Ein bisschen wird es bei dieser Handball-Europameisterschaft sein wie bei einer Bundestagswahl. Nach jedem Spiel wird es neue Hochrechnungen geben, wie die Chancen der deutschen Mannschaft stehen, es in eines der drei olympischen Qualifikationsturniere im April zu schaffen. Dafür könnte im besten Fall schon der zehnte Platz reichen - was dem Turnier immerhin Spannung auch für den Fall garantiert, dass wir mit dem Kampf um die Medaillen nichts zu tun haben werden. Mehr als dieses Minimalziel dürfen wir von der deutschen Mannschaft wohl nicht erwarten. Sie tut es offenbar selbst nicht einmal. Woher soll das Selbstbewusstsein auch kommen, wenn man in der Vorbereitung nicht einmal zu Hause gegen die Ungarn besteht, die nun wirklich nicht das Maß aller Dinge sind? Schon beim Supercup im November im eigenen Land gingen alle drei Spiele gegen Dänemark, Spanien und Schweden verloren. So verständlich der Wunsch des neuen Bundestrainers Martin Heuberger war, jenes Turnier als Probierfeld zu nutzen, so teile ich doch die Kritik von HSV-Präsident Martin Schwalb: So kurz vor Olympia ist nicht der Zeitpunkt für einen Neuaufbau - abgesehen davon, dass ich gar nicht wüsste, wie er aussehen sollte.

Sollten nach den Frauen auch die Männer die Spiele in London verpassen, wäre das ein Rückschlag für den Handball. Eine Chance vermag ich darin beim besten Willen nicht zu erkennen, im Gegenteil: Die Chance liegt vielmehr darin, sich in London von anderen Ballsportarten wie Basketball, die sich nicht qualifizieren konnten, weiter abzusetzen. Den Umbruch kann man danach immer noch einleiten.

Vor allem auf der Achse Torwart/Mittelmann/Kreis bestünde Handlungsbedarf. Den Torleuten Silvio Heinevetter und Carsten Lichtlein fehlt zwar nicht die Qualität, wohl aber die Konstanz. Christoph Theuerkauf ist ein guter Kreisläufer, in der Abwehr freilich nicht einsetzbar. Eine Problemzone bleibt die Rückraummitte. Michael Haaß ist zwar körperlich stark und ein guter Deckungsspieler, nur frei von jeder Kreativität. Und Martin Strobel fehlt als Spielmacher schlichtweg die Klasse. Solange die Zentrale so schwach besetzt ist, werden auch Pascal Hens (links) und Holger Glandorf (rechts) auf den Halbpositionen im Rückraum nur schwer zur Entfaltung kommen.

Es ist leider kein Zufall, dass nur drei unserer EM-Teilnehmer von den Topklubs THW Kiel und HSV Hamburg kommen. Die Entwicklung ist in dieser Hinsicht gegenläufig zu der im Fußball. Gerade im Rückraum ist das Reservoir gut ausgebildeter Spieler begrenzt. Umso weniger Verständnis habe ich dafür, dass Torhüter Johannes Bitter, Michael Kraus (beide HSV) und Kiels Christian Zeitz in dieser misslichen Situation keine Verantwortung übernehmen, sondern der Nationalmannschaft abgesagt haben. Ihre Klasse fehlt uns sehr. So gut ihre Beweggründe im Einzelnen auch sein mögen: Für die Nationalmannschaft zu spielen ist keine Last, sondern eine Ehre. Im Übrigen hängt davon auch der eigene Marktwert ab.

Von Sonntag an darf also gerechnet werden oder besser: Wir dürfen das. Sollte auch die Mannschaft dieser Versuchung erliegen, wird sie schnell enttäuscht werden. Heubergers große Aufgabe wird sein, die Spieler auf jede Partie zu fokussieren und alles andere auszublenden. Nur dann hat die Mannschaft eine Chance.