbst klassentieferen Gegnern gesteht er gern das Potenzial zu, seine Mannschaft in Schwierigkeiten bringen zu können. Das hat mit Respekt zu tun, vor allem aber auch damit, dass Schwalb die Erwartungen nicht immer ins Unermessliche steigern will. Umso überraschender und ernst zu nehmender ist deshalb diese Aussage. Sie entspringt nach nur drei Wochen gemeinsamen Trainings der tiefen Überzeugung, dass hier zusammenpasst, was er und der Verein zusammengestellt haben. Sechs Spieler haben den deutschen Meister von 2011 nach der vergangenen Saison verlassen, acht neue sind in diesem Sommer gekommen. Das nennt man wohl Umbruch.

Bis dieser vollzogen ist, gehen gewöhnlich sechs bis neun Monate ins Land – fast eine gesamte Spielzeit. Auch wenn Schwalb seinem neuen Team große handballerische Intelligenz attestiert, „bis alle Automatismen greifen, bis jeder weiß und versteht, wann und warum wir diesen oder jenen Spielzug machen, bis die Deckung kompakt und aggressiv steht, das Ein- und Auswechseln für bestimmte Angriffs- und Abwehrformationen reibungslos klappt, dauert es eben seine Zeit“. Doch bereits heute sei zu erkennen, was da heranwächst, und vielleicht schneller heranwächst, als es seine Planungen vorsehen. Eine Mannschaft, die Titel holt, hat sich der neue Geschäftsführer Frank Rost, 40, gewünscht, als Unterstützung für seine Herkules-Aufgabe, neue Geldgeber zu finden. Er könnte sie bekommen – schon in dieser Saison.

HSV-Aufsichtsrat Fritz Bahrdt, 74, in den 60er-Jahren Kapitän der deutschen Handballnationalmannschaft, schaut gelegentlich beim Training in der Volksbank-Arena vorbei. Bahrdt ist ein kritischer Geist, für einen Spruch mit einem Schuss Zynismus immer zu haben. Für das, was er bislang gesehen hat, hat er aber nur Anerkennung übrig. Auffällig sei für ihn die Harmonie, die dieses Team ausstrahle. „Das könnte eine große Stärke dieser Mannschaft werden. Sie hat Klasse“, sagt Bahrdt.

Auch nach dem Training endet das Miteinander nicht. Die Spieler stecken in kleineren und größeren Gruppen ihre Köpfe zusammen, diskutieren Techniken und Taktiken, analysieren Systeme und entwickeln Vorschläge. Der Hunger nach Erfolg sei zu spüren, sagt Bahrdt. Im vergangenen Jahr war das erst in der Endphase der Saison wieder der Fall. Der Gewinn der Champions League versöhnte schließlich für vieles.

„Wir haben heute eine andere Ausgangssituation, eine weit bessere gegenüber der vergangenen Serie“, sagt Schwalb. Damals verpasste ein Großteil des Teams wegen der Olympischen Sommerspiele in London und wegen Verletzungen die Vorbereitung, die als solche keine war. Die Probleme schleppte der HSV die gesamte Hinserie der Bundesliga mit sich herum. Erst als die Verletzten aufs Feld zurückkehrten, fand die Mannschaft zu alter Stärke, nicht immer, aber immer öfter, und vor allem als diese im Final Four der Champions League vonnöten war.

Diesmal ist der Kader, mit 19 Mann der größte der Vereinsgeschichte, vom ersten Tag an einsatzbereit. Allein der Schwede Oscar Carlén, 25, fällt nach seiner vierten Kreuzbandoperation am rechten Knie weiter aus. Hoffnungen auf sein Comeback hegen nur noch wenige. Dass die neue Masse auch zu größerer Klasse führt, zeichnet sich ab. Die Konkurrenz nötigt jedem noch mehr Einsatz und Ehrgeiz ab. Davon profitieren alle. „Wir haben lange nicht mehr auf derart hohem Niveau trainieren können“, sagt Schwalb. „Jeder ist bis in die Haarspitzen motiviert, und jeder scheint sich zu sagen, ‚da geht noch ein Schritt mehr, noch ein Schritt und noch ein Schritt mehr‘“. Und einmal im Schwärmen, greift sich der Trainer einen seiner Neuzugänge heraus. „Kentin Mahé wird der nächste Weltklassespieler, den der HSV herausbringt.“ Der 22 Jahre alte französische Spielmacher vom VfL Gummersbach, auch als Linksaußen eine Alternative, begeistert Schwalb mit seinen zum Teil überraschenden Ideen und deren nicht minder originellen Umsetzung. Mahé könnte einmal Domagoj Duvnjak, 25, ersetzen, der den HSV 2014 nach fünf Jahren verlassen wird. Der Kroate hat einen Dreijahresvertrag beim THW Kiel unterschrieben. Zwischenzeitlich hatte es bei den Hamburgern Überlegungen gegeben, Duvnjak bei einem entsprechendem Ablöseangebot der Kieler vorzeitig ziehen zu lassen. Die sind nun vom Tisch, weil es erstens keine Offerte des THW gab und der HSV zweitens zumindest noch diese letzte Saison die Klasse des derzeit wohl besten Handballers der Welt nutzen möchte.

Duvnjak schien beim Trainingsstart am 16. Juli mit dieser Situation Schwierigkeiten zu haben, er machte sich Gedanken über die Reaktion seiner Kollegen auf den Wechsel, zu dem er sich entschlossen hatte, als Mitte der vergangenen Saison kaum jemand ahnte, wie die sportliche und finanzielle Zukunft des HSV aussehen würde. Duvnjak war stiller als sonst, lachte wenig, suchte öfter die Einsam- statt die Gemeinsamkeit. Im Trainingslager im österreichischen Sölden kehrte er aber nur eine Woche später auch emotional in den Kreis seiner Mannschaft zurück.

„,Dule’ ist ein zentraler Baustein unseres Teams“, sagt Schwalb, „und jeder weiß, dass wir uns auch in dieser Saison hundertprozentig auf ihn verlassen können. Er wird für den HSV alles geben, wie er in den vergangenen vier Jahren immer alles und noch ein bisschen mehr gegeben hat.“

Duvnjaks Weggang versetzt beim HSV heute niemanden mehr in Schrecken. Die neue Mannschaft genießt im Verein, bei Präsident Matthias Rudolph,55, und Financier Andreas Rudolph, 58, Vertrauen. Ihr gehören Gegenwart und Zukunft – davon ist nicht nur Trainer Schwalb überzeugt.