Für ihre Initiative HSVPlus erhalten Otto Rieckhoff und Thomas von Heesen unter den Fans und Mitgliedern immer mehr Zuspruch – ein Hausbesuch in Zeven.

Zeven. In Zeven ist es gute Tradition, dass sich Bremer und HSV-Fans im Atrium des Ringhotels Paulsen treffen, um ihre Jahreswetten zu platzieren. Wer verliert, muss jeweils ein 50-Liter-Fass Bier springen lassen, das gemeinsam für einen guten Zweck geleert wird. Hier, im Landkreis Rotenburg, gibt es noch die friedliche Koexistenz zwischen Grün-Weißen und Rothosen.

Am Dienstagabend jedoch sind die Farben einseitig verteilt. 100 Menschen aus sieben HSV-Fanclubs sind ins Atrium gekommen, um sich HSVPlus erklären zu lassen. Denn es ist Wahlkampfzeit. Am 19. Januar geht es um die Zukunft des Vereins, fünf Modelle werben um strukturelle Veränderungen. Hotelbesitzer Ralph Paulsen, selbst ein glühender Anhänger des Clubs, lässt belegte Brötchen servieren, hinter der Theke hilft Ex-Profi Carsten Kober aus, der private Kontakte nach Zeven pflegt.

Für Otto Rieckhoff ist es der 24. Auftritt dieser Art seit September, und von Anfang an ist es ein Heimspiel für den 62-Jährigen. Anders als bei anderen Veranstaltungen fehlen Befürworter des „Reformmodells“, Vertreter der anderen drei Modelle haben auf eine Wahlkampftour an der Basis verzichtet. „90 Prozent haben sich HSVPlus angeschlossen“, sagt Axel Panknier vom Fanclub Deinste, der Rieckhoff eingeladen hat. „Lieb gemeint, aber es lohnt sich nicht für euch zu kommen“, sagte der Bankdirektor anderen Gästen ab.

Als Rieckhoff beginnt, schaltet Stephan Rebbe seine Videokamera an, um die Rede später analysieren zu können. Rieckhoff stellt ihn etwas flapsig als „Werbefritzen“ vor. Tatsächlich ist der Gründer der Hamburger Kommunikationsagentur Kolle Rebbe hauptverantwortlich für die Umsetzung der Kampagne, die bei der Mitgliederversammlung zu einer radikalen Veränderung der Strukturen führen könnte.

Die Rollenverteilung ist klar gewählt an diesem Abend: Rieckhoff, seit 48 Jahren HSV-Mitglied, 1984–88 Kassenwart der Amateure, 1988–90 Schatzmeister des Präsidiums und 2004–2012 Mitglied des Aufsichtsrats, soll die geplanten Strukturveränderungen – Ausgliederung, Öffnung für strategische Partner – erläutern. Im zweiten Teil folgen Thomas von Heesens sportliche Ausführungen. Der frühere HSV-Kapitän, 1980–94 aktiv und 1983 Gewinner des Europapokals, „soll die Sache auf den Rasen bringen“, so Rieckhoff.

„100 Millionen Euro sind denkbar“

Zügig nennt Rieckhoff seine Kernpunkte: Mit den Finanzen und dem Image stehe es nicht doll, das größte Problem sei die mangelnde Fußballkompetenz in der Führung. „Was wir brauchen, ist eine Aufbruchstimmung!“, ruft er den Fans zu. Der frühere Mineralölkaufmann (immer bei Shell) weiß inzwischen, wo Reizpunkte liegen: „Der Verein muss immer das Sagen haben“, dämpft er Sorgen, dass die Mitglieder nur noch Abnicker sind, spricht von repräsentativer Demokratie. „Es wird keine Scheichs oder Oligarchen geben“, versichert Rieckhoff, als die Sprache auf Investoren kommt. Einen Pool von vier, fünf Unternehmen fände er ideal. Laut Satzungsentwurf könnte die Hauptversammlung des AG (also das Präsidium des HSV e.V.) bis zu 24,9 Prozent der Anteile veräußern.

„Nach Einschätzung von Fachleuten sind bis 100 Millionen Euro denkbar“, hatte Rieckhoff am Nachmittag beim Abendblatt-Termin im Elysée-Hotel seine Erlöserwartung genannt. Dass Klaus-Michael Kühne jetzt seine Bereitschaft erklärte, Geld zur Verfügung zu stellen, spielt Rieckhoff in die Karten. Das Geld solle nach seinem Wunsch zur Entschuldung eingesetzt werden.

Eine Stunde, bevor er von Heesen und Rebbe mit seinem Privat-Pkw abholt, erinnert sich die Galionsfigur von HSVPlus noch einmal an die Anfänge. „Nachdem ich im Juni während der Mitgliederversammlung Reformen gefordert hatte, wurde ich einige Tage später von einem Kreis angesprochen, der zehn, zwölf Leute umfasste“, sagte Rieckhoff. Darunter waren Rebbe, aber auch der frühere Manager Holger Hieronymus und Anwalt Thomas Krüger, der wie Rebbe bereits für den Aufsichtsrat kandidierte. Schnell kamen von Heesen und Ditmar Jakobs dazu.

