Die Abendblatt-Analyse enthüllt die Wahrheit über die HSV-Finanzen und beantwortet wichtige Fragen: Wie hoch ist der Verein verschuldet? Kann der Campus überhaupt noch gebaut werden? Ist die „schwarze Null“ in Gefahr?

Hamburg. Schon jetzt steht fest, dass es bei der Mitgliederversammlung des HSV am 19. Januar eine Rekordbeteiligung geben wird. Die Basis sorgt sich offensichtlich um die Zukunft des Vereins nach der dauerhaften Abstinenz in Europa. Zudem wird die finanzielle Situation des Clubs heftig diskutiert: 4,9 Millionen Euro Minus 2010/11, 6,6 Millionen Euro Minus 2011/12 und 9,8 Millionen Minus 2012/13, so lauteten die Ergebnisse der vergangenen drei Geschäftsjahre. Wie bedrohlich aber ist die wirtschaftliche Lage wirklich? Eine Abendblatt-Analyse der im Dezember vorgelegten Bilanz 2012/13.

1. Woher stammt das Millionen-Minus? In der Gewinn- und Verlustrechnung des HSV e.V. ergibt sich unter dem Punkt „Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit“ ein Minus von 22,2 Millionen Euro, obwohl die Erträge um vier auf 145,4 Millionen Euro stiegen. Hauptursache waren die Transfers von Rafael van der Vaart und Petr Jiracek (für zusammen 17 Millionen Euro) nach dem missratenen Saisonstart. Ergebnismindernd waren nicht nur die Ablösen, sondern auch die damit erhöhten Profigehälter (insgesamt 44,5 Millionen Euro) sowie Abschreibungen. Bilanziell abgeschrieben werden musste auch der Restwert von Marcus Berg (wechselte nach Athen). Außerdem wurde die Abfindung an den entlassenen Sportchef Frank Arnesen eingerechnet, wodurch die Ausgaben für die Geschäftsstelle auf 13 Millionen Euro (zuvor elf) anstiegen.

Auch die „Sonstigen Aufwendungen“ steigerten sich durch die Kosten für die Jubiläumsgala und für die Emission der Anleihe von 16,3 auf 18,1 Millionen Euro. Größter Posten blieben hier die Sportfive-Provisionen.

2. Warum betrug das Minus dann „nur“ 9,8 Millionen Euro? Durch die Verlängerung des Vermarktervertrags. Im Gegenzug verzichtete der Vermarkter auf Rückzahlung des Darlehens in Höhe von 12,4 Millionen Euro. Auffällig ist, dass dieser außerordentliche Ertrag beim HSV e.V. verbucht wurde, da in der Bilanz 2004/05 jene 12,4 Millionen Euro schon einmal als Ertrag eingingen, indem die HSV-Betriebsgesellschaft gegenüber dem Verein auf die Rückzahlung des Darlehens verzichtet hatte. Nun wurde die Verbindlichkeit wieder (mit schuldbefreiender Wirkung) über den Umweg der Sport AG vom e.V. übernommen – ein legaler, aber eher ungewöhnlicher Bilanzkniff, um das Eigenkapital beim e.V. zu stärken.

3. Schafft der HSV dieses Jahr ein Plus? Eine „schwarze Null“ – dieses Ziel will der Vorstand bis Juni 2014 erreichen. „Ein ausgeglichenes Ergebnis wird weiterhin angestrebt“, sagt der HSV-Vorsitzende Carl Jarchow. Positiv wirken sich die Zusatzeinnahmen im DFB-Pokal nach dem Erreichen des Viertelfinales gegen Bayern München aus. Zudem fällt der Transfer von Heung Min Son nach Leverkusen (acht Millionen Euro Gewinn) erst in dieses Geschäftsjahr. Allerdings trübt die schlechte Liga-Platzierung die Freude: „Das Erreichen des wirtschaftlichen Ziels hängt im Wesentlichen vom weiteren sportlichen Verlauf der Saison und der möglichen Abgabe von Spielern ab“, formuliert Jarchow deshalb vorsichtig. Hintergrund: Die Ausschüttung der Fernsehgelder richtet sich nach der Platzierung in der Bundesliga. Bliebe der HSV auf Rang 14, drohen Mindereinnahmen in Millionenhöhe.

4. Hat der HSV 100 Millionen Euro Schulden? 99,6 Millionen Euro wies der HSV an Verbindlichkeiten zum 30. Juni 2013 aus (2011/12: 83,7 Millionen Euro).

Sie setzen sich wie folgt zusammen:

HSV-Anleihe: 18,3 Millionen Euro. 17,5 Millionen Euro für die Anleihe sowie die anteiligen Zinsen für den Zeitraum vom 29.9.2012 bis zum 30.6.2013.

Schulden gegenüber Kreditinstituten: 42,1 Millionen Euro. 37,5 Millionen Euro betrug die Restschuld für das Stadion im 30. Juni 2012. 6,2 Millionen Euro wurden im Geschäftsjahr 2012/13 planmäßig getilgt, zugleich wurde der Stadionkredit aber um acht Millionen Euro aufgestockt (sogenanntes Konsortialdarlehen). Der restliche Betrag betrifft Darlehensverbindlichkeiten aus der Übernahme eines Bankkredits von der Paul-Hauenschild-Stiftung aus dem Erwerb des Internats sowie die Finanzierung des Vereinshauses in Ochsenzoll.

Aus Lieferungen und Leistungen: 24,2 Millionen Euro. Dieser Posten enthält 11,4 Millionen Euro offene Raten für erfolgte Spielertransfers. Die restlichen Verbindlichkeiten betreffen „laufende operative Verbindlichkeiten aus Leistungsbeziehungen im üblichen Geschäftsbetrieb“, wie es Finanzchef Oliver Peter formuliert.

