HSV-Handballer stehen nach dem Rauswurf Per Carléns vor einer Richtungsentscheidung. Wird Martin Schwalb wieder das Sagen haben?

Hamburg. Das Jahr 2011 war das erfolgreichste, aber auch das teuerste in der bisherigen Geschichte des Handball Sportvereins (HSV) Hamburg seit seiner Gründung 2002. Durch den Gewinn der ersten deutschen Meisterschaft wurden im Sommer Prämien an Spieler und Trainer von insgesamt einer halben Million Euro fällig. Jetzt drohen nach einer umfangreichen Steuerprüfung von Bundesfinanzbeamten Nachzahlungen für die vergangenen drei Jahre von zusammen bis zu 300 000 Euro. Das Finanzamt betrachtet die Vergabe von Freikarten und VIP-Einladungen an Funktionäre, Spielerfrauen und Geschäftspartner, eine übliche Praxis bei vielen Vereinen, wie schon bei den Fußball-Bundesligaklubs als zu versteuernden geldwerten Vorteil für die Begünstigten. Statt der Betroffenen will wohl der HSV die zusätzlichen Abgaben entrichten, um Missstimmungen zu vermeiden. Und kurz vor Jahresschluss 2011 schlägt dem Klub, Saisonetat: gut zehn Millionen Euro, die Trennung von Trainer Per Carlén noch einmal kräftig in die Bilanz. Etwa 600 000 Euro Gehalt stehen dem Schweden bis zum Vertragsende am 30. Juni 2014 zu.

Finanzielle Engpässe hat bislang stets der ehemalige Präsident Andreas Rudolph, 56, mit 74,9 Prozent Mehrheitsgesellschafter der Spielbetriebs GmbH, großzügig ausgeglichen. Bis zu vier Millionen Euro hat der alerte Medizinunternehmer in der Vergangenheit jährlich in den Klub gepumpt, und der Rausschmiss Carléns deutet darauf hin, dass Rudolph weiter eher gewillt ist, Spitzenhandball zu subventionieren, als das Abgleiten der Meistermannschaft ins gehobene Mittelmaß zu tolerieren. Der momentane dritte Tabellenplatz, vor allem jedoch die acht Punkte Rückstand auf Rekordmeister THW Kiel, widersprechen bereits den hohen Ansprüchen des Sponsors und Mäzens.

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Die anstehende Besetzung des vakanten Cheftrainerpostens könnte dennoch zu einer Richtungsentscheidung werden, weil Rudolph bei aller Handball-Leidenschaft auf Dauer doch ein wirtschaftliches Verhältnis von Aufwand und Ertrag beim HSV anstrebt. Das jetzige Team, das älteste der Bundesliga, verlangt als Trainer allerdings eine gestandene Persönlichkeit, eine Autorität, die Carlén offenbar in den Augen einiger Profis nicht darstellte.

Autorität, das ist die Kategorie Talant Duischebajew (Atlético Madrid), Zvonimir Serdarusic (früher THW Kiel) oder Ola Lindgren und Staffan Olsson, die gemeinsam die schwedische Nationalmannschaft coachen. Trainer mit dieser Reputation kosten. Rudolph wäre gezwungen, weitere Millionen bereitzustellen. Die preiswertere Alternative scheint eine interne Trio-Lösung mit dem jetzigen Spielmacher Guillaume Gille, Co- und Nachwuchstrainer Jens Häusler sowie Präsident Martin Schwalb, der dann als Meistertrainer die letzte Instanz darstellte. Diese Variante wiederum wäre ohne einen personellen Umbruch des Teams, einer deutlichen Verjüngung, wenig Erfolg versprechend. Die meisten HSV-Spieler aber haben langfristige Verträge. Gille, 35, der eine Trainerlizenz besitzt, stünde zudem erst nach den Olympischen Spielen in London Ende August zur Verfügung. Dass es beim HSV um mehr geht als um einen neuen Trainer, macht den Entscheidungsprozess so schwierig und wohl auch langwierig.