Handballweltmeister Joan Cañellas spricht über seinen kurzfristigen Wechsel nach Hamburg, seine Ziele und die Probleme der spanischen Liga Asobal.

Sölden. Er ist der Last-Minute-Transfer der HSV-Handballer und zugleich einer der stärksten Neuzugänge, die die Hamburger für die anstehende Saison verpflichtet haben. Joan Cañellas, 26, sollte erst 2014 an die Elbe wechseln, doch die Insolvenz seines bisherigen Vereins Atlético Madrid ließ die HSV-Verantwortlichen handeln. Nun trägt der spanische Weltmeister bereits in dieser Saison die Raute auf dem Trikot. Nach der kurzfristigen Vertragsunterzeichnung schaffte es der katalanische Rückraum-Riese rechtzeitig ins Trainingslager nach Sölden, wo sich das Team von Trainer Martin Schwalb für die anstehende Spielzeit noch bis Sonntag fit macht.

Hamburger Abendblatt: Señor Cañellas, der Wechsel zum HSV Handball wurde erst kurz vor Beginn des Trainingslagers fix gemacht. Waren Sie für die Unterschrift überhaupt in Hamburg?

Joan Cañellas: Für zwei Tage war ich da, um mir die Stadt anzuschauen und um zu sehen, wohin ich wechseln würde und ob ich hier leben möchte. Mit Ciudad Real habe ich schon zweimal in Hamburg gespielt. Ansonsten kenne ich die Stadt nicht.

Wie fällt ihr Urteil aus?

Cañellas: Ich mag Hamburg sehr. Ich habe die Entscheidung mit meiner Freundin getroffen. Es war wichtig, dass es eine gute Mannschaft ist, ein tolles Projekt, aber es sollte auch eine schöne Stadt sein. Hamburg ist wirklich nett, und ich weiß, ich werde hier viel Spaß haben. Wir fühlen uns sehr wohl.

Ihre Freundin auch?

Cañellas: Ja! Einziges Problem ist das Wetter, aber uns ist klar, dass wir nicht das spanische Klima erwarten können. Hamburg ist eine große Stadt, wir haben alles, was wir brauchen.

Nach der Insolvenz von Atlético Madrid rechneten alle damit, dass Sie dieses eine Jahr früher kommen. Warum hat sich die Entscheidung so lange hingezogen?

Cañellas: Es gab viele Vereine, zu denen ich hätte gehen können. Ich hatte andere Angebote, nicht nur aus Hamburg. Aber ich glaube, das hätte Probleme gegeben. Für mich stand fest, Spanien zu verlassen. Nur bei Barcelona kann man noch sicher sein, sein Geld auch zu bekommen. Ich will Erfahrungen im Ausland sammeln, und die Bundesliga ist die beste Liga. Jeder, der hier spielt, spricht gut über die Stadt und den Verein. Ich habe nur Gutes gehört. Da fiel die Entscheidung relativ leicht.

Wie war die letzte Zeit in Madrid?

Cañellas: Das war schon ein komisches Gefühl. Es ging plötzlich alles sehr schnell. Ein Freund kam auf mich zu und meinte: „Hast du schon gehört, was mit deinem Verein passiert?“ Ich habe das gar nicht glauben können. Das war an einem Sonntagnachmittag. Am Montagmorgen hat mich unser Trainer Talant Dujshebaev angerufen und gesagt, dass es die Mannschaft nicht mehr geben wird. Ich war überrascht. Aber es hat auch ein Gutes: Die nächste Saison wäre für uns sehr schwierig geworden, die Mannschaft wäre nicht so stark gewesen wie in den vergangenen Jahren. Als ich von der Insolvenz hörte, war ich geschockt, aber ich wusste, dass ich gute Angebote hatte und den Vertrag in Hamburg in einem Jahr. Für viele ist das eine schreckliche Situation, nicht nur für die Spieler. Ich hoffe, dass sich so etwas nie wiederholt. Bevor ich nach Hamburg kam, musste ich meine Sachen in Madrid packen. Das war sehr traurig. Es ist immer traurig, wenn du einen Verein verlassen musst.

Es soll zu Ausfällen bei dem Gehaltszahlungen gekommen sein. Wie viele Monate haben Sie kein Geld erhalten?

Cañellas: Die letzten zwei Monate. Sie wollen angeblich bis August alle Außenstände zahlen. Ich möchte mich jetzt aber auf meine neue Aufgaben hier konzentrieren. Den Rest warte ich ab.

Haben Sie Befürchtungen, dass sich so etwas beim HSV wiederholen könnte?

Cañellas: Nein. Ich bin sicher, dass das nicht passiert. Das Image der deutschen Clubs ist sehr gut und weit seriöser als das der Vereine aus Spanien oder anderswo. Was du hier unterschreibst, bekommst du auch. Wenn du für drei Jahre unterschreibst, kannst du auch so lange bleiben. Ich möchte Sicherheit und Stabilität für die Zukunft, und ich bin mir sicher, dass es hier keine Probleme geben wird. Wir werden viele Spiele und Titel gewinnen. Es wird bergauf gehen, nicht bergab.

Sie geben viel für den Handball. Wie frustrierend ist es zu sehen, wie ein Verein zugrunde geht, weil das Geld fehlt?