Sonstige: 15 Millionen Euro. Darunter fällt vor allem das Acht-Millionen-Euro-Darlehen von Klaus-Michael Kühne für den Transfer von Rafael van der Vaart. Dieses ist besichert mit einer Stadiongrundschuld in Höhe von sechs Millionen Euro. 1,4 Millionen Euro beträgt die Restverbindlichkeit gegenüber der Paul-Hauenschild-Stiftung aus der Übernahme des Internats. Der Rest sind laufende operative Verbindlichkeiten, zum Beispiel 3,2 Millionen Euro Umsatz- und Lohnsteuer für den Monat Juni, die zum 30. Juni als Verbindlichkeit bilanziert sind.

Von 100 Millionen Euro Schulden zu sprechen, ist jedoch irreführend, da das Umlaufvermögen (liquide Mittel, Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) mit 13,9 Millionen Euro gegengerechnet werden muss.

5. Muss eventuell der Bau des HSV-Campus verschoben oder sogar abgesagt werden?Einem Bruttoemissionserlös für die Anleihe in Höhe von 17,5 Millionen Euro (abzüglich Emissionskosten in Höhe von 800.000 Euro) stehen als liquide Mittel auf der Aktivseite nur 9,2 Millionen Euro gegenüber, worunter aber auch Einnahmen aus dem Dauerkartenverkauf fallen. Das heißt übersetzt: Die Anleihegelder wurden nicht „geparkt“, sondern sind größtenteils in das laufende Geschäft geflossen.

Das Projekt deshalb zu verschieben oder sogar abzublasen und die Anteile zurückzuzahlen, lehnt Jarchow kategorisch ab. „Ein solches Szenario ist nicht Bestandteil der Planung“, legt sich der HSV-Vorsitzende fest. Fakt ist aber auch, dass die Baukosten die Liquidität in den kommenden Jahren schmälern wird. Für die siebenjährige Laufzeit der Anleihe hat der Vorstand einen Businessplan erstellt. Rund 500.000 Euro wurden in Planungskosten investiert, 800.000 Euro kostete die Rasenbeleuchtung. Eine zeitliche Verzögerung gab es auch, weil mit der Stadt noch über den Erbbaurechtsvertrag des Geländes verhandelt wird. Bis 2015 soll der Campus entstanden sein.

6. Wie gefährlich sind 17,2 Millionen Euro negatives Eigenkapital? So hoch ist der Posten „Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ in der Konzernbilanz, wodurch der HSV buchmäßig überschuldet ist, aber in seinem Bericht darauf hinweist, dass sowohl im Bilanzansatz des Stadions (43,7 Millionen Euro) als auch bei den Spielerwerten (37 Millionen Euro) „Stille Reserven“ bestünden. Wie hoch diese Reserven tatsächlich sind, darüber lässt sich trefflich diskutieren. Dass mittelmäßige Spieler nur schwer zu veräußern sind, zeigte sich zuletzt mehrfach (Tesche, Kacar, Rajkovic etc.). Eine weitere Kennziffer: Beim HSV e.V. sank das Vereinsvermögen von 15,5 auf nur 5,7 Millionen Euro.

Finanzchef Peter erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass dieses negative Eigenkapital der Besitzgesellschaft seit dem Bau des Stadions bestehe. Eine existenzielle Bedrohung stelle das negative Konzernkapital nicht dar, Auflagen vonseiten der DFL bestünden nicht. Allerdings sei, so der Finanzchef weiter, ohne positive sportliche Ergebnisse eine Stärkung des Eigenkapitals kaum möglich. Zum Vergleich: Nach der Saison 2009/10 hatte das Minus nur noch 0,6 Millionen Euro betragen.

7. Ist der HSV ein Sanierungsfall?Das Gesamtergebnis wirkt alarmierend. Trotz der Sondereffekte von zusammen 33,5 Millionen Euro (Anleihe, Aufstockung des Stadiondarlehens, Kühne) landete der HSV wie beschrieben im Minus. Neben dem Stadionkredit ächzt der HSV unter den Auswirkungen der sportlichen Talfahrt. „Die finanzielle Situation ist insofern angespannt, weil Misserfolg ohne Zuführung frischen Kapitals nicht unbegrenzt zu überbrücken ist“, sagt Jarchow. „Die drastische Reduzierung der Kaderkosten wäre eine weitere Option, die aber sportliche Risiken in sich birgt.“ Wünschenswerter sei eine Stärkung des Eigenkapitals, um in die sportliche Wettbewerbsfähigkeit investieren zu können. Den Begriff Sanierungsfall hält Jarchow für falsch: „Der HSV ist weder zahlungsunfähig noch überschuldet.“

8. Steckt der HSV in der Finanzfalle? Die Analyse der finanziellen Situation zeigt, dass der HSV auf Sicht ohne sportlichen Erfolg seine Verbindlichkeiten kaum senken kann, im Gegenteil: Er muss aufpassen, stets den Kapitaldienst (Stadion, Anleihe) leisten zu können. Zusätzliche Einnahmen aber setzen sportlichen Erfolg voraus, der nur durch zwei Maßnahmen erreicht werden kann: Der HSV setzt sein Geld effektiver ein und Sportchef Oliver Kreuzer gelingt es, talentierte bezahlbare Spieler zum HSV zu locken. Oder aber der Verein bindet einen strategischen Partner, der für frisches Geld und so für neue Spieler sorgt, wie es die Initiative HSVPlus fordert. Wie auch immer: Wie der HSV heute dasteht, also abgesehen vom Stadion und Spielerwerten so gut wie ohne Vermögen und stark verschuldet, könnte er sich keinen weiteren finanziellen Kraftakt leisten, wenn mal wieder ein Abstieg droht.