St. Paulis Sportchef über die Wechsel minderjähriger Talente zwischen Profiklubs und die Neuauflage freiwilliger Selbstbeschränkung.

Hamburg. Es war das Fußballthema der Winterpause: Der Wechsel des 13-jährigen Nico Franke von Sechstligist TeBe Berlin zur TSG Hoffenheim zog eine kontroverse Diskussion und das Bekanntwerden weiterer Transfers minderjähriger Spieler nach sich, darunter auch Alexander Laukart, der den FC St. Pauli im Sommer in Richtung Wolfsburg verlässt. Nun, da der Ball wieder rollt, ist das Thema aus den Schlagzeilen verschwunden - im Gegensatz zum Ärger von St. Paulis Sportchef Helmut Schulte.

Hamburger Abendblatt: Herr Schulte, vor drei Wochen wurde der Wechsel Ihres 13-jährigen Talents Alexander Laukart zum VfL Wolfsburg bekannt, Sie reagierten empört. Haben Sie mittlerweile mit den Wolfsburgern gesprochen?

Helmut Schulte: Wir haben die DFL informiert und den Wolfsburgern schriftlich mitgeteilt, dass wir bei der Sache Bauchschmerzen haben. Sie haben uns daraufhin verdeutlicht, dass sie keine Bauchschmerzen haben.

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Was verursacht Ihre Schmerzen?

Schulte: Zunächst mal wünsche ich mir, dass die Thematik differenzierter betrachtet wird. Die Profiklubs sind in ihren Leistungszentren qua Lizenzauflage zur Ausbildung von Kindern und Jugendlichen im Alter von zwölf bis 23 Jahren verpflichtet. Wenn nun also ein Zwölfjähriger von einem Amateurverein zu einem Profiklub wechselt, dann halte ich das grundsätzlich erst mal für richtig, da er hier unter anderen Bedingungen, in einer anderen Intensität, auf einem höheren Niveau ausgebildet werden kann. Von daher kann ich gegen den Wechsel des Spielers von TeBe Berlin nach Hoffenheim gar nichts sagen. Aber es ist eben ein ganz anderer Fall als bei Alexander Laukart. Er wechselt von einem Leistungszentrum ins andere.

Weil die Wolfsburger bessere Bedingungen als St. Pauli haben?

Schulte: Sehen Sie, es gibt Vereine, die investieren fünf Millionen Euro in den Nachwuchs, und es gibt Vereine, die investieren 500 000 Euro. Wenn Sie nun glauben, dass sich der Jugendliche bei einem Fünf-Millionen-Euro-Klub besser entwickelt, können Sie das tun. Ich glaube es jedoch nicht, das zeigt mir meine Erfahrung. Aufgrund der Lizenzauflagen verfügen alle Leistungszentren, zumindest was die Basis angeht, über die gleichen Standards.

Welche Möglichkeiten hat der Klub, um sein Talent zu halten?

Schulte: Die Jugendlichen dürfen erst mit 15 Jahren einen Ausbildungsvertrag unterschreiben. Bis dahin stehen die Klubs im Wettbewerb, und wer am meisten buhlt oder zahlt, bekommt den Zuschlag. Sich gegenseitig die Talente zu klauen ist ein Herunterbrechen der Praktiken, die im Profibereich gängig sind. "Survival of the fittest" kann aber nicht das richtige Konzept für die Ausbildung von unserem Nachwuchs sein. Das Abwerben ist die Perversion des Ausbildungsgedankens.

Alexander Laukart kam vom HSV zum FC St. Pauli ...

Schulte: ... und aus freien Stücken zu uns. Das war kein aktives Abwerben. Und das würde es sowieso nicht mehr geben, wenn wir noch die freiwillige Selbstbeschränkung hätten. Von 2003 bis 2007 gab es eine wunderbare Ruhe im Ausbildungsbereich.

Weshalb wurde das Gentlemen's Agreement, sich keine Spieler gegenseitig abzuwerben, wieder aufgelöst?

Schulte: Alle waren damit zufrieden, nur Bayern München nicht. Als die sich nicht mehr daran hielten, haben sich zuerst Leverkusen und der HSV und in der Folge einige andere Klubs daran gehängt. Da war es vorbei mit der Ruhe.

Was spricht gegen eine Neuauflage?

Schulte: Nichts. Im Gegenteil: Um abzuwerben oder auch um Abwerbung zu verhindern, wird Geld, Personal und Zeit investiert, das sonst für die Ausbildung der Jungs bereitstünde. Ich weise auf jeder Managertagung darauf hin. Immerhin wird jetzt die Idee einer Ausbildungsentschädigung diskutiert. Ein guter Schritt, aber mit der freiwilligen Selbstbeschränkung nicht vergleichbar.

Abwerbeversuche gab es aber auch zwischen 2003 und 2007.

Schulte: Ja, das ist richtig. Es gibt auch das Gesetz, dass man nicht töten darf, und trotzdem geschehen Morde. Deswegen aber zu sagen, wir machen da nicht mit, weil sich nicht alle daran halten, ist einfach nur dumm. Wer sich außerhalb der Solidargemeinschaft stellt, kann das tun, muss dann aber mit der Ächtung der anderen leben.