Beim 34:29 über Göppingen leistete sich der Handballmeister einen katastrophalen Start. Die Hamburger lagen mit acht Toren hinten.

Hamburg. Als Matthias Flohr an der Siebenmeterlinie auf- und abfederte, den Ball wurfbereit in der rechten Hand, da spürte jeder der 13 171 Besucher in der ausverkauften O2 World, dass sich die Partie in diesen Sekunden drehen würde - oder gar nicht mehr. 2:10 lag der deutsche Handballmeister HSV Hamburg im letzten Bundesligaspiel des Jahres 2011 gegen Frisch Auf Göppingen zurück nach einer Anfangsphase, wie es sie sehr lange nicht mehr gegeben hatte. Vier Siebenmeter hatte die Mannschaft von Trainer Per Carlén vergeben, je zwei durch Hans Lindberg und Michael Kraus, die von der kürzlich entbrannten Diskussion darum, wer denn nun der erste Siebenmeterschütze bei den Hamburgern sein darf, entnervt schienen.

Nun war der fünfte Siebenmeter gepfiffen worden. Lindberg blickte zu Kraus, der schaute zum Trainer - bis sich Flohr den Ball griff und unter lautstarker Unterstützung der Anhänger zur Linie schritt. Wenige Sekunden später entlud sich die Anspannung des 29-Jährigen in einem lauten Torschrei, der im Jubel der Fans unterging. Nun mag es vermessen sein, eine Szene aus der 17. Minute zur spielentscheidenden zu erklären. Dennoch war Flohrs Tor ein Brustlöser für die Mannschaft. Plötzlich war der HSV wieder im Spiel, angetrieben von den eingewechselten Guillaume Gille und Pascal Hens sowie vom famos haltenden Dan Beutler, der 19 von 41 Bälle auf sein Tor abwehren konnte. Eine Minute vor der Halbzeit warf Kapitän Hens sein Team zum zweiten Mal (nach dem 1:0 durch Flohr) in Führung, die der Meister bis zum Abpfiff auf fünf Tore ausbaute. 34:29 (14:14) hieß es nach 60 Minuten. "Am Anfang hat bei uns wohl noch die Weihnachtsgans mitgespielt. Aber wenn wir so spielen wie in den letzten 45 Minuten, werden wir wieder zum alten HSV werden", sagte Hens, der mit sieben Toren bester HSV-Werfer war. Beutler, der beim Stand von 26:25 im sechsten Versuch den ersten Siebenmeter gegen Mitar Markez hielt und damit für den zweiten Knackpunkt der Partie sorgte, sagte: "Auch wenn das komisch klingt: Ich habe trotz des 2:10-Rückstands keine Sorgen gehabt, weil wir in der Abwehr gut standen." Flohr, der mit seiner Leidenschaft den Impuls zur Aufholjagd gegeben hatte, wollte seinen Beitrag nicht überbewertet wissen. "Moralisch war dieser Sieg großartig, aber wir dürfen uns nicht so leicht aus dem Konzept bringen lassen", sagte er, "nach diesem Kraftakt bin ich froh, jetzt Urlaub zu haben."

+++ Lesen Sie hier alles über die HSV-Handballer +++

Trainer Carlén kündigte an, "diesen Riesen-Fehlstart in Ruhe analysieren" zu wollen. Dazu hat er nun ausreichend Zeit, denn der HSV nimmt erst am 8. Februar gegen die Füchse Berlin den Spielbetrieb wieder auf. Hens reist heute weiter nach Baden-Baden, wo er sich mit der deutschen Nationalmannschaft zu einem dreitägigen Lehrgang trifft. Auch für sieben seiner ausländischen Teamkollegen beginnt die Vorbereitung auf die Europameisterschaft in Serbien (15. bis 29. Januar).

Somit verbleiben sechs Wochen, um das turbulente zweite Halbjahr Revue passieren zu lassen. Es gäbe einiges aufzuarbeiten. Die Frage, warum die Mannschaft nicht an die meisterliche Form anknüpfen konnte, ist bislang nicht befriedigend beantwortet. Einzig in der Champions League wurde der HSV seinen Ansprüchen gerecht: sieben Spiele, sieben Siege. Einer großen Mannschaft ist der deutsche Meister hier indes noch nicht begegnet. Die Hoffnungen auf einen Titel dürften sich auf den DHB-Pokal reduzieren, bei dem der HSV bei der Endrunde am 5./6. Mai Hausrecht hat, sofern er am 29. Februar beim Drittligisten Aue sein Viertelfinalspiel unbeschadet übersteht.

In der Liga hat ist nur noch das Minimalziel Platz drei verblieben, der zur Teilnahme an der Champions League berechtigt. HSV-Präsident Martin Schwalb sagte: "Wir schauen nur noch auf uns." Den nötigen Weitblick wird der letztjährige Meistertrainer in der Wettkampfpause haben. Schwalb hat für Januar einen Skiurlaub in den Tiroler Bergen gebucht.

Tore, HSV: Hens 7, Flohr 6 (4 Siebenmeter), Lindberg 6, Vugrinec 5, Duvnjak 4, Vori 3, Kraus, B. Gille, G. Gille. Göppingen: Rnic 8, Markez 5 (5), Schubert, Haaß, Schöne je 3, Thiede, Späth, Mrvaljevic je 2, Oprea. Strafzeiten: 3/5. SR.: Schulze/Tönnies (Steuden/Dodendorf). Z.: 13 171 (ausverkauft).