Die Umsetzung übernahm Rebbe, der fünf HSV-Fans, davon vier aus seiner Agentur, dafür gewinnen konnte, die Webseite (www.hsvplus.de) zu gestalten, zu pflegen und auch in den sozialen Netzwerken zu werben. „Das ist eine Herzensangelegenheit“, betont Rebbe, „niemand hat uns bezahlt.“ Der Werbefilm sei eine Spende der Produktionsfirma Jotz gewesen. Und auch Rieckhoff betont, dass an Sachkosten nur 5000 Euro aufgelaufen seien: „Das Benzingeld zahlen wir selbst.“

„Einfach, sachlich, klar“, sollte die Kampagne laufen, sagt Rebbe. Angriffe auf die Konkurrenzmodelle? Bitte nicht. Nach und nach wurden namhafte Unterstützer veröffentlicht, wie Ex-Präsident Dr. Wolfgang Klein, Werner E. Klatten (Aufsichtsratschef Sporthilfe), Cord Wöhlke (Budnikowsky) oder die Ex-Profis Thomas Doll und Willi Schulz. Zuletzt signalisierten auch Horst Hrubesch und Peter Nogly ihre Sympathien. Der Erfolg lässt sich nicht nur bei Facebook (17.593 „Gefällt mir“-Klicks) ablesen, sondern auch an den Registrierungen für die Mitgliederversammlung (über 6600). Dass die Versammlung mit einfacher Mehrheit beschließen wird, dass der Vorstand eine Ausgliederung vorbereiten soll, gilt als wahrscheinlich.

Ob aber eine Dreiviertelmehrheit bei einer zweiten Sitzung zustande käme, ist fraglich. So ist es kein Wunder, dass Rieckhoff in Zeven offen für die diversen Anträge wirbt, in der Satzung die Fernwahl zu verankern: „Geht bloß nicht nach Hause.“ Das Kalkül: Mit diesem Abstimmungsinstrument wird so die breite Masse der Mitglieder erreicht, die zwar die Ideen toll finden, aber nicht mobilisiert werden können.

Diese Menschen eint wohl der Wunsch, wieder an erfolgreiche Zeiten anknüpfen zu können, an damals, als von Heesen noch spielte. Rhetorisch begabt zieht der 52-Jährige die Fans in Zeven in den Bann, kritisiert: „Es ist keine Strategie, die jungen Spieler zu verkaufen.“ Und: „Warum können unsere Spieler nicht 90 Minuten marschieren und Vollgas geben?“ Warum nicht die Mannschaft mal so eine Ansprache in der Kabine bekommen könne, ruft ein Zuhörer begeistert dazwischen.

Von Heesen nehmen die Fans ab, dass er weiß, wie der Fußball funktioniert. Der frühere Trainer (Bielefeld, Nürnberg, Limassol, Kapfenberg) berät inzwischen Vereine und erstellt Bilanzanalysen bei Clubs. Wenn man ihn über „meine Visionen“ sprechen hört, ist man sicher, dass er nicht abgeneigt wäre, eine tragende Rolle in einer neuen AG zu spielen. Doch die Initiative hat es stets abgelehnt, eine Art Schattenkabinett zu erstellen.

„Aus dem Kreis der Unterstützer stünde der eine oder andere für ein Amt zur Verfügung“, lässt sich Rieckhoff entlocken. Er selbst auch? „Ich habe überhaupt keine Ambitionen“, entgegnet er. „Für mich wäre es der Abschluss einer langjährigen, ehrenamtlichen Tätigkeit. Sollte ich mitgeholfen haben, dass der HSV eine bessere Zukunft hat, wäre das schön.“ Sogar Anforderungsprofile für die Gremien wurden von einer Personalberatung bereits erstellt.

Rieckhoff, der Retter, der Mann, der dem Club frisches Kapital ermöglichen möchte. Eine erstaunliche Wende, nachdem er 2012 als Aufsichtsratschef zurückgetreten war und auch für viele Dinge mitverantwortlich war, unter denen der HSV heute noch leidet (Sportchefsuche, Transfers). „Ich habe diverse Fehler in der ganzen Zeit gemacht“, gibt Rieckhoff ohne Umschweife zu, „gerade deshalb weiß ich ja, wie es funktioniert. Ohne Fußballkompetenz geht es nicht.“

Der Abend in Zeven neigt sich nach zwei Stunden dem Ende. Donnernder Applaus. Und Fanclub-Chef Panknier sagt: „Wenn viele gemeinsam träumen, kann das der Anfang einer neuen Wirklichkeit werden.“ Michael Heiden (Fanclub Sittensen) glaubt: „Die Emotionen und die Begeisterung wurden gut an den Mann gebracht. Aber ganz ehrlich: Was rechtlich dahintersteckt, wissen doch die wenigsten.“ Auch Rebbe ist zufrieden. Fast. „Bis zur Mitgliederversammlung muss Rieckhoff noch demagogischer werden. Vielleicht ein bisschen ,erteliger.‘“ Gemeint ist Aufsichtsratschef Manfred Ertel ...