Gespräch mit Pascal Hens, dem Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, zum Start der Handball-Europameisterschaft in Serbien.

Hamburg/Nis. Mit dem Spiel gegen Tschechien startet die deutsche Handball-Nationalmannschaft am Sonntag (17.20 Uhr, ZDF live) in Nis in die EM in Serbien. Das Turnier ist für die deutsche Auswahl die letzte Chance, eines der drei Olympia-Qualifikationsturniere im April zu erreichen. HSV-Profi Pascal Hens, 31, ist der Kapitän des Teams. "Ich will unbedingt ein drittes Mal zu Olympia. Was Größeres gibt es für einen Sportler nicht", sagte Hens im Gespräch mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Herr Hens, mit welchen Erwartungen sind Sie und die Mannschaft in Nis eingetroffen?

Pascal Hens: Wir haben in den vergangenen Wochen gut trainiert, und wenn wir unsere Leistung abrufen können, sollten wir in der Lage sein, einen der beiden Plätze zu erobern, die uns berechtigen, im April an einem Olympia-Qualifikationsturnier für London teilzunehmen. Das ist unser Ziel.

+++ HSV-Star Pascal Hens kämpft für seinen Traum +++

Dazu könnte sogar Platz neun oder zehn bei der Europameisterschaft reichen.

Hens: Es wäre ein großer Fehler, jetzt zu sagen, wir wollen Dritter, Vierter oder sonst was werden. Ich will Sie nicht damit langweilen, dass wir von Spiel zu Spiel denken, aber genau das müssen wir tun. Die Konstellation, welcher Platz am Ende zur Olympia-Qualifikation reicht, kann sich täglich ändern. Wenn wir uns damit ständig befassten, würde das nur vom Wesentlichen ablenken, und das ist, Spiele zu gewinnen. Das Erreichen des Qualifikationsturniers wäre ohnehin der erste Schritt, danach wird es immer noch schwer genug, das Olympiaticket zu lösen.

Sie haben sich zuletzt wiederholt skeptisch über den Leistungsstand der Handball-Nationalmannschaft geäußert.

Hens: Nicht skeptisch, realistisch. Wir sind in der Weltspitze nicht mehr ganz vorne dabei. Dennoch haben wir keine schlechte Truppe. Uns fehlt jedoch Konstanz, das ist unser größtes Problem. Bei dem annähernd ausgeglichenen Leistungsniveau der zehn, zwölf besten Mannschaften in Europa kann das der entscheidende Faktor werden. In den beiden letzten Testspielen gegen Ungarn, von denen wir das erste gewonnen und das zweite verloren haben, hat einmal der Angriff gut funktioniert, das andere Mal die Deckungsarbeit. Wünschenswert wäre es, wenn wir es endlich mal hinbekämen, dass beides funktioniert. Schaffen wir das, könnte es mit einer guten Platzierung klappen. Keine Frage, es muss schon einiges passen, damit wir unser Ziel erreichen. Aber eigentlich bin ich da ganz optimistisch.

Weil die Stimmung im Team bislang hervorragend ist?

Hens: Wir kennen uns alle zum Teil sehr lange und mögen uns. Ich habe aber noch keine Mannschaft erlebt, in der die Stimmung vor einem Turnier schlecht ist. Erst im Turnier zeigt sich, ob ein Team wirklich harmoniert.

Und dafür haben Sie als Mannschaftskapitän zu sorgen?

Hens: Ich sehe mich schon als eine Art Leitwolf für die anderen Spieler, der vorneweg geht, vor allem wenn es mal nicht so läuft. Dann bin ich sicherlich mehr als sonst und als andere gefordert.

Hat Bundestrainer Martin Heuberger Ihnen diese Rolle zugeteilt?

Hens: Das musste er nicht, wir haben darüber auch nicht explizit gesprochen. Er weiß ja genau, wie ich ticke, welche Erwartungen ich auch an mich selbst stelle. Da müssen wir nicht groß darüber reden.

Welcher Typ Trainer ist Heuberger im Vergleich zu seinem Vorgänger Heiner Brand, den er im Juli 2011 ablöste?

Hens: Auf diese Frage habe ich schon gewartet. Sie wird mir ständig gestellt. Ich halte jedoch nichts davon, Trainer zu vergleichen. Das habe ich beim HSV nicht gemacht, als Per Carlén im vergangenen Sommer Martin Schwalb abgelöst hat, und das werde ich auch bei der Nationalmannschaft nicht tun.

Vielleicht können Sie uns dafür den Unterschied zwischen der Mannschaft, mit der sie vor fünf Jahren in Deutschland Weltmeister geworden sind, und dem Team von heute erklären.

Hens: Bei uns haben einige erfahrene Spieler aufgehört, andere sind aus persönlichen Gründen nicht mehr dabei. Wir befinden uns in einer Phase des Umbruchs. Dass dieser Prozess lange dauern kann, zeigen uns ehemals große Handballnationen wie Russland oder Schweden, auch wenn die Schweden bei ihrer Heim-WM im vergangenen Jahr Vierter geworden sind.

