HSV-Spielmacher Michael Kraus gibt nach Autounfall, Innenbandriss und 100 Tagen Pause heute gegen Großwallstadt sein Saisondebüt.

Hamburg. Michael Kraus, 28, ist schwer zu fassen. Mit zwei schnellen Schritten entwischt der Spielmacher seinen Gegenspielern, öffnet sich ein freies Wurffeld aufs Tor. Drei Monate lang hat der Handball-Weltmeister von 2007 diese Qualitäten nicht vorführen können. Bei einem Autounfall auf dem Heimweg vom Training hatte er sich vor genau 100 Tagen einen Innenbandriss im rechten Knie und zahlreiche Prellungen zugezogen. Heute kehrt er in die Bundesliga zurück. Beim Spiel des deutschen Meisters HSV Hamburg gegen den TV Großwallstadt (20.15 Uhr, O2 World) wird er sein Saisondebüt geben.

"Ich war in meiner Laufbahn bisher nie lange verletzt, mal zwei, maximal drei Wochen, aber nie mehr als drei Monate. Diese Pause war eine verdammt lange Zeit. Am Anfang konnte ich ja nicht einmal laufen und musste mich auf Krücken bewegen. Ich freue mich deshalb unglaublich darauf, wieder Handball spielen zu können. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie groß meine Freude ist", sagte Kraus im Gespräch mit dem Abendblatt.

Es wird für ihn ein eher langsamer Eingewöhnungsprozess. HSV-Trainer Per Carlén, 50, will Kraus in den nächsten Spielen dosiert einsetzen: "Wer so lange gefehlt hat, muss erst wieder seinen Spielrhythmus entwickeln. Das braucht seine Zeit." Dass Kraus der Mannschaft weiterhelfen wird, davon ist der Trainer fest überzeugt. Es sind dies Fähigkeiten in Eins-zu-eins-Situationen im Angriff, die ihn so wertvoll machen. In der vergangenen Meistersaison warf Kraus in 29 Bundesligaspielen 94 Tore für den HSV.

Hamburger Abendblatt: Herr Kraus, drei Monate lang haben Sie Ihren Beruf nicht ausüben können. Sind Ihnen da manchmal trübe Gedanken gekommen?

Michael Kraus: Ich lag oft unglücklich im Bett und habe mich geärgert, dass mir dieser blöde Autounfall passieren musste. Wenn du nicht machen kannst, was du liebst, wirst du mit der Zeit unausgeglichen. Mein Umfeld hat sehr schnell registriert, dass es mir nicht sonderlich gut geht.

Sie hätten sich mit anderen schönen Dingen des Lebens ablenken können.

Kraus: Ich habe schon was unternommen, keine Sorge, aber ich habe auch festgestellt, wie unendlich viel mir der Handball bedeutet. Meine Liebe zum Handball ist in der Zeit meiner Verletzungspause noch gewachsen. Und natürlich habe ich den intensiven Kontakt mit der Mannschaft vermisst, auch das eine oder andere Erfolgserlebnis.

Auf das mussten Ihre Kollegen anfangs ebenfalls verzichten. Der HSV ist mit zwei Niederlagen holprig in diese Saison gestartet. Wie haben Sie die Probleme des Teams wahrgenommen?

Kraus: Wir haben einen neuen Trainer, zwei neue Spieler, und dann kamen die Verletzungen von mir, Marcin Lijewski und Oscar Carlén hinzu. Das waren schwierige Bedingungen für einen Neuanfang, da konnte nicht gleich alles optimal laufen. Inzwischen sehe ich uns auf einem sehr guten Weg.

Es soll am Saisonanfang erhebliche Kommunikationsprobleme zwischen Ihrem neuen Trainer Per Carlén und der Mannschaft gegeben haben. Es hieß, das Team versteht nicht, was der Trainer will.

Kraus: Da wird von außen immer viel hineinspekuliert. Ich kann Sie aber beruhigen: Wir wissen schon ganz genau, was der Trainer von uns will. Mangelnde Kommunikation kann man Per Carlén ohnehin als Letztes vorwerfen. Er redet sehr viel mit uns, fragt uns ständig, wie es uns geht. Mir persönlich gefällt sein hartes Training sehr gut. Das kommt meiner Fitness zugute.

Eine erfolgreiche Titelverteidigung scheint bei der momentanen Form des THW Kiel aber kaum noch möglich.

Kraus: Es ist gerade ein Drittel der Saison gespielt. Wir denken jetzt, das wird Sie nicht überraschen, von Spiel zu Spiel. Alles andere überlasse ich Ihnen.

Kommen wir zur Nationalmannschaft. Wann haben Sie das bisher letzte Mal mit dem neuen Bundestrainer Martin Heuberger telefoniert?

Kraus: Das war vor dem Supercup vor drei Wochen. Ich sagte ihm, dass ich noch nicht fit genug bin, um bei diesem Turnier mitzumachen.

Da hatten Sie Glück. Die Mannschaft hat alle drei Spiele verloren, und Heuberger musste sich von Ihrem HSV-Präsidenten Martin Schwalb den Vorwurf gefallen lassen, er habe zu viel experimentiert.

Kraus: Jeder Trainer hat sein Konzept. Martin Heuberger hatte angekündigt, er wolle beim Supercup einiges ausprobieren. Das hat er konsequent getan. Auf unserem letzten Lehrgang im Januar vor der EM in Serbien haben wir noch genug Zeit, um uns einzuspielen.

Werden Sie dabei sein?

Kraus: Das hoffe ich doch. Zunächst einmal muss ich jedoch konstant gute Leistungen beim HSV zeigen.

Sie drohen demnächst der letzte HSVer in der deutschen Nationalmannschaft zu sein. Haben auch Sie schon mal über Ihren Rücktritt nachgedacht?

Kraus: Dafür bin ich mit 28 zu jung. Ich verstehe aber Pascal Hens und Johannes Bitter gut, dass ihnen die dauernde Doppelbelastung zu viel wird. Beide sind ja zudem Familienväter. Da habe ich wohl noch etwas nachzuholen.

Soll das eine Ankündigung werden?

Kraus: Nein, nein. Ich gebe mir da noch drei, vier Jahre Zeit. Aber meine Zwillingsschwester ist vor einem Jahr Mutter geworden. Das ist ein großartiges Gefühl mitzuerleben, wie da ein kleiner Erdenbürger heranwächst.

Mit 28 Jahren sind Sie einer der jüngsten Spieler beim HSV. Schreckt Sie das?

Kraus: Im Gegenteil. Ich hoffe, dass ich dem Spiel des HSV in den nächsten Jahren meinen Stempel aufdrücken kann. Das ist mein Ziel. Hamburg gefällt mir ausgesprochen gut. Vorgestern war ich mit meinem Bruder im Musical "Tarzan". Das kann ich jedem nur empfehlen, hervorragende Darsteller, gute Show. Wir hatten unseren Spaß. Jetzt suche ich erst einmal eine Wohnung in Lokstedt, damit ich öfter mal mit dem Fahrrad zum Training fahren kann.