Den HSV drücken Verbindlichkeiten für Transfers in Millionenhöhe. Das geht aus Dokumenten hervor, die das Abendblatt einsehen konnte.

Hamburg. Lange Zeit war es nur eines dieser Gerüchte. Der HSV sei finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet, wurde immer wieder rund um die Imtech-Arena behauptet. Von unbekannten Verbindlichkeiten berichteten etwas nebulös die einen, von einem Finanzloch in Millionenhöhe die anderen. "Wir haben in den vergangenen Jahren sehr solide gewirtschaftet und dabei auf hohem Niveau in die Mannschaft investiert", beantwortete dagegen HSV-Chef Bernd Hoffmann die Frage nach den Vereinsfinanzen in einem Abendblatt-Interview vor noch nicht einmal zwei Monaten. Und tatsächlich: Wirklich nachweisen ließen sich diese Behauptungen nie. Bis jetzt.

Abendblatt-Recherchen haben nun ergeben, dass den HSV tatsächlich Forderungen und Verbindlichkeiten für Transfers aus den vergangenen Jahren im zweistelligen Millionenbereich drücken. Das Abendblatt hatte Einsicht in interne Akten, die belegen, dass der Verein in dieser Saison nach allen Käufen und Verkäufen noch rund 2,6 Millionen Euro zu zahlen hat, in der kommenden Saison mehr als 14 Millionen Euro (rund zehn Millionen Euro für Vereine, knapp vier Millionen Euro für die Berater der Spieler) und in der Zeit danach mehr als sechs Millionen Euro. Zusammen macht das rund 20 Millionen Euro, die der Klub - Stand: Anfang Dezember - für längst verpflichtete Spieler nach der laufenden Saison noch zu überweisen hat. "Der aktuelle Planungsstand für die kommende Saison ist nun wirklich nicht besorgniserregend. Das ist ganz normales Bundesligageschäft. Wie in den vergangenen Jahren auch, ist es die Aufgabe des Managements, den Etat bis zur kommenden Saison ausgewogen zu gestalten", sagt Hoffmann heute.

Hauptgrund für die bislang unbekannten Belastungen in der Zukunft ist ein Transfermodell, das in der Bundesliga zwar üblich ist, beim HSV allerdings riskant praktiziert wurde. So werden kostspielige Neuverpflichtungen meist nicht auf einen Schlag bezahlt, sondern über mehrere Jahre in Raten abgezahlt. Ein Beispiel: Nachdem sich Hertha BSC und der HSV beim Transfer von Gojko Kacar auf eine Transfersumme von 5,3 Millionen Euro einigten, zahlte der HSV zunächst "nur" 2,25 Millionen Euro. Die restlichen 3,05 Millionen Euro will der Verein später in zwei Raten zahlen. 1,525 Millionen Euro in der kommenden Saison, die restlichen 1,525 Millionen Euro danach. Zusätzlich wurden 750 000 Euro unter "Verbindlichkeiten Berater Kacar" veranschlagt. Auch hier wurde eine Ratenzahlung vereinbart. Das alles ist eine gängige Praxis in der Bundesliga, die auch nicht weiter verwerflich ist. Schließlich werden Verkäufe meistens genauso in Raten abgewickelt wie die Einkäufe. Brisant wird es nur, wenn sich ein Verein beim Einkaufen übernimmt und nicht genügend Verkäufe gegenrechnen kann. Genau das scheint beim HSV der Fall zu sein.

Sogar für Labbadia muss der HSV noch 500 000 Euro an Bayer überweisen

So darf sich der HSV nur noch über insgesamt 2,3 Millionen Euro freuen, die dem Verein noch in dieser Saison durch ausstehende Zahlungen zustehen. Den Herkulesanteil in dieser Rechnung übernimmt dabei Thiago Neves, der bereits 2009 für rund 6,3 Millionen Euro zu Al Hilal verkauft wurde. Davon sind noch zwei Millionen Euro bis zum Ende dieser Saison fällig. Dem gegenüber stehen Forderungen von rund 4,9 Millionen Euro (2010/11), rund 14 Millionen Euro (2011/12) und mehr als sechs Millionen Euro (2012/13). Kurios: Sogar für Ex-Trainer Bruno Labbadia, den die Hamburger einst für 1,5 Millionen Euro aus seinem Vertrag rauskauften, sind noch 500 000 Euro an Bayer Leverkusen zu zahlen. "Es ist beachtlich, dass ein solch hochwertiger Kader bereits so weit abbezahlt ist", hält Hoffmann dagegen.

Wer ernsthaft nach Gründen für das Dilemma sucht, wird ganz schnell in der Saison 2009/10 fündig. Ohne einen echten Sportchef folgten kostspielige Transfers wie die Käufe Marcus Bergs (zehn Millionen Euro), David Rozehnals (5,1 Millionen Euro) oder in diesem Sommer Kacars (5,3 Millionen Euro), die den HSV sportlich nicht halfen, dafür aber die Etats der kommenden Spielzeiten belasten. So sind für Berg, der mittlerweile an den PSV Eindhoven verliehen ist, im Etat der kommenden Saison beispielsweise mehr als 3,8 Millionen Euro veranschlagt, seinem Berater stehen noch immer rund 480 000 Euro zu. Ein weiteres Dilemma: Ein Großteil der HSV-Profis, mit denen man hohe Ablösen erzielen könnte, gehört nur noch zu zwei Dritteln dem Verein. So wäre Anstoß-Investor Klaus-Michael Kühne bei Transfers von Dennis Aogo, Paolo Guerrero, Marcell Jansen, Gojko Kacar, Heiko Westermann oder auch Dennis Diekmeier zu einem Drittel beteiligt.

Hoffmann schließt eine Verlängerung des Sportfive-Vertrags weiter aus

Viele Möglichkeiten, die Millionenhypothek zu begleichen, bleiben dem Verein somit nicht. "Wir werden auf der Basis gewohnter wirtschaftlicher Solidität die notwendigen sportlichen Entscheidungen treffen, um uns für die nächsten Jahre richtig aufzustellen", gibt sich Hoffmann weiterhin entspannt. Eine frühzeitige Verlängerung des Vermarktervertrags mit Sportfive hat der HSV-Chef kategorisch ausgeschlossen, ein zweiter Anlauf mit Investor Kühne ist nach dem umstrittenen und alles in allem auch misslungenen ersten Versuch unwahrscheinlich. Bleiben eigentlich nur drei Möglichkeiten: Der HSV hofft auf hohe Transfereinnahmen, beispielsweise durch einen Verkauf von Eljero Elia. Der VfL Wolfsburg soll weiterhin Interesse haben und gehört zu den wenigen Klubs im Weltfußball, die dank des Hauptsponsors VW sogar in der Lage wären, eine hohe Ablöse auf einen Schlag zu zahlen. Möglichkeit zwei: Der HSV bemüht sich - ähnlich wie in der Vergangenheit Schalke 04 - um eine Anleihe. Kurzfristig würde der Klub so die Liquidität sichern, langfristig das Problem allerdings nicht lösen können. Ein Vorgang, auf den Vorstandschef Hoffmann folglich verzichten will. Möglichkeit drei: Der HSV qualifiziert sich doch noch für die Champions League. Was Fans und Verein bevorzugen würden, scheint derzeit aber so wahrscheinlich wie die Rückkehr Rafael van der Vaarts nach Hamburg im Weihnachtsmannkostüm.