Sie bereiten uns also auf eine lange Zeit der Erfolglosigkeit vor.

Hens: Das will ich damit nicht sagen. Wir haben immer noch genug starke Spieler, die internationalen Ansprüchen genügen. Was uns in kritischen Situationen fehlt, sind solch erfahrene Typen, wie Markus Baur einer bei der WM 2007 war. Der hat das als Spielmacher alles super geregelt, der wusste, was zu tun ist, wenn es mal an der einen oder anderen Stelle hakte. Oder nehmen Sie beim HSV Guillaume Gille. Der hat uns in der vergangenen Hinserie der Bundesliga mit seiner Erfahrung öfter mal das Hinterteil gerettet. Solche Leute brauchst du. Die machen letztlich aus einer guten eine sehr gute Mannschaft.

Es fehlt der Mannschaft nicht nur an diesen Typen, auch das Selbstbewusstsein scheint nicht besonders ausgeprägt.

Hens: Woher soll das auch kommen? Vom elften Platz bei der WM 2011 oder vom zehnten Platz bei der EM 2010? Wenn es schlecht läuft, dann können wir eben nicht auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen und uns sagen, dann machen wir das so wie im letzten Spiel, da haben wir das ja auch schon supergeil hingekriegt. Das unterscheidet uns - unter vielem anderen - von den Franzosen. Die haben zuletzt alle Titel gewonnen, die bringt nichts mehr aus der Ruhe. Die wissen einfach, sie kriegen das schon irgendwie wieder hin, wie sie es immer irgendwie hinbekommen haben. In diese komfortable Lage musst du als Mannschaft erst einmal kommen. Das beste Konzept ist und bleibt Erfolg.

Wen schätzen Sie als Ihre schärfsten Konkurrenten um die zwei freien Plätze für die Olympia-Qualifikation ein?

Hens: Polen, Serbien als Gastgeber. Auch die Tschechen, am Sonntag unser erster Gegner, sind zu beachten. Bei der Leistungsdichte einer EM sind Vorhersagen schwer zu treffen.

Olympia in London ist das große Ziel. Dabei dürften Sie keine schönen Erinnerungen an Olympische Spiele haben. 2004 in Athen waren Sie während des Turniers verletzt, 2008 in Peking haben Sie sich den Schienbeinkopf gebrochen.

Hens: Gerade deshalb will ich ein drittes Mal zu Olympia, um die Spiele hoffentlich einmal ohne Verletzung genießen zu können. Olympia ist für jeden Sportler das Größte. Die Begegnungen mit all den anderen Athleten aus aller Welt - das sind einmalige Erlebnisse.

Und nach London beenden Sie Ihre Karriere in der Nationalmannschaft?

Hens: Das ist gut möglich, aber jetzt spielen wir erst einmal die EM.

Danach kehren Sie zum HSV zurück. Wer wird Ihr neuer Trainer?

Hens : Da bin ich der falsche Ansprechpartner.

Warum musste Per Carlén, der alte HSV-Trainer, zum Jahresende gehen?

Hens: Dazu möchte ich nichts sagen. Nur so viel: Es war bei Weitem nicht alles schlecht, aber zwischen Mannschaft und Trainer sollte es stimmen. Aber natürlich sind in erster Linie wir Spieler in der Verantwortung. Wir haben zuletzt nicht den Handball gespielt, der unseren Ansprüchen entspricht.

Weil die Mannschaft zu alt ist?

Hens: Sie ist ein halbes Jahr älter als jene, mit der wir deutscher Meister geworden sind.

Die Verletzungen im Team haben jedoch zugenommen.

Hens: Ältere Spieler sind sicherlich verletzungsanfälliger. Das ist bei dem Programm, das wir Handballspieler leisten müssen, keine Überraschung. Aber bei uns kam viel Pech dazu. Dass Oscar Carlén sich erneut das Kreuzband reißen würde und Mimi Kraus nach einem Autounfall fast fünf Monate ausfällt, hat uns hart getroffen.

Sie dagegen scheinen wieder in Höchstform zu sein, sowohl beim HSV als auch in der Nationalmannschaft waren Sie zuletzt oft der herausragende Spieler.

Hens: Ich bin nach Olympia 2008 von schweren Verletzungen verschont geblieben, das macht eine Menge aus. Mit meinen Füßen habe ich allerdings weiter so meine Probleme. Ich muss mich dann mal im Training zurücknehmen oder mal einen Tag Pause machen. Im Augenblick fühle ich mich gut, auch wenn ich die Belastungen schon spüre. Handballspielen macht mir jedoch nach wie vor Riesenspaß, sodass ich das eine oder andere Zipperlein vergesse. Erfolg bleibt dabei die beste Medizin.