Michael Kraus, Neuzugang der HSV-Handballer, spricht über sein Image, seinen Wunschverein und Vergleiche mit Angela Merkel.

Hamburg. Michael Kraus , 26, schwitzt. Die Spaghettini mit Scampi in pikanter, frischer Tomatensauce treiben ihm die Schweißperlen auf die Stirn. "Ich mag es scharf", sagt der neue Rückraumspieler der HSV-Handballer und tupft mit der Serviette seine Stirn ab. Kraus ist einer, der den Hamburgern fehlte. Stark in Eins-zu-eins-Situationen, dynamisch, wurfstark und, vielleicht wichtiger noch, ein Optimist, der immer das Positive sieht, der den Kopf - nicht die Nase - oben trägt. "Das Leben ist zu schön, als dass man schlechte Laune haben sollte", sagt Kraus. Wirkt seine Mentalität ansteckend, könnte dem HSV in dieser Saison vielleicht der ganz große Wurf gelingen - der Gewinn der Meisterschaft. Der Supercup heute Abend in München gegen den THW Kiel (20.15 Uhr, Sport1 live) ist Kraus' erstes Pflichtspiel für seinen neuen Arbeitgeber.

Abendblatt: Herr Kraus, verraten Sie uns den letzten Eintrag Ihres Tagebuchs?

Michael Kraus : Das ist leider Privatsache. Ich finde es ganz wichtig, mit den eigenen Gedanken zu spielen und sich die Erlebnisse bewusst zu machen. Daraus kann man viel lernen.

Könnte Ihre letzte Überschrift lauten: "Ich bin angekommen"?

Das kann man so sagen. Die Mannschaft hat natürlich einen großen Beitrag dazu geleistet. Ich habe wirklich das Gefühl, hier schon mehrere Jahre Handball zu spielen. So aufgenommen zu werden, das habe ich noch nie erlebt.

In Hamburg sind Sie nicht der große Star, sondern einer unter vielen. Nimmt Ihnen das den Druck?

Ich liebe doch den Druck, er ist unser täglich Brot. Aber natürlich ist es angenehm, dass er sich hier mehr verteilt.

Warum haben Sie sich für den HSV entschieden?

Wir stehen ja schon seit dreieinhalb Jahren in Kontakt, der Wechsel wäre fast schon viel früher zustande gekommen. Der Verein ist sehr professionell aufgestellt, und sehr sympathisch. Man kann sich in jedem Training mit den Besten der Besten messen. Und ich mag die Stadt, kenne viele Spieler. Ich hatte ein sehr gutes Gefühl.

Worin liegt der Unterschied zwischen dem HSV und Lemgo?

Der HSV ist einfach eine andere Liga, auch was die Professionalität angeht. Der TBV wollte auch dort hinkommen, vor drei Jahren wurde der große Angriff gestartet. Aber dann wurde leider mitgeteilt, dass die sportlichen Ziele doch niedriger gehängt werden sollen. Damit konnte ich mich nicht identifizieren.

In dem Moment ist für Sie der Vorhang gefallen.

Genau. Drei Monate zuvor hatte ich meinen Vertrag verlängert.

Fühlten Sie sich verschaukelt?

Ich will da kein böses Blut aufkommen lassen. Lemgo war für mich die richtige Weichenstellung, meine damalige Freundin kam zur gleichen Zeit auch aus dem Schwabenland des Jobs wegen nach Bielefeld. Und wir hatten beim TBV eine gute Truppe zusammen. Wir sind auch in keiner Weise im Bösen auseinandergegangen, zum Verein habe ich ein gutes Verhältnis.

Das wird anders kolportiert.

Mein erstes Interview war natürlich nicht ideal. Aber letztlich habe ich nicht mehr gesagt, als dass ich in der Champions League spielen möchte. Ich habe nicht gesagt, dass ich den TBV verlassen möchte. Das wurde mir in den Mund gelegt. Am Ende hat selbst Manager Volker Zerbe mir nahe gelegt, den Weg nach Hamburg zu suchen.

Der Wunsch war so dringend, dass Sie sich selbst an der Ablöse von angeblich 300 000 Euro beteiligt haben.

Den Betrag will ich nicht kommentieren. Aber das zeigt letztlich nur, wie sehr ich nach Hamburg wollte.

Sie wirken immer sehr locker. Kann man das trainieren?

Das ist einfach Lebensfreude. Ich bin dankbar für das, was ich habe, besonders für meine tolle Familie. Warum sollte ich mit dem Kopf nach unten durchs Leben gehen? Ich bin froh, wenn ich jemanden auf der Straße treffe und Hallo sage. Und ich lache einfach gern, das ist nicht gespielt. Natürlich gib es Phasen wie nach der Europameisterschaft im Januar, wo es nicht so leichtfällt.

Damals wurden Sie als Kapitän für das schwache Auftreten der Nationalmannschaft verantwortlich gemacht.

Rückblickend war es ein Fehler, die EM überhaupt zu spielen. Ich war angeschlagen, viele haben mir deshalb abgeraten, aber ich wurde von einem falschen Ehrgeiz getrieben. Ich wollte die Mannschaft nicht hängen lassen, erst recht nachdem Sebastian Preiß und Pascal Hens abgesagt hatten. Aber ein Turnier auf dem Niveau steht man nicht angeschlagen durch.

Haben Sie die Kritik als ungerecht empfunden?

