Nach dem chancenlosen 1:3 gegen Wolfsburg bleibt dem HSV wohl nur noch die Chance auf Platz 16. Calhanoglu will für die Hamburger beten.

Hamburg. Wenn ein Fußballverein aus der Bundesliga absteigen muss, ist dies das Ergebnis einer immer ähnlichen Komposition: Falsche Einschätzungen der Qualitäten führen anfangs zur Ausgabe von unrealistischen Saisonzielen. Die Unzufriedenheit nach den sich einstellenden Misserfolgen zieht (oft auch mehrfache) Wechsel auf der Trainerposition nach sich. Die Notprogramme der neuen Amtsträger – um Aufbauarbeit oder Weiterentwicklung geht es längst nicht mehr – können in den seltensten Fällen die fußballerischen Defizite bekämpfen, die sich auch aus der fehlerhaften Kaderplanung ergeben haben. Wenn sich dann noch in der entscheidenden Phase einer Saison wichtige Leistungsträger einer sowieso schon verunsicherten Mannschaft verletzt abmelden, ist die Chronologie eines angekündigten Abstiegs fast schon komplett. Womit wir, man ahnt es schon, beim HSV gelandet sind.

Der HSV beobachtet bereits die möglichen Gegner in der Relegation

Die Fakten zum 1:3 gegen den VfL Wolfsburg sind schnell erzählt: Gegen die Niedersachsen kassierten die Hamburger im 31. Saisonspiel die 18. Niederlage, davon acht im heimischen Stadion. Ein trauriger Rekord in der 50-jährigen Bundesligahistorie, der die Situation im Abstiegskampf weiter drastisch verschärft, nachdem sich Freiburg, Bremen und Hannover mit Siegen in die Wohlfühlzone verabschiedeten und auch der VfB Stuttgart einen womöglich entscheidenden Coup gegen Schalke landete (siehe Seite 21). Bei vier Punkten Rückstand auf den rettenden Rang 15 und der schlechteren Tordifferenz sprach Trainer Mirko Slomka von der Option, in der Relegation gegen den Dritten der Zweiten Liga am 15. und 18. Mai spielen zu „dürfen“. Beim 2:2 des SC Paderborn (3. Rang/53 Punkte) gegen Greuther Fürth (2./54) saß denn auch ein HSV-Spion auf der Tribüne, genau wie am Sonnabend Paderborns Manager Michael Born in der Imtech-Arena, der im zweiten Relegationsspiel mit seinem Team Heimrecht hätte.

Nicht nur beim Blick auf das Restprogramm – in Augsburg, gegen den FC Bayern und in Mainz – fragt man sich jedoch, wie der auswärtsschwache HSV überhaupt noch Punkte für die Zugangsberechtigung für die Entscheidungsspiele ergattern will. Erschreckend, wie hilflos sich das Team gegen zugegeben starke Niedersachsen präsentierte. Erschwerend kam allerdings hinzu, dass sich am Spieltag erst Jonathan Tah (grippaler Infekt) und beim Aufwärmen noch Johan Djourou (Adduktorenprobleme) abmeldeten. Die kurzfristigen Personalwechsel – Heiko Westermann rückte nach innen, Petr Jiracek auf die Linksverteidigerposition – und die daraus resultierenden Eingewöhnungsprobleme nutzten die Wolfsburger bereits nach 92 Sekunden zur 1:0-Führung durch Ivan Perisic.

„Der Knackpunkt war die zweite Minute. Nach dem frühen 0:1 sind wir umgekippt. Die zweite Minute war ein richtiger Knock-out“, beschrieb Hakan Calhanoglu treffend den Schockzustand seiner Mannschaft. Offen gestand der Deutschtürke ein, dass „wir vorne einfach nicht die Qualität haben, wenn Pierre-Michel Lasogga und Rafael van der Vaart fehlen“. Ein wenig Hoffnung auf Besserung machendes Fazit: „Ich bete zu Gott, dass wir es noch schaffen. Nur Gott kann uns jetzt noch helfen.“ Auf ein Wunder von oben zu glauben – auch so ein Reflex bei dem dem Untergang geweihten Team. So baute Hertha BSC 2012 vergeblich auf die Zauberkünste von König Otto (Rehhagel) ...

Als irdischer Helfer Nummer eins glänzte bisher die leidenschaftliche Anhängerschaft. Doch nach dem 0:3 durch Ex-HSVer Ivica Olic kurz nach Wiederanpfiff war die Aufforderung nicht zu überhören, sich nicht wehrlos seinem Schicksal zu ergeben. „Wir wollen euch kämpfen sehen“, dröhnte es von der Nordtribüne, was frei übersetzt bedeutet: Bewegt euch gefälligst mehr, ihr holt nicht alles aus euch heraus!

Ein Vorwurf, den Sportchef Oliver Kreuzer nicht akzeptieren wollte: „Ich kann den Jungs keinen Vorwurf machen, sie haben alles versucht, haben gekämpft, gerackert, sind viel marschiert. Aber irgendwann ist Schluss! Irgendwann hält es eine Mannschaft, die sowieso auf dem Zahnfleisch geht, nicht mehr aus, ständig mit personellen Rückschlägen fertig werden zu müssen. Das zieht dich runter und macht es schwer, gegen einen wirklich guten Gegner zu bestehen.“

Slomka wiederum hob positiv hervor, dass selbst nach dem 0:2 in der Halbzeitpause eine „tolle, leistungsbereite Atmosphäre“ herrschte und sein Team nach dem 0:3 seine beste Phase hatte. „Das zeigt den Charakter und die Willensstärke der Mannschaft und macht mir Hoffnung.“ Durchhalterhetorik, klar, aber was soll der HSV-Coach auch sonst sagen?

Nach zuletzt sieben Auswärtsniederlagen in Folge reisen Slomka und sein Team bereits am Freitag nach Augsburg. „Wir werden dort am Sonnabend trainieren, den Bundesliga-Nachmittag für uns gestalten“, kündigte der Trainer an, „wir wollen dabei sein, wenn die anderen spielen, um am Sonntag entsprechend nachzulegen.“

Jansen, Badelj, van der Vaart und Djourou könnten in Augsburg spielen

Beim Unternehmen, wenigstens Relegationsplatz 16 zu verteidigen, kann Slomka voraussichtlich auf einige seiner zuletzt fehlenden Stammkräfte zurückgreifen. Marcell Jansen will nach seinem Bänderriss ins Mannschaftstraining einsteigen und dürfte wie auch Milan Badelj (Muskelfaserriss) und Rafael van der Vaart (Zerrung) wieder eine Option sein. Wie stark die Beschwerden bei Djourou sind, muss abgewartet werden. „Uns macht Mut, dass wir noch nicht abgeschlagen sind“, sagte Kreuzer, „wir lassen uns nicht beirren und geben noch lange nicht auf. Wir fahren nach Augsburg, um zu gewinnen. Mit aller Brutalität.“

Doch dort macht man sich bei nur vier Punkten Rückstand auf Platz sieben noch kleine Hoffnungen auf den Europapokal. Gebannt dürfte man beim HSV am Sonnabend deshalb auf die Partie zwischen Mainz (7./47) und Nürnberg (17./26.) schauen. Ein Sieg könnte die Motivation der Augsburger abschwächen – und der „Club“ bliebe vorerst hinter dem HSV – und damit die Hoffnung, dass doch noch die Chronologie einer nicht mehr erwarteten Rettung geschrieben werden kann.