Mutlos, kraftlos und erfolglos. Die Hamburger versteckten sich nach gutem Start. Trainer Stanislawski kritisiert seine Spieler.

Berlin. Der Reporter von Sport1 zuckte mit den Schultern. "Ich habe es eben nicht leicht heute", sagte der TV-Mann mit gesenktem Mikrofon und blickte etwas entschuldigend in den gefüllten Interview-Bereich. Kurz zuvor hatte Holger Stanislawski mit einem Kopfschütteln das Gespräch wenige Minuten nach Spielschluss beendet. "Was soll denn diese Frage?", ärgerte sich St. Paulis Trainer, als der Fernsehjournalist wissen wollte, ob ihn denn zumindest die schönen Rahmenbedingungen, Wetter, Fanfreundschaft und Atmosphäre, freudig stimmen könnten. "Wir wollen hier kein Grillfest verbringen", sagte Stanislawski und schaute beinahe so böse wie sein Torwart wenige Minuten zuvor. "Entschuldigung, aber was ist das für ein Blödsinn", hatte sich Mathias Hain, befragt, wie sehr sich die Drucksituation nach der 1:2-Niederlage bei Union Berlin verschärft habe, echauffiert. "Wer im Fußball Druck verspürt", sagte Hain, füllte seine rhetorische Pause mit einem gequälten Lächeln und fuhr fort: "Wer da Druck verspürt, der sollte aufhören. Druck haben die Soldaten in Afghanistan, die täglich ihr Leben riskieren. Oder Menschen, die am offenen Herzen operieren. Aber nicht wir."

Nach Spielschluss suchte und fand St. Pauli dann doch noch die Offensive, die in der zweiten Halbzeit nicht mehr stattgefunden hatte. Verbale Volltreffer statt entscheidender Tore, zu denen bereits die Grundlage gefehlt hatte. Die erste und einzige Torchance nach dem Seitenwechsel hatte Matthias Lehmann mit einem Freistoß in der Schlussminute. "Ich habe meine Mannschaft ab der 25. Minute nicht mehr gesehen. Viel schlechter geht es nicht", polterte Stanislawski, "es ärgert mich maßlos, wenn man so fahrlässig die Punkte hergibt."

Weshalb seine Mannschaft, die zunächst selbstbewusst und souverän aufgetreten war, die Partie dominierte und trotz des überraschenden Rückstands - Unions Publikumsliebling Torsten Mattuschka hatte einen Freistoß aus 25 Metern unhaltbar in den Torwinkel gezirkelt - unbeirrt am eigenen Konzept festgehalten hatte, nach Charles Takyis Ausgleich (19.) immer weniger investierte, blieb rätselhaft. Laufbereitschaft, taktische Disziplin, Zweikampfhärte, Passgenauigkeit und Konzentration nahmen mit zunehmender Spieldauer ab. St. Pauli schrumpfte ein. "Wir waren nicht mutig genug", gestand Mittelfeldspieler Florian Bruns, "Nur 30 Minuten zwingend sein, reicht nicht", erinnerte Hain. "Union wurde immer stärker, da wird es natürlich schwer vor diesen Zuschauern", ergänzte Rechtsverteidiger Carsten Rothenbach. Und Torschütze Takyi bestätigte den Eindruck, dass die Hamburger zu früh im roten Drehzahlbereich ankamen: "Zum Schluss fehlte uns auch ein bisschen die nötige Kraft."

Ein Problem, dass ihnen nun auch im Aufstiegskampf die Luft ausgeht, sehen Spieler und Trainer allerdings nicht. "Auch nach der Niederlage vor zwei Wochen in Düsseldorf hieß es, dass wir einbrechen und zittern werden", erinnerte Bruns an den folgenden 3:0-Triumph über den FC Augsburg. Der Vorsprung auf den ärgsten Aufstiegskonkurrenten, der seine Partie wie auch der zweite Verfolger Fortuna Düsseldorf am Wochenende gewann, ist auf einen Punkt geschrumpft. "Ganz nah dran ist aber noch nicht der zweite Platz", so Stanislawski, der seinen Spielern die nötige Leistungssteigerung nicht nur empfahl, sondern auch befahl: "Wir haben den Aufstieg weiterhin selbst in der Hand. Wir wollen und werden am Freitag gegen Koblenz vorlegen."

Berlin: Glinker - Bemben, Rauw, Göhlert, Kohlmann - Peitz, Younga-Mouhani - Mattuschka (90.+1 Dogan) - Sahin (66. Benyamina), Mosquera, Ede (46. Brunnemann).

St. Pauli: Hain - Rothenbach, Morena, Thorandt, Oczipka - Boll, Lehmann - Bruns (76. Sukuta-Pasu), Takyi (83. Schultz), Kruse (76. Hennings) - Ebbers.

Tore: 1:0 Mattuschka (10.), 1:1 Takyi (19.), 2:1 Benyamina (87.). Schiedsrichter: Kinhöfer (Herne). Zuschauer: 19 000 (ausverkauft). Gelbe Karten: Kohlmann (5., gesperrt), Rauw (2), Göhlert (4) - Lehmann (7), Bruns (6), Schultz (2).