Trotz vieler Stellungsfehler und schwacher Defensivleistung kommt St. Pauli zu einem glücklichen 2:1 gegen den FSV Frankfurt.

Hamburg. Es lief die 84. Spielminute am Millerntor. Zafer Yelen legte sich 17 Meter vor dem Tor des FC St. Pauli den Ball zurecht, als die Zuschauer im erneut ausverkauften Stadion ihre "St. Pauli"-Rufe in einer Lautstärke auf den Platz zu schmettern begannen, dass man das Gefühl hatte, sie wollten Yelens Freistoß allein per Schallwelle am Pfosten vorbeilenken. Was nicht nötig war, da der Frankfurter den Ball unplatziert in die Mauer drosch, 30 Sekunden darauf aber aus ähnlicher Entfernung schon den nächsten Standard direkt auf das Tor brachte und nur Philipp Tschauners Fingerspitzen, unter Mithilfe der akustischen Unterstützung, den 2:2-Ausgleich verhinderten. St. Pauli wankte, St. Pauli taumelte - und war froh, vor allem aber erleichtert, als Harm Osmers bereits nach 1:24 Minuten der mit zwei Minuten angegebenen Nachspielzeit in seine Pfeife blies und zum Mittelkreis deutete.

Selbst der Schiedsrichter half mit, die knappe Führung über die Ziellinie zu retten, nachdem während der 90 Minuten gleich dreimal der Pfosten den Hamburgern Pate gestanden und der FSV Frankfurt die zahlreichen Fehler St. Paulis nicht zu nutzen gewusst hatte. Selbst beste Möglichkeiten wurden von den Hessen oft nicht erkannt, durch falsche Entscheidungen zunichte gemacht oder kläglich vergeben. Mängel, die der schwache Tabellenzwölfte in solcher Konsequenz und Regelmäßigkeit offenbarte, dass sich über den Bestand der frühen 2:0-Führung jegliche Diskussion zu erübrigen schien. Als es Gaus aber eine Viertelstunde vor dem Ende dann doch gelang, Tschauner zu überwinden, war die Gefahr des Verlusts von drei als sicher verbuchten Punkten plötzlich greifbar. Auf den Rängen fröstelten 24 487 Zuschauer bei zehn Grad Celsius, und auf dem Feld zitterten den elf Hamburgern immer mehr die Knie. "Das Gegentor hat uns schwer verunsichert", erkannte auch André Schubert, "da dürfen wir nicht auf einmal so eine Angst bekommen. Kann sein, dass wir da die letzten Spiele im Hinterkopf hatten. Vom Gefühl her haben alle auf einmal unglaublich schwere Beine bekommen. Das ist Psychologie. "

***Tschauner machte früh dicke Backen, Gunesch musste oft durchpusten***

Dass des Trainers Analyse in den Köpfen seiner Spieler ansetzte, war nur logisch. Einmal mehr hatte St. Pauli einen guten Start in die Partie erwischt und sich phasenweise sehenswert durch die FSV-Reihen kombiniert. Angeführt von Max Kruse, der sich mit seinem achten Saisontor (3. Minute) an die Spitze der Torschützenliste setzte und dank des Zuspiels auf Torschütze Deniz Naki (30.) noch den zwölften Scorerpunkt im zwölften Spiel verbuchte, entsprachen die Braun-Weißen den Wünschen ihres Trainers nach einem frühen Tor und einer guten Partie von Kruse.

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Umso erstaunlicher, wie krass seine Spieler dann immer mehr vom vorgezeichneten Weg abkamen, verschwenderisch mit den Torchancen umgingen und die schon zu Beginn ausgemachten Nachlässigkeiten in der eigenen Hälfte zu einem Festival an Stellungsfehlern, unbedrängten Pässen zum Gegner und schlampig geführten Zweikämpfen werden ließen. Chaotische Züge erhielt in der zweiten Halbzeit dann auch das Offensivspiel, dem vor allem aufgrund falscher Laufwege die nötigen Anspieloptionen genommen wurden. Das Schubert-Team hatte sich nicht nur grundsätzlich selbst ins Abseits gestellt: Elfmal musste Osmers wegen besagten Regelverstoßes abpfeifen. Zählt man die von St. Pauli selbst abgebrochenen Angriffe hinzu, man würde den doppelten Wert erhalten. "Nach der Pause haben wir dann völlig den Faden verloren", bekannte Fabian Boll nach der Partie, "deshalb kann ich mich gar nicht richtig freuen. Unsere Leistung spiegelt nicht die Tabellensituation wider, in der wir uns befinden."

Der Applaus über den 287. Sieg im 700. Zweitligaspiel, mit dem in der ewigen Tabelle der achte Rang erreicht und in der aktuellen der Anschluss gewahrt wurde, hielt sich in Grenzen. Erleichterung dominierte die Gefühlswelt. Auch bei Stadionsprecher Klaus Schüring, der mit seinem Dank an die 200 mitgereisten FSV-Fans via Stadionmikrofon den richtigen Ton traf: "Puh! Geschafft! Liebe Frankfurter, ihr habt euch gut benommen. Kommt gut nach Hause."

Die Statistik

St. Pauli: 13 Tschauner - 20 Schachten (ab 80. Funk), 4 Morena, 11 Gunesch, 27 Kalla - 17 Boll - 18 Kruse, 22 Bartels - 10 Takyi (ab 59. Daube) - 25 Schindler (ab 61. Bruns), 23 Naki. - Trainer: Schubert

Frankfurt : 1 Klandt - 4 Teixeira, 3 Schlicke, 28 Gledson, 19 Gaus - 22 Cinaz (ab 46. Huber), 16 Heitmeier (ab 79. Stark) - 8 Hleb, 37 Yelen, 33 Chrisantus - 9 Benyamina (ab 71. Gallego). - Trainer: Boysen

Schiedsrichter: Harm Osmers (Hannover)

Zuschauer : 24.000

Tore: 1:0 Kruse (3.) , 2:0 Naki (30.) , 2:1 Gaus (76.)

Die aktuelle Folge des FC-St.-Pauli-Video-Podcasts "Pommes braun-weiß" exklusiv mit dem Modell der Wellentribüne und des nicht geschlechtsneutralen Spitznamens von Spieler Ralph Gunesch: www.abendblatt.de/pommes