In der 88. Minute führten die Hamburger noch 2:1. Doch dann drehten die Berliner die Partie per Doppelschlag. Nach dem 2:3 gegen Hertha kämpft St. Pauli weiterhin gegen den Abstieg.

Hamburg. Diesmal fehlten fünf Minuten. Fünf Minuten, in denen der FC St. Pauli seine ganze Verwundbarkeit offenbarte und eine Vorentscheidung im Kampf gegen den Abstieg erneut verpasste. 2:3 (0:1) hieß es am Sonntag nach 90 intensiven und am Ende dramatischen Minuten gegen Tabellenführer und Aufsteiger Hertha BSC, der unzweifelhaft besten Zweitligamannschaft dieser Saison. Zwei Niederlagen musste die Berliner Mannschaft von Trainer Jos Luhukay in dieser Spielzeit erst einstecken, bis fünf Minuten vor Schluss sah es ganz danach aus, als käme eine Woche nach der Aufstiegsfeier eine weitere dazu.

St. Pauli war vor 29.063 Zuschauern am Millerntor in der 85. Minute durch einen Foulelfmeter von Daniel Ginczek - es war sein 15. Saisontor - mit 2:1 in Führung gegangen, hatte das Spiel nach dem Rückstand zu seinen Gunsten gedreht und alles deutete daraufhin, dass die Mannschaft von Michael Frontzeck diesmal endlich den entscheidenden Sieg einfahren und den Klassenverbleib sichern könnte.

Doch es gelang nicht, das Ergebnis über die Zeit zu retten, nicht einmal einen Punkt, der dem Selbstvertrauen sicher schon gutgetan hätte, konnten die Braunweißen am Millerntor behalten. Das lag zum einen an der großen individuellen Klasse des Berliner Mittelfeldregisseurs Ronny, der in der 88. Minute den Ball zum Ausgleich in den Winkel schlenzte, und an der stark besetzten Bank der Herthaner, die kurz vor Schluss den Siegtorschützen Sandro Wagner aufs Feld schicken konnten.

Es lag jedoch vor allem auch an der mangelhaften Defensivleistung der Hamburger. Christopher Avevor, der schon in der ersten Hälfte durch einen groben Schnitzer die Führung der Berliner ermöglicht hatte, tat sich dabei besonders hervor. Vor dem Ausgleich wagte der 21-Jährige ein Dribbling im Gewühl vor dem eigenen Strafraum, anstatt den Ball so weit wie möglich aus der Gefahrenzone zu befördern. Er verlor das Spielgerät, das Ronny vor die Füße sprang und Sekundenbruchteile später im Netz hinter Torhüter Philipp Tschauner landete.

Ein ärgerliches Gegentor, und die Enttäuschung war schon zu diesem Zeitpunkt spürbar. Wie schon bei der Pleite in Dresden (2:3), wählte St. Pauli das falsche Mittel und zog sich in den eigenen Sechzehner zurück. Doch keine zwei Minuten später zeigte Rechtsverteidiger Jan-Philipp Kalla stellvertretend für den Abwehrverbund all seine Nervosität. Unbedrängt scheiterte er an dem Versuch, einen hohen Ball zu klären und legte stattdessen für Lewan Kobiashvili auf, der unbedrängt zu Wagner flanken konnte.

"Die Bälle müssen wir wegnageln", sagte Florian Bruns. Ginczek fügte an: "Das waren drei ganz dumme Gegentore. So einfache Fehler dürfen wir nicht machen." Ärger und Enttäuschung machten sich auch in der Führungsetage des Klubs breit. "Das tut richtig weh, wenn man fünf Minuten vor Schluss denkt, man ist durch", sagte ein bedienter Vizepräsident Bernd-Georg Spies. Es war nach den Niederlagen gegen die direkten Konkurrenten Dynamo Dresden und VfL Bochum (0:3) der dritte Matchball, den St. Pauli in den letzten Wochen vergab. Bei weiterhin fünf Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz und noch drei ausstehenden Spielen zittern sich die Hamburger dem Ende der Saison entgegen.

