HSV-Trainer van Marwijk versucht den Schock zu verdauen, dass Beister mit Kreuzbandriss lange ausfällt. Doch seine Sorgen nehmen zu, denn jetzt könnte auch noch Arslan länger fehlen.

Abu Dhabi. Etwas irritiert schaute Bert van Marwijk direkt nach dem Mittagessen am Sonntag von links nach rechts durch die große Eingangshalle im edlen Fairmont Bab al Bahr. Der Niederländer hatte sich gerade in einen schwarzen Ledersessel in der futuristisch eingerichteten Lobby des Luxushotels in Abu Dhabi fallen gelassen und versuchte nun erfolglos, Blickkontakt zu einem der zahlreichen Kellner aufzunehmen. „Kann ich denn hier keinen Kaffee bekommen?“, fragte van Marwijk, der aber auch 20 Minuten später noch nicht das ersehnte Heißgetränk in seiner Hand halten sollte.

Es läuft einfach noch nicht rund beim HSV, wobei Kaffee noch die geringste Sorge des früheren Bondscoaches in den 5000 Kilometer entfernten Emiraten sein dürfte. „Wir haben ganz schön große Probleme im Moment“, sagte der 61 Jahre alte Fußballlehrer, der sich am Vortag das Testspiel zwischen Schalke und Frankfurt im Al Nahyan Stadion angeschaut hatte. „Da habe ich gesehen, dass Frankfurt gleich zwei Bundesligateams aufbieten könnte, wir dagegen nicht mal eines. Wir haben wohl den kleinsten Kader der Bundesliga. Das ist die Realität.“

Die ungeschönte Realität hatte den HSV besonders am Freitagabend mit brutaler Wucht erwischt. Maximilian Beisters Unfall im Testspiel gegen Vitesse Arnheim (0:0), bei dem sich der 23 Jahre alte Offensivallrounder fast so etwas wie einen Totalschaden im linken Knie zugezogen hatte, drückte auch am Wochenende noch immer auf die Stimmung im Lager der Hamburger. Die niederschmetternde Diagnose, die Beister nach seinem Rückflug nach Hamburg am Sonnabend im Universitäts-Krankenhaus Eppendorf (UKE) erhielt: das vordere Kreuzband gerissen, der Knorpel kaputt, der Meniskus stark beschädigt. Auf sieben bis zwölf Monate schätzte van Marwijk die wahrscheinliche Zwangspause seines Angreifers. „Ich war noch am Abend auf seinem Zimmer. Die Atmosphäre im ganzen Hotel war natürlich so, als ob wir gerade 0:10 verloren hatten.“

Beister selbst war sich bereits unmittelbar nach dem unglücklichen Zweikampf mit Gegenspieler Patrick van Aanholt sicher, dass ihm Schlimmes drohen würden: „Es hat laut geknackt. Gleich nach der Verletzung habe ich an einen Kreuzbandriss gedacht. Das war das erste Gefühl“, erzählte der gebürtige Niedersachse, den die bestätigte Diagnose trotzdem noch aus der Fassung brachte: „Die Diagnose hat mich schockiert. Das tut einfach weh.“ Bereits an diesem Mittwoch werde er in Augsburg vom Knieexperten Ulrich Boenisch operiert, sagte Beister, der sich auf keinen Fall die schaurigen TV-Bilder der Szene noch mal anschauen wollte: „Freunde und Familie werden mich jetzt auffangen“, sagte der Youngster, der sich besonders von seinem Vater Reiner, einst der erfolgreichste Amateurfußballer Lüneburgs, trösten lassen wollte.

Auch Arslan könnte länger fehlen

Ein bisschen Trost kann aber sicherlich auch van Marwijk vertragen, der neben Beister im Trainingslager von Abu Dhabi größtenteils auch auf Torjäger Pierre-Michel Lasogga (Oberschenkelprobleme), die Innenverteidiger Heiko Westermann (Reha nach Knie-OP), Johan Djourou (Zerrung in der Wade) und Jonathan Tah (grippaler Infekt) sowie den bereits abgereisten René Adler (Bänderriss im Sprunggelenk) und seit Sonntag auch noch auf Tolgay Arslan (Probleme an der Leiste und an den Adduktoren) verzichten muss. „Es kann schon sein, dass nun auch noch Tolgays Verletzung länger dauern wird“, stöhnte van Marwijk, der die zuvor von ihm selbst immer wieder kritisierte Weltreise nach Indonesien, wo der HSV vor dem eigentlichen Trainingslager in Abu Dhabi für 450.000 Euro ein Testspiel absolvierte, allerdings nicht als Grund für das ungewöhnlich hohe Verletzungspech gelten lassen wollte: „Ich glaube nicht, dass die Verletzungen mit der langen Reise nach Indonesien zu tun haben. Wir haben nun mal sehr großes Pech.“

Als eben dieses kann man sicherlich auch die Tatsache beschreiben, dass sich einen Tag vor den Verletzungen von Beister und Lasogga mit Artjoms Rudnevs ausgerechnet einer der letzten gesunden Offensivspieler nach Hannover verabschiedet hatte. 500.000 Euro Leihgebühr war 96 der lettische Torjäger wert, der in der vergangenen Saison immerhin zwölf Tore erzielen konnte und den die Niedersachsen per Kaufoption im Sommer für zwei Millionen Euro an sich binden können. „Ich habe in dieser Woche ja schon sehr deutlich gesagt, was ich will“, wiederholte van Marwijk nun noch einmal sehr bestimmt, dass er eher früher als später einen neuen Allroundstürmer begrüßen wolle. „Das war eigentlich für jeden deutlich. Selbst für die, die es vorher noch nicht verstanden haben.“ Und auch wenn ihm durchaus bewusst sei, dass der HSV doch eigentlich kein Geld zur Verfügung habe, erwarte er nun „so schnell wie möglich einen Spieler, der auf mehreren Positionen in der Offensive spielen kann“.

Kreuzer hat mehr als 40 Angebote

An Angeboten mangelt es jedenfalls nicht. So erzählte Sportchef Oliver Kreuzer, der zunächst mit Jacques Zoua und Beister für eine interne Lösung als Rudnevs-Ersatz plädiert hatte, dass ihm allein am Sonnabend mehr als 40 Angreifer aus allen Himmelsrichtungen angeboten worden seien. „Es muss aber ein Spieler sein, der uns auch besser macht“, sagte van Marwijk, der die Messlatte für den klammen Verein somit noch mal höher legte. Der Holländer soll Kreuzer sogar eine Liste mit potenziellen Verstärkungen vorgelegt haben: „Ich habe Signale bekommen, dass wir alles tun, um etwas zu realisieren“, sagte van Marwijk, der nur zu gut weiß, dass es besonders in Hamburg traditionell immer der Trainer ist, der letztendlich für Erfolg und vor allem Misserfolg verantwortlich gemacht wird.

Die Sorgen vor dem Totalabsturz sind bei den Hamburgern, die als Tabellenvierzehnte nur zwei Punkte vor dem Relegationsplatz liegen, über das Wochenende jedenfalls nicht weniger geworden. „Wenn hier einer nicht begriffen haben sollte, dass es nur gegen den Abstieg geht, dann gehört der nicht in die Bundesliga“, kündigte van Marwijk ziemlich apokalyptisch an. „Wir müssen jetzt so schnell wie möglich so viele Punkte holen, dass wir wieder atmen können.“ Nur abwarten und Tee trinken, das weiß keiner besser als Kaffeetrinker van Marwijk, kann sich der HSV schon lange nicht mehr leisten.