Am Ende eines langen Weges können die HSV-Handballer heute ihre erste Meisterschaft mit einem Sieg über Gummersbach vollenden.

Hamburg. Wer in den vergangenen Tagen mit Martin Schwalb zu tun hatte, der konnte einen entspannten Trainer erleben. Über Wochen hatte er wie ein Torhüter jeden Glückwunsch schon im Anflug wortreich pariert. Doch nun hat Schwalb, 48, den Widerstand aufgegeben - nicht aus Resignation, sondern in der Gewissheit, dass nichts mehr passieren kann. Der Handball-Sport-Verein, kurz HSV Hamburg, wird zum ersten Mal deutscher Meister werden. "Den Titel", da ist sich Schwalb inzwischen sicher, "gewinnen wir auf jeden Fall." Wenn nicht schon heute in der ausverkauften O2 World durch einen Sieg im Heimspiel gegen den VfL Gummersbach (20.15 Uhr), das nur im Internet gegen Gebühr bei Sport 1.de live zu sehen ist (Sport 1 plant wegen des Viertelfinales bei der Eishockey-WM lediglich Liveschaltungen), dann eben am 21. Mai im Spiel beim Tabellenletzten Ludwigshafen-Friesenheim.

Präsident Andreas Rudolph denkt nicht daran, so lange zu warten: "Wir holen den fehlenden Sieg schon am Mittwoch." Alles andere würde schließlich die Planungen des gebürtigen Gummersbachers durcheinander werfen. Für morgen hat Rudolph, 56, die gesamte Mannschaft zu einem viertägigen Aufenthalt in seinem Anwesen auf der Sonneninsel Mallorca eingeladen. Mehr als 20 Millionen Euro soll der Medizinunternehmer seit seinem Amtsantritt Ende 2004 in den Verein gesteckt haben. Fast sieben Jahre später wirft die Investition die größtmögliche sportliche Rendite ab - gerade rechtzeitig vor Rudolphs Rückzug von seinen Vereinsämtern. Es war ein langer Aufstieg auf den Gipfel, und seine Anfänge blieben von der Öffentlichkeit fast unbemerkt.

17. August 2002: Die Handballer feiern nach ihrem Transfer aus Bad Schwartau Premiere in Hamburg. Das Turnier mit Flensburg-Handewitt und dem dänischen Klub Gudme lockt 100 Fans in die Sporthalle Wandsbek. Manager Werner Nowak beschwichtigt: "Die Leute kommen, wenn es um Punkte geht."

7. September 2002: Der HSV gewinnt in der Sporthalle Hamburg gegen Minden sein erstes Bundesligaspiel mit 22:20 - vor offiziell 3700 Zuschauern. Bei der anschließenden Pressekonferenz muss Nowak einräumen, dass es nicht der, sondern die HSV heißen müsste, weil der Verein als "Handball-Spiel-Vereinigung" eingetragen ist. Er verspricht eine baldige Namensänderung.

30. November 2002: Die neue O2 World, die damals noch Color-Line-Arena heißt, ist erstmals bei einem Handballspiel ausverkauft. 12 636 Zuschauer bezeugen den 30:26-Sieg gegen Flensburg. Zwei Wochen später wird Trainer Anders Fältnäs durch Bob Hanning ersetzt. Der übernimmt in Personalunion die Aufgaben des Managers, Pressesprechers und Maskottchens.

3. Juli 2003: Pascal Hens wird bei einer Pressekonferenz in einer Garage als Neuzugang vorgestellt. Der 23-Jährige soll zusammen mit Torsten Jansen die Mannschaft um die Brüder Bertrand und Guillaume Gille verstärken. Hens sagt: "Wir können hier etwas ganz Großes aufbauen." Die Ablösesumme hat der spätere Kapitän mit 35 000 Euro aus eigener Tasche mitfinanziert.

20. September 2003: Der HSV übernimmt durch einen 29:23-Sieg über die SG Kronau-Östringen erstmals die Tabellenführung der Bundesliga. Doch nur 3500 Zuschauer wollen es miterleben. Die Finanzierung des Etats von 4,5 Millionen Euro steht ernsthaft infrage. Hanning verspricht, sich nur noch um den Sport zu kümmern. Er wird den Vorsatz nicht umsetzen.

9. Juni 2004: Arena-Chef Uwe Frommhold klagt 145 699,92 Euro Miete vom HSV ein. Klubboss Winfried Klimek erscheint nicht zum Gerichtstermin und wird später erklären, nichts davon gewusst zu haben.

8. September 2004: Der HSV gewinnt beim Supercup in Dessau mit 25:24 gegen Meister Flensburg seinen ersten Titel. Die Freude wird getrübt durch ein Fax, in dem Fältnäs ausstehende Gehälter anmahnt. Auch mehrere Spieler sollen offene Forderungen haben.

3. Dezember 2004: Vor Klimeks Schreibtisch im Vorstandszimmer der Lübecker Galaxis AG erscheinen Beamte der Lübecker Staatsanwaltschaft und nehmen den Hauptgesellschafter des HSV wegen des Verdachts des Betrugs und der Untreue fest. Der Spielbetriebsgesellschaft des Vereins, der zu diesem Zeitpunkt die Bundesliga-Tabelle anführt, droht die Insolvenz. Die Liga verhängt acht Punkte Abzug wegen Fehlern im Lizenzverfahren.

26. Dezember 2004: Andreas Rudolph unterbricht seinen Skiurlaub und trifft kurz vor dem Spiel in Magdeburg ein. Der Medizinunternehmer und frühere Bundesligaspieler will den Klub als Präsident aus der Krise führen. Zwei Dinge sind ihm bei seinem ersten öffentlichen Auftritt wichtig: Erstens sei er nicht der Geldonkel des HSV. Und zweitens fühle er sich fit genug, um nicht als "millionenschwer" bezeichnet zu werden.

24. Januar 2005: Rudolph erklärt die Sanierungsmaßnahmen des HSV für beendet. Die Gefahr eines Zwangsabstiegs sei gebannt. Eine Broschüre wird verteilt, in der die künftigen Strukturen und die sportlichen Ziele bis 2010 definiert werden: der Gewinn mindestens einer deutschen Meisterschaft, des DHB-Pokals und der Champions League. Mehr als 80 Prozent aller Heimspiele sollen ausverkauft sein.

2. Mai 2005: Nachdem die Mannschaft offen rebelliert, muss Hanning sein Amt aufgeben.

9. April 2006: Unter dem neuen Trainer Martin Schwalb feiert der HSV sensationell den Gewinn des DHB-Pokals.

19. Februar 2007: Bei der Hamburger Sportgala wird der HSV erstmals zur Mannschaft des Jahres gewählt. Für das Ansehen ist dieser Titel - trotz des im Mai folgenden Europacupsiegs und des zweiten Pokaltriumphs im vergangenen Jahr - vielleicht der wichtigste gewesen. Doch diese Einschätzung dürfte heute Abend nur noch Geschichte sein.