Cañellas: Mit dem Problem steht Atlético Madrid nicht allein da, das betrifft die gesamte Liga Asobal. Ich weiß wirklich nicht mehr, was wir als Spieler da tun können, um die Strukturen zu verbessern. Die spanische Liga ist ein Chaos. Außer Barcelona hat kein Verein mehr Geld. Niemand geht mehr zu den Spielen. Was sollen wir noch tun? Wir haben die Meisterschaft gewonnen, waren mehrmals im Finale der Champions League. Das ist ganz schwierig. Du gibst so viel, aber es gibt kaum etwas zurück. Das ist frustrierend. Die Wirtschaft in Spanien ist am Boden, es wird Jahre dauern, bis Verbesserungen spürbar sind. Das ist ein schwieriger Moment.

Deutschland ist Ihre erste Auslandsstation. Wo liegen die Unterschiede zwischen der deutschen und der spanischen Liga?

Cañellas: In Deutschland haben alle Teams gute, internationale Spieler und können dich schlagen. In der spanischen Liga weißt du, dass entweder Barcelona oder Atlético gewinnen werden. In der Bundesliga musst du jederzeit konzentriert sein, die Spiele, die du nicht verlieren darfst, können dich am Ende die Meisterschaft kosten. Das Level in Spanien ist nicht so hoch. Die Bundesliga ist wie die NBA. Wenn du ein guter Spieler in Spanien bist, wirst du nicht zwangsweise ein guter Spieler in der Bundesliga. Aber wenn du ein guter Spieler in der Bundesliga bist, wirst du auch in der spanischen Liga gut sein. Für mich ist das eine riesige Motivation.

Welche Erwartungen haben Sie an sich für die nächste Saison?

Cañellas: Ich möchte ein wichtiger Spieler des Teams werden. Meine Mitspieler erwarten viel von mir. Ich möchte gut sein, ein Führungsspieler. Ich weiß, dass es schwierig wird, weil ich die Liga nicht kenne, die anderen Teams. Das ist alles neu. In der spanischen Liga kenne ich jeden. Aber ich möchte mich hier durchsetzen und als Spieler verbessern. Es ist das erste Jahr für mich, und ich möchte dem Team helfen, so gut es geht.

Und welche Ziele haben Sie mit Ihrer neuen Mannschaft?

Cañellas: In meinem ersten Jahr für einen Verein gewinne ich immer die Meisterschaft (lacht). Also ist mein Hauptziel, deutscher Meister zu werden. Das andere ist die Champions League. Das ist schwierig, da gibt es starke internationale Konkurrenz. Vezprém aus Ungarn, Barcelona, Kielce aus Polen, die konzentrieren sich auf diesen Wettbewerb, sind darauf fokussiert. Ich habe diese Trophäe noch nie gewonnen, und ich will sie unbedingt. Ich musste beim Final Four in Köln immer gegen deutsche Mannschaften antreten, jetzt habe ich die deutschen Fans auf meiner Seite. Das ist großartig. Ich hoffe, wir gewinnen viele Titel.

Was ist mehr wert, Meisterschaft oder Champions League?

Cañellas: Die Bundesliga zu gewinnen ist sehr hart. Aber es ist auch hart, Champions-League-Sieger zu werden. Zweimal stand ich im Finale, zweimal habe ich verloren. Ich kann nicht sagen, welcher Titel wichtiger ist. Ich habe beide noch nicht. Wenn es möglich ist, möchte ich beide. Das ist doch der Grund, warum wir so hart trainieren.

Das Team ist jung, hat viele Neuzugänge. Akzeptieren Sie die Führungsrolle?

Cañellas: Auf jeden Fall. Ich mag diese Art von Druck. Daran hab ich Spaß. Ich möchte in entscheidenden Momenten ein entscheidender Spieler sein. Viele meiner Mitspieler sind zwar noch jung, aber sie haben dennoch Erfahrung. Die Struktur der Mannschaft ist meiner Ansicht nach nicht anders als in den letzten Jahren. Viele wichtige Spieler sind immer noch da.

Sie und Domagoj Duvnjak könnten das beste Rückraumduo der Bundesliga werden. Wie ist der Kontakt zu ihm?

Cañellas: Kentin Mahé ist ebenso ein klasse Spielmacher. Dule und ich sind ähnliche Spielertypen, weil wir beide auch verteidigen können. Ich freue mich darauf, mit ihm zusammenzuspielen, weil er einer der besten Handballer der Welt ist. Ich bin mir sicher, dass ich auch von ihm lernen kann. Das wird ein großartiges Jahr mit ihm. Er war der beste Spieler der vergangenen Saison, und es ist großartig, dass wir ihn in unserem Team haben. Wir können gut zusammenspielen, auf verschiedenen Positionen. Wir haben eine gute Verbindung zueinander.

Zeit für den Umzug nach Hamburg hatten Sie bisher nicht. Gibt es denn schon eine Wohnung?

Cañellas: Ich suche noch. Nach dem Trainingslager werde ich nach Spanien fliegen und meine restlichen Sachen holen. In den zwei Tagen, in denen meine Freundin und ich in Hamburg waren, haben wir uns ein bisschen umgeschaut. Am liebsten würden wir nach Winterhude oder Eppendorf ziehen. Viele Spieler von uns wohnen da, das wäre gut für uns.

Die HSV-Handballer gewannen ihr Testspiel beim österreichischen Spitzenclub Sparkasse Schwaz Tirol mit 39:25. Bester Werfer war Hans Lindberg mit sieben Toren. Cañellas erzielte vier Treffer.