Trotz guter Leistung hat er weiter Ärger: Deniz Naki hat ein Vertragsangebot vom FC St. Pauli vorliegen, steht sich aber selbst im Weg.

Oliva. Am Sonnabend war es wieder einmal so weit. Als einer seiner Pässe im Trainingsspiel nicht angekommen war, setzte es lautstarke Kritik an den Mitspielern. Deniz Naki, Heißsporn und Nervenbündel des FC St. Pauli, explodierte. Ein Vulkanausbruch am mit 20 Grad bislang wärmsten Tag unter der spanischen Sonne, wie ihn Beobachter und Mannschaftskollegen aus vielen Trainingseinheiten in Hamburg kennen.

Doch diesmal flüchtete Naki sich nicht nur in seine türkische Muttersprache. Eine halbe Stunde nach dem Disput verließ er auch den Trainingsplatz und stapfte wutschnaubend vom Umkleidecontainer Richtung Teamhotel. Was war passiert? Nachdem sein Trainer ihn aufgrund des Fehlpasses zu mehr Selbstkritik ermahnt hatte, suchte Naki während der nächsten Trainingspause die Diskussion mit seinem Chefcoach. "Deniz wollte wohl noch ein paar Stunden in der Sonne liegen", erklärte André Schubert den folgenden Abgang seines Spielers: "Da hab ich ihm gesagt, er solle schon mal vorgehen."

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Keine Kompromisse mehr. Trainer wie auch viele Kollegen wirken genervt und haben keine Lust mehr, die Launen des extrovertierten Kurden zu ertragen. Vorbei die Zeit, in der Nakis Mätzchen mit einem Grinsen kommentiert oder allenfalls kopfschüttelnd abgetan wurden. Vorbei die Tage, als Schubert lauthals lachte, wenn sein forscher kleiner Dribbler auch verbal in die Offensive ging und beim Wegdreschen des Balls nur noch mehr zu fluchen begann, weil dieser über den Zaun geflogen war und bei der Rückholaktion aus dem Unterholz erst im zweiten Versuch wieder auf den Platz befördert werden konnte. Reaktionen wie jene aus dem Sommertrainingslager 2011 in Schneverdingen sind Geschichte. Bereits nach dem 3:1-Sieg am 19. November bei Hansa Rostock zeigten sich erste Störungen des anfangs von großer gegenseitiger Sympathie geprägten Spieler-Trainer-Verhältnisses. Nachdem Naki seinem Unmut über die Auswechslung bereits auf der Bank freien Lauf gelassen hatte, herrschte eine Woche lang Funkstille zwischen den beiden. Auch Naki hat den Stimmungsumschwung registriert. "Der Trainer ist kein Fan mehr von mir", konstatierte der 22-Jährige einen Tag vor dem jüngsten Vorfall im Gespräch mit dem Abendblatt. Der Bogen ist überspannt, die Schonfrist längst abgelaufen.

Dabei sind seine sportlichen Leistungen im Januar 2012 einmal mehr verheißungsvoll. Wie bereits in den vergangenen Vorbereitungen präsentiert sich Naki in auffälliger Frühform. Der gebürtige Dürener setzt wieder vermehrt auf seine große Stärke, geht mutig ins Tempodribbling, ist aktiv, sucht selbstbewusst den Abschluss. "Selbst wenn ich zehnmal am Gegner hängen bleibe - dann klappt es eben beim elften Mal", sagt Naki und folgt damit den Anweisungen seines Trainers. Schon Schuberts Vorgänger Holger Stanislawski hatte von ihm verlangt, es immer wieder zu versuchen, sich zu zeigen, Aktionen zu haben, nicht zu resignieren. "Ob ein oder zwei Gegner kommen, ist mir mittlerweile egal, ich ziehe vorbei", sagt einer, dem ebenjene Unbekümmertheit lange abhandengekommen war.

Mit sieben Toren und acht Vorlagen besaß er in seiner ersten Saison bei den Hamburgern maßgeblichen Anteil am Aufstieg, wurde regelmäßig zur deutschen U21-Nationalelf eingeladen und zum neuen Publikumsliebling am Millerntor. "Ja, das war ein wirklich gutes Jahr, aber die folgende Bundesligasaison dann eine einzige Katastrophe", sagt Naki, der vom Stamm- zum Ergänzungsspieler geriet. Die Gründe dafür glaubt er zu kennen: "Ich habe damals angefangen, Sicherheitsfußball zu spielen, und das ist nicht meine Art. Ich bin Straßenfußballer! Und wenn ich das beherzige, dann werde ich auch wieder der Deniz aus der Aufstiegssaison sein. Ich muss einfach nur Vollgas geben und kämpfen. Und es läuft ja auch schon ganz gut." Tatsächlich konnte er in den Testspielen positiv auf sich aufmerksam machen. Autofan Naki jagt mit dem Fuß auf dem Gaspedal durch diese Vorbereitung, was gleichwohl wirkungslos bleibt, wenn er dabei wie am Sonnabend den Gang auskuppelt. Vollgas im Leerlauf bringt keinen voran. Dass die Symbiose aus dem für sein Fußballspiel unabdingbaren Temperament und den nötigen Regeln und Zwängen innerhalb eines funktionierenden Kollektivs den Schulabbrecher vor Schwerstarbeit stellt, ist allen Beteiligten klar. Am Sonnabend war es Pressesprecher Christian Bönig, der dem Irrwisch nach dessen unfreiwilligem Abgang folgte und beim anschließenden zweisamen Strandlauf die Wogen glätten konnte. Bereits am Nachmittag trainierte Naki wieder mit der Mannschaft.

Ob er das auch über den Sommer hinaus tun wird, hängt nun von ihm und seinem weiteren Verhalten ab. Nakis Vertrag läuft aus, er steht unter besonderer Beobachtung der Verantwortlichen, die den Weg grundsätzlich weitergehen wollen und der Nummer 23 bereits ein Angebot unterbreitet hatten. "Ja, es gab Gespräche. Der Verein will verlängern", sagt er und beschreibt eine grundsätzlich Erfolg versprechende Verbindung: "St. Pauli ist ein super Verein. Die Fans, das Stadion, die Stadt - auch ich als Typ passe hier gut hin. Ahlen war nur eine Ausbildungsstätte, aber St. Pauli ist mein Verein."

Ein klares, ehrliches Bekenntnis, wenngleich er sich noch nicht festlegen lassen will. "Einfach so viele Partien machen wie möglich, eine gute Rückrunde spielen. Ich bin nicht der Typ, der sich allzu viele Gedanken macht." Doch er wäre gut beraten, genau daran zu arbeiten. Denn was passiert, wenn bei Vollgas die Handbremse gezogen wird, sollte auch ein Deniz Naki wissen.