Der Schweizer vermisst beim HSV Persönlichkeiten. Unterstützung von Sportchef Knäbel

Augsburg/Hamburg. Man konnte merken, wie Valon Behrami einen heftigen Kampf mit sich austrug, als er eine Stunde nach dem Abpfiff aus der Gästekabine der Augsburger Arena schlurfte, mit hängenden Schultern und einem Blick, als habe er erfahren, dass ein Zauberer gerade alle Berge in der Schweiz hatte verschwinden lassen. Soll ich, soll ich nicht? Am Ende entschloss er sich dann doch zu einer Stellungnahme, die in ihrer vom Frust über die 1:3-Niederlage befeuerten Schonungslosigkeit überraschte.

Warum der HSV nach einer 1:0-Pausenführung noch verlieren konnte? „Wie immer, wenn wir ein Gegentor bekommen, haben wir unser Spiel nicht mehr gemacht, das ist unser großes Problem“, antwortete der Mittelfeldspieler mit leiser Stimme und gesenktem Kopf und sprach vom kollektiven Abschalten, um sich und alle anderen Führungsspieler dann aber unverzüglich selbst zu attackieren: „Nach einem Rückschlag wie dem 1:1 stehen besonders die älteren Spieler in der Verantwortung. Ich, Rafael van der Vaart oder Johan Djourou. Aber diesen Job haben wir nicht erledigt. Unser Fehler.“

Ungewöhnlich offen monierte Behrami auf die Frage, was dem Team grundsätzlich fehle: „Sicher Charakter, das ist klar. Es geht hier um Menschen, nicht nur allein um Fußballer. Wir haben viele sehr gute Spieler, aber manchmal fehlt eben die Persönlichkeit, die kannst du dir nicht kaufen oder erarbeiten.“ Gerade wenn in einer Mannschaft nicht genügend Persönlichkeit vorhanden sei, müssten die zwei, drei Führungsspieler mehr Verantwortung übernehmen. „Für die jungen Spieler war es nicht einfach; die älteren Spieler mit mehr Erfahrung hätten helfen müssen. Das haben wir aber nicht geleistet.“

Mit dem Debütanten Ronny Marcos, Mohamed Gouaida und Ashton Götz (alle 21) bot Trainer Joe Zinnbauer gleich drei U23-Spieler in der Startaufstellung auf. Mehr Mut geht nicht. Sein Vorhaben, die Offensive mit mehr Geschwindigkeit zu verschaffen, ging zu Beginn auch gut auf: „Der HSV ist uns in der ersten Hälfte sehr gut angelaufen, die sind im Vollsprint draufgegangen“, staunte nicht nur Augsburgs Sportchef Stefan Reuter. „Aber es war klar, dass sie das nicht 90 Minuten so spielen konnten.“ Wie recht er hatte. Nach dem schön herausgespielten Führungstreffer durch Rafael van der Vaart in der Nachspielzeit der ersten Hälfte genügte ein Windstoß (in Form einer Standardsituation), um die – bis dahin – Organisation des HSV-Teams zum Einsturz zu bringen. Die sich ergebenen Räume nutzten die bayerischen Schwaben zum fünften Heimerfolg in Serie. Fast unter ging in der Führungsspielerdebatte, dass auch Schiedsrichter Jochen Drees mit seinem Elfmeterpfiff tatkräftig dabei mithalf, weil er einen Zusammenprall zwischen Ashton Götz und Nikola Djurdjic als Foul interpretierte. „Der Knöchel von Ashton ist blutig von der Aktion“, empörte sich Marcos. Unterm Strich blieb aber die Erkenntnis: Die Idee, sich mit unbelasteten, unbeschwert aufspielenden jungen (und vor allem billigeren) Spielern neu aufzustellen, hat zwar ihren Charme, sie ging aber in Augsburg nicht auf.

Auch Peter Knäbel ist längst aufgefallen, dass es dem HSV in dieser Saison (wieder einmal) nicht gelingt, konstante Leistungen abzuliefern. Der Sportchef sprach von einem „Gefühl, dass da ein Pflänzchen wächst und wächst – und am Ende trampelt es wieder einer kaputt“. Deshalb sei seiner Meinung nach die Mentalitätsfrage Behramis durchaus berechtigt, wenn man immer wieder auf den Boden runterkrache, in diesem Fall ans Tabellenende.

Knäbel wollte am Sonntag in diesem Zusammenhang zwar nicht von einer Selbstzufriedenheit sprechen, sondern eher vom „Hochfliegen“: „Ein Erfolg gegen Bayer Leverkusen oder im Derby gegen Werder Bremen bedeutet nicht gleich, dass man eine Saison erfolgreich bestanden hat. In Hamburg sind die Leute unheimlich schnell zufrieden, wohl auch deshalb, weil sich der HSV über einen langen Zeitraum nicht stabil präsentiert hat.“

27 Spieler hat der HSV in 13 Ligaspielen nun schon eingesetzt, für Knäbel ein Beleg dafür, dass man den Kern noch nicht gefunden habe, also eine Elf, die in der Regel spiele. Jaroslav Drobny, Johan Djourou, Valon Behrami, Rafael van der Vaart und Heiko Westermann, ja, sie seien die Stabilisatoren beim HSV: „Wir suchen aber immer noch nach der richtigen Formation. Vor allem beim Offensivspiel haben wir schon viel rumprobiert, da gibt es, was die Zahlen betrifft, den meisten Handlungsbedarf.“

In Augsburg wurden Acht-Millionen-Euro-Einkauf Pierre-Michel Lasogga sowie Lewis Holtby, für den der HSV kommenden Sommer 6,5 Millionen Ablöse bezahlen muss, Opfer der Unzufriedenheit der sportlichen Leitung – sie saßen zu Beginn nur auf der Bank. „Jeder Spieler kann jeden Tag seine Qualität und Bedeutung für die Mannschaft beweisen“, machte Knäbel seinen teuren Angestellten auch verbal Druck. „Am Sinnvollsten tun sie das, wenn sie entsprechende Zahlen liefern, was gewonnene Duelle betrifft oder Torschüsse ins Tor. Und indem sie dabei sind, wenn der HSV gewinnt.“ Rumms.

Der HSV 2013/14, das zeigt die aktuelle Diskussion, steht wie in der Vorsaison gewaltig unter Druck und muss versuchen, in den verbleibenden Heimspielen des Jahres gegen Mainz und Stuttgart den totalen Absturz zu vermeiden. Ob dies einer Mannschaft, die sich im totalen Umbau befindet, aber auch gelingen wird?

Knäbel weiß nur zu genau, wie rar die Spieler gesät sind, auf die er sich verlassen kann. Jaroslav Drobny ist so einer, der sich trotz einer schmerzhaften Zerrung im Hüftbeuger dienstbereit meldete. Kein Wunder, dass der Vertrag mit dem 35-Jährigen bald verlängert werden soll. Ein Termin ist bereits vereinbart.