Der Aufstieg und Fall des Torhüters und Weltenbummlers Philipp Heerwagen, der nun beim FC St. Pauli erneut seine Chance sucht.

Oliva/Hamburg. Noch einmal strahlte die Sonne zum Abschied. Gestern Nachmittag flogen die Profis des FC St. Pauli zurück nach Hamburg - überwiegend blendend gelaunt. Doch keiner strahlte in den acht Tagen in Oliva so sehr wie Philipp Heerwagen, der neu verpflichtete Torwart.

"Ich sehe wieder ein Lichtlein", sagt der 28-Jährige. 494 Tage im Wartestand liegen hinter ihm, 494 Tage ohne Pflichtspieleinsatz. Beim Termin mit dem Abendblatt erzählt er seine Lebensgeschichte, und man merkt schnell, dass das freundliche Gegenüber mit dem akkurat gescheitelten Haar glücklicher kaum sein könnte.

Im September 2010 war seine Stimmungslage eine ganz andere. Der VfL Bochum, gerade abgestiegen, verlor drei der ersten vier Spiele. Mit einem Torwart, der in allen drei Partien durch eklatante Fehler jeweils einen Treffer verschuldet hatte. Bochum suchte einen Sündenbock - die Fans fanden ihn schnell. Der zuvor zuverlässige Schlussmann wurde ausgepfiffen und von Trainer Friedhelm Funkel anschließend auf die Bank gesetzt. Heerwagen war raus! Raus aus dem Tor, raus aus seiner Karriere. "Die Pfiffe damals waren hart, aber das Schlimmste war der Niedergang. Du warst Stammtorhüter in der Bundesliga, und dann stehst du auf einmal auf der Abschussliste", sagt einer, der zuvor 33 Bundesligaspiele für den VfL und 123 Zweitligapartien für die SpVgg Unterhaching absolviert hatte. Jahrelang war er die Karriereleiter hinaufgeklettert: Nachwuchshoffnung beim FC Bayern, Jugendnationalspieler, erster Profivertrag mit 18, Bundesligatorwart mit 24. Nun schienen drei Fehler alles ausgelöscht zu haben.

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Der Fachabiturient holte sich professionelle Hilfe und arbeitete mit Dr. Thomas Graw, einem renommierten Diplompsychologen, zusammen. Heerwagen spricht darüber ganz offen: "Man sollte sich immer alles anhören, erst dann urteilen und das Beste für sich herausziehen." Der jüngere Bruder der Schauspielerin Bernadette Heerwagen ist, das wird im Gespräch schnell deutlich, neugierig, wissbegierig, interessiert. Er fährt Motorrad, spielt Golf (Handicap 36) "um demütig zu werden", und ist begeisterter Sportschütze: "Da musst du deinen Körper auf den Punkt fühlen." Regelmäßig erweitert er seinen Horizont durch ausgedehnte Reisen. Im Sommer 2008 brach er mit dem Rucksack zu einem fünfeinhalbwöchigen Trip um den Globus auf, besuchte den Orient, Südostasien, Japan, Hawaii, Kanada und Mittelamerika. "Einen Tag mit vietnamesischen Fischern zu verbringen, die nichts Gescheites besitzen und trotzdem zufrieden sind mit sich und der Welt, das gibt dir eine andere Sicht auf die Dinge." Erfahrungen, die ihm halfen, die Krise zu meistern.

Endgültig raus aus dem Abstiegsstrudel ist Heerwagen allerdings nicht. Gut möglich, dass das Kapitel am Millerntor nur ein Intermezzo bleibt, das Leihgeschäft endet im Sommer, der Vertrag in Bochum läuft noch bis 2013. Aber Heerwagen sagt: "Ich trainiere jetzt wieder mit einem Ziel. In Bochum musste ich mich selbst motivieren, hier werde ich von der Sache motiviert."

Hier, beim FC St. Pauli, hatten sie ihn bereits vor zwei Jahren als möglichen Nachfolger für Mathias Hain im Auge gehabt. Jetzt sagt Sportchef Helmut Schulte: "Philipp ist ein sehr, sehr guter Torwart."

Es sind Sätze wie diese, die das Lichtlein wieder etwas heller scheinen lassen. Heerwagen weiß, dass Benedikt Pliquett mit einem Trainerbonus in den Kampf um das Erbe des verletzten Stammtorhüters Philipp Tschauner eingestiegen ist, doch es stört ihn nicht: "Es ist doch spannend, neue Leute kennenzulernen. Ich stand schon mit so einigen Kollegen in Konkurrenz. Der Fußball ist absolutes Tagesgeschäft." Niemand weiß das besser als er.