Irgendwann habe ich einfach nicht mehr in die Zeitung geschaut. Aber es gehört zu unserem Job, sich mit Kritik auseinanderzusetzen. Einen Schluss, den ich daraus gezogen habe, war, zu Bundestrainer Heiner Brand zu gehen und die Kapitänsbinde abzugeben. Ich wollte meine ganze Energie darauf verwenden, wieder richtig fit zu werden, um der Mannschaft mit meiner Leistung helfen zu können.

Dem HSV haben Sie in der Vorbereitung auch in der Deckung geholfen, eine Rolle, die Sie weder in der Nationalmannschaft noch in Lemgo gespielt haben.

Ich bin froh, dass Schwalbe (HSV-Trainer Martin Schwalb, d. Red. ) mir dieses Vertrauen gibt. In Lemgo hatten wir mit Daniel Kubes einen Abwehrspezialisten, genau wie in der Nationalmannschaft mit Oliver Roggisch. Aber ich bin gewillt, Abwehr zu spielen, es ist, neben der Einstellung, vor allem eine Sache der Erfahrung. Da fehlen mir drei Jahre.

Derzeit werden Sie wegen des Ausfalls von Krzysztof Lijewski auch im rechten Rückraum gebraucht. Gefällt Ihnen das?

Ich habe damit überhaupt kein Problem. Auch in Göppingen habe ich diese Position schon gespielt. Ein Rechtshänder auf Halbrechts hat auch Vorteile. Wir werden das schon lösen.

Sind Sie das Mosaiksteinchen, das dem HSV noch zur ersehnten Meisterschaft gefehlt hat?

Es wäre schön, wenn man das am Ende über mich lesen könnte. Ich freue mich, wenn ich mit meinen individuellen Stärken dem HSV helfen kann. Aber letztlich müssen das andere beurteilen.

Wann werden Sie voll in die Mannschaft integriert sein?

Wenn Sie die Taktik meinen: Man hat ein Repertoire von vielleicht 100 Spielzügen, von denen man am Ende 15 spielt. Die habe ich drauf, einige kannte ich ja auch vorher schon.

Was fehlte dem HSV aus Ihrer Sicht denn zum Titel?

Aus meiner Sicht hat sich die Meisterschaft nicht im direkten Duell mit dem THW Kiel entschieden. Der HSV hat eine sensationelle Saison gespielt. Mit sieben Minuspunkten nicht Meister zu werden ist schon sehr bitter.

Ist Hamburg für Sie ein Neuanfang?

Warum sollte es? Dieses Wort wurde in Umlauf gebracht, nachdem ich mein Kapitänsamt bei der Nationalmannschaft aufgegeben hatte. Aber ich habe in Lemgo immer meine Leistung gebracht.

Wo sind Sie in Hamburg zu Hause?

In der HafenCity. Wobei mir viele Stadtteile gefallen: Uhlenhorst, Winterhude, Eppendorf, auch Blankenese. Es ist so vielfältig. Ich mag die Atmosphäre in der HafenCity, tagsüber ist es sehr lebendig. Nach 21 Uhr ist nichts mehr los, allerdings hängen überall Zettel vor Lokalen, die bald öffnen sollen.

Sie gelten als Hallodri, der gern mal ausgiebig feiert.

Um das klarzustellen: Ich habe eine professionelle Einstellung zu meinem Sport. Als ich nach der verkorksten EM oft in meine Heimat fuhr, um mir bei meinen Freunden und meiner Familie Kraft zu holen, wurde mir das zum Vorwurf gemacht.

Es hieß, Sie würden Party machen ...

Ich bin Hobby-DJ, aber es ist nicht so, dass ich jede Woche auflege. Das mache ich vielleicht an Silvester oder wenn es sonst mal eine Gelegenheit gibt. Ich spiele übrigens auch Gitarre. Das ist super zum Abschalten.

Sie waren einmal der "Bravo-Boy". Sind Sie für Magazine auch mit knapp 27 Jahren noch interessant?

Ich bekomme schon noch Anfragen, von "Gala Man" oder Magazinen wie "GQ" oder "FHM". Je nachdem, welche Themen gerade aktuell sind. Man lernt besser damit umzugehen. Nach dem WM-Sieg 2007 brach alles auf einmal herein, da war alles neu und stressig.

Am Dienstag wird eine neue Spielergewerkschaft vorgestellt, die sich gegen die überbordende Belastung wehren will. Werden auch Sie mitmachen?

Alle Nationalspieler sind dabei. Es war ja geplant, dass wir am 1. Januar spielen müssen, das konnten wir verhindern. Wobei der Termin an sich weniger das Problem ist, sondern dass man kurz danach ein Turnier hat mit zehn Spielen in zwei Wochen, es danach gleich in der Liga weitergeht, dann wieder zur Nationalmannschaft, und dann hat man zweieinhalb Wochen Urlaub für das ganze Jahr. Man darf ja nicht vergessen, dass viele Handballer Familie haben.

Ohne die Solidarität aller Spieler wird sich wohl nichts ändern.

Dessen sind sich alle bewusst. Man hat aber gesehen, dass den Ankündigungen der Verbände keine Taten gefolgt sind. In Dänemark gibt es schon eine starke Interessenvertretung, mit Erfolg.

Es ist bekannt, dass Sie besonders gern SMS schreiben. Wären Sie bereit zu einem Wettstreit mit Angela Merkel, die ja auch viele Kurznachrichten schreibt?

Ja, und ich würde sie schlagen. Früher war es aber noch viel schlimmer. Ich hatte schon Monate mit mehr als 6000 SMS, das ging nur so drr, drr. Ich kann ja auch alles blind schreiben. Mittlerweile telefoniere ich lieber. Da gibt es weniger Missverständnisse.