Der Kapitän lässt die Qualitäten eines Führungsspielers vermissen – auf und neben dem Platz. Dort zog sich der Niederländer selbst nach der Beister-Verletzung als erster zurück.

Hamburg. Leicht ist es in diesen Wochen sicherlich nicht, sich als HSV-Spieler immer wieder den vielen kritischen Fragen zu stellen. Diese Aufgabe meistert Rafael van der Vaart ohne Frage mit Bravour. Der 30-Jährige versteckt sich nicht und wählt deutliche und offene Worte. „Uns fehlt es an Qualität, vor allem im mentalen Bereich“, bestätigte er am Donnerstag seine Kritik, die er unmittelbar nach der 0:3-Niederlage gegen Hoffenheim schon ähnlich geäußert hatte. Doch habe die Mannschaft in dieser Woche endlich mal wieder viel miteinander geredet, so dass sich der Niederländer sicher ist, dass seine Kollegen künftig „füreinander durchs Feuer“ gehen werden.

Auch der Vorstandsvorsitzende wählte deutliche Worte. „Der Trainer steht nicht zur Debatte. Mich ärgert an dieser Diskussion, dass so immer wieder die hochbezahlten Spieler aus dem Fokus genommen werden. Ihnen wird ein Alibi geliefert, aber jetzt sind sie an der Reihe“, sagte Carl Jarchow im aktuellen Matz-ab-Blog (ausführliches Interview unter hsv-blog.abendblatt.de).

Auch wenn Jarchow keinen Namen eines Profis explizit nannte, dürfte sich insbesondere van der Vaart angesprochen fühlen. Als Kapitän und einer der erfahrenen Spieler soll er die junge HSV-Garde führen – auf und neben dem Platz. So wie in den ersten Spielen nach seiner Rückkehr zum HSV Anfang der vergangenen Saison, als ein Ruck durchs ganze Team gegangen war. Doch derzeit gelingt das weder ihm noch einem seiner Kameraden. Van der Vaart findet die Führungsspieler-Debatte allerdings überzogen. „Es ist doch so: Wenn ich gegen Hertha zwei Tore schieße und wir gewinnen, bin ich ein Führungsspieler. Wenn ich schlecht spiele, bin ich keiner“ sagte der Niederländer.

Doch zeichnet sich ein Kapitän nicht nur durch Tore aus. Er ist verantwortlich dafür, dass die Mannschaft an einem Strang zieht – auf und neben dem Platz. Ein Mannschaftsabend am Montag zielte offenbar in die richtige Richtung, auch kritische Worte seien nach langer Zeit wieder von Mann zu Mann ausgesprochen worden. Doch in der Vergangenheit wirkte van der Vaart eher ein wenig außen vor.

Schneller Rückzug mit Sabia

Die private Situation mit der Trennung von seiner Frau Sylvie und die Tragödie um das ungeborene Kind seiner neuen Partnerin Sabia machten ihm selbst genug zu schaffen. Richtig integriert scheint er, anders noch als zu Zeiten der Holland-Connection um Nigel de Jong und Joris Mathijsen bei seinem ersten HSV-Gastspiel, nicht zu sein. Als die Profis noch nicht gemeinsam den Trainingsplatz verlassen mussten, war der Regisseur oft der erste, der in die Kabine stürmte. Und im Winter-Trainingslager, als sich Maximilian Beister schwer am Knie verletzte, zeigte sich die ganze Mannschaft geschockt. Doch der Kapitän entfernte sich auch in dieser Situation schneller als andere vom Team und zog sich mit Sabia zurück.

Wer den 109-maligen Internationalen auf dem Platz beobachtet, kann ihm das Bemühen zwar nicht absprechen. Doch van der Vaart drückt dem Spiel derzeit kaum seinen Stempel auf. Behäbig wirkt sein Auftreten, mit der Aufgabe des Leitwolfs scheint er überfordert zu sein. Bei der 0:3-Niederlage gegen Hoffenheim war van der Vaart fast überall zu finden, nur nicht in der Nähe des gegnerischen Strafraums. Innerhalb des Sechzehners hatte der Offensivspieler genau einen Ballkontakt.

Ein weiterer Fakt unterstreicht sein Leistungstief: In seinen letzten sechs Einsätzen konnte der Niederländer nur zwei Torbeteiligungen vorweisen. Interessant wird es, auf der Suche nach Gründen tiefer in die Datenanalyse einzutauchen. So kann sich van der Vaart keinesfalls mangelnden läuferischen Einsatz vorwerfen lassen. In den letzten vier Begegnungen legte der Kapitän jeweils die größte Strecke aller HSV-Spieler zurück. Doch Laufen ist nicht gleich Laufen: In den 180 Rückrunden-Minuten absolvierte er nur 14 Sprints. Um das einzuordnen: Der an den kommenden Gegner verliehene Per Skjelbred legte im gleichen Zeitraum 57 Sprints hin, Hoffenheims Spielmacher Roberto Firmino kam allein im Spiel gegen den HSV auf 42 schnelle Läufe.

Zweikampfbilanz deutlich verschlechtert

Der Brasilianer suchte auch dreimal so oft das Dribbling wie van der Vaart, die Nord-Konkurrenten Aaron Hunt (Werder) und Szabolcs Huszti (Hannover) mehr als doppelt so oft, ergab die Castrol Edge Analyse. Auch mied van der Vaart zuletzt Zweikämpfe. Bestritt er in den ersten zehn Partien noch durchschnittlich 16,4 Duelle pro Spiel (davon 45,7 Prozent gewonnen), waren es in den letzten sechs Einsätzen nur noch 12,7 (40,8 Prozent gewonnen). Dafür spielte er zuletzt fast doppelt soviel Foul wie zu Beginn der Saison.

Doch unabhängig von der Leistung des Kapitäns: Sollte gegen die Hertha am Sonnabend (18.30 Uhr) die nächste Pleite folgen, darf man gespannt sein, ob der Fokus immer noch auf die Spieler und ihren Anführer gerichtet ist – oder nicht doch der Trainer der Leidtragende ist. Zur Erinnerung: Im September 2011 wurde Michael Oenning vor der 0:1-Niederlage gegen Mönchengladbach von den HSV-Oberen eine Jobgarantie ausgesprochen – eine Woche später saß Rodolfo Cardoso auf der Bank.