Der Hauptgrund dafür ist nicht mehr wie noch zur Mitte der Saison die Abschlussschwäche, mittlerweile ist es die fehlerhafte Defensive, die St. Pauli die Punkte kostet. 18 Gegentore in den jüngsten sieben Spielen haben eine magere Ausbeute von nur sieben Zählern zur Folge. Nur Sandhausen, Cottbus und Regensburg holten in diesem Zeitraum weniger Punkte.

"Das war wieder ein Schlag ins Gesicht", sagte Bruns. "Aber es ist schon die ganze Zeit ziemlich ungemütlich für uns. Wenn du schon einige Male die Chance hattest und dann wieder mit leeren Händen dastehst, ist das bitter. Einen Dreier brauchen wir noch."

Die Zeit der Floskeln und Durchhalteparolen ist längst angebrochen. Von Aufrichten ist da die Rede, vom Mund abputzen und davon, die Köpfe wieder freizukriegen. Und davon, sich beim Auswärtsspiel am kommenden Sonntag in Duisburg für die Leistung gegen den Tabellenführer zu belohnen. Denn nach den ersten 30 Minuten, in denen die Berliner ihre Dominanz ausspielten, und der Einwechslung von Marius Ebbers für Patrick Funk kam der FC St. Pauli besser ins Spiel. Noch in der ersten Hälfte erarbeitete sich die Frontzeck-Elf Chancen zum Ausgleich und hatte nach der Pause zwischen der 60. und der 85. Minute ihre beste Phase. Plötzlich gelangen Spielzüge, die zuvor nicht zu sehen gewesen waren, plötzlich unterstützte das Publikum lautstark die kämpfende Mannschaft.

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Folgerichtig fiel der Ausgleich. Lennart Thy erzielte nach feinem Doppelpass mit dem ansonsten schwachen Fin Bartels sein erstes Saisontor, Ginczek verpasste nach einem Drehschuss ans Lattenkreuz die Führung, ließ sich die nächste Chance aber nicht entgehen und verwandelte den Foulelfmeter, den Hertha-Keeper Thomas Kraft an Ebbers verschuldete, sicher. Der Sieg wäre trotz schwächerer erster Halbzeit nicht unverdient gewesen. "Wir haben viel investiert", erinnerte ein wortkarger Michael Frontzeck mit zusammengezogenen Augenbrauen an die Zeit vor der 88. Minute. Und selbst Jos Luhukay musste zugeben: "Das ist bitter für St. Pauli. Aber ich kann mich ja nicht dafür entschuldigen."

Nein, die Schuld muss St. Pauli bei sich selbst suchen. "Wenn man in der 85. Minute das 2:1 macht, dann muss man den Gegner danach einfach mehr unter Druck setzen, und wenn man hinterher tot umfällt", sagte Sebastian Schachten. Bei St. Pauli sind alle noch wohlauf.

Das Schema

St. Pauli: Tschauner – Kalla, Avevor, Thorandt, Schachten – Funk (38. Ebbers), Bruns (82. Boll) – Bartels, Daube, Thy (72. Gyau) – Ginczek. – Trainer: Frontzeck

Hertha: Kraft – Ndjeng, Franz (85. Hubnik), Brooks, Kobiaschwilli – Lustenberger, Morales – Allagui (67. Sahar), Ronny, Ben-Hatira (79. Wagner) – Ramos. – Trainer: Luhukay

Schiedsrichter: Felix Brych (München)

Tore: 0:1 Allagui (23.), 1:1 Thy (66.), 2:1 Ginczek (85., Foulelfmeter), 2:2 Ronny (88.), 2:3 Wagner (90.)

Zuschauer: 29.063 (ausverkauft)

Gelbe Karten: Schachten (7), Boll (3), Bartels (7) – Kraft (2), Allagui (2), Franz (5), Ndjeng (5)