Kurz vor seinem 77. Geburtstag wird HSV-Ikone Uwe Seeler als Legende des Sports geehrt – ein Gespräch unter Freunden über das Altern und den Wandel der Gesellschaft.

Hamburg. Drei Tage vor seinem 77. Geburtstag wird Uwe Seeler am Sonnabend beim 32. Sportpresseball in Frankfurt am Main als „Legende des Sports“ geehrt und folgt auf Michael Schumacher. Höchste Zeit für ein Gespräch mit der HSV-Legende – diesmal aber fast ohne Sport. Das Abendblatt brachte Seeler mit seinem Biografen und Freund Roman Köster zusammen.

Hamburger Abendblatt: Und, schon nervös?

Seeler: Warum? Ich muss doch keinen Elfer in der 90. Minute beim Stand von 0:0 verwandeln.

Manche Menschen werden nervös, wenn sie im Mittelpunkt stehen und geehrt werden. Vor wenigen Tagen wurde dir von der Uni Iserlohn der Charly Award als Vorbild in der heutigen Zeit verliehen. Am Sonnabend findet in Frankfurt die Legenden-Kür statt. Am Dienstag dann der Geburtstag mit der Schnapszahl 77. Ganz schön viel Ehre für einen Helden.

Seeler: Okay, das ehrt mich, das freut mich. Aber ein Held bin ich nicht. Helden waren meine Eltern. Wie sie den Alltag mit uns drei Kindern in einer Fünfzimmerwohnung in Eppendorf gemeistert haben, das war heldenhaft.

Was war uns Uwe für ein Kind?

Seeler: Fußballverrückt und fleißig. Aber kein Streber in der Schule. Ich war Durchschnitt – Mittelfeld, ebenso in der Berufsschule. Bei der Lehre im Hafen pflichtbewusst. Mein Lehrherr war verdammt streng. Jeder Papierschnipsel auf dem Boden war ihm ein Dorn im Auge, also musste ich ihn aufheben.

Ein so berühmter Zeitgenosse hat sicherlich viele Freunde. Wie viele sind es?

Seeler: Gegenfrage: Wie viele Finger hat eine Hand? Ich trenne klar zwischen Freunden und Bekannten.

Gehört der liebe Gott auch zu den fünf Freunden?

Seeler: Ich bin evangelisch, glaube auch an ihn. Ich sehe mir gerne die Sonntagspredigten im TV an. Ich denke, dass ich ohne Kirchgang mehr fürs Allgemeinwohl tue als mancher, der nur zum Gottesdienst geht, um gesehen zu werden.

Hast du Angst vor dem Älterwerden, Angst vor dem Sterben?

Seeler: Wir alle müssen uns mit dem Prozess des Älterwerdens abfinden. Ebenso mit dem Sterben. Nein, Angst habe ich nicht. Man lebt doch viel einfacher, wenn man den natürlichen Lauf des Lebens annimmt.

Und wie geht das?

Seeler: Mit einer gewissen Freundlichkeit und einem Lächeln auf den Lippen. Das Leben ist eine Institution. Es ist kein Lernfach in der Schule. Für mich sind Respekt, Disziplin, Verlässlichkeit, Beharrlichkeit, Fair Play und Fleiß wichtige Wegbegleiter. Das war schon früher so und vor allen Dingen heute, wo man überall immer mehr die Ellenbogengesellschaft spürt.

Das Spiel des Lebens macht also nicht mehr so viel Freude wie früher?

Seeler: Nein, es hat sich total gewandelt. Was wir dringend brauchen, zumindest, ein bisschen mehr, ist Herzlichkeit und – Freundlichkeit. Wir erleben jeden Tag die traurige Wahrheit: Radfahrer fahren oft, wie sie wollen. Autos parken auf dem Fußweg. Auf der Autobahn wird brutal die Vorfahrt erzwungen. Wir hören und lesen jeden Tag von Attentaten, Terrorismus, blutigen Demonstrationen, Rowdytum. Der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel hat es schon 1974 mal gesagt: Unser Land ist ein paar Grad kälter geworden. Und er meinte nicht das Wetter, sondern unsere seelische Verfassung ... ...

… eher also die seelische Krankheit ...

Seeler: Ja, leider. Viele Menschen kennen nur drei Buchstaben. I-c-h. Ich befürchte, wir haben eine ganz einfache Begabung verloren: uns ganz einfach des Lebens zu erfreuen. Wenn schon die Jugend unter Zukunftsangst leidet, mache ich mir große Sorgen. Ebenso über den Egoismus.

Aber es gibt im Lande auch Menschen, die nicht so egoistisch sind, die sich sozial engagieren, beim Bau von Schulen in Afrika helfen, alte Menschen zum Arzt begleiten, Geld spenden.

Seeler: Das tue ich mit meiner Stiftung auch. Aber es sind immer noch zu wenige, die sich für Notleidende einsetzen. Unsere Politiker müssten solche Engagements intensiver unterstützen. Weniger mit Worten, sondern mit Taten.

Was wäre dein Tipp zur Besinnung?

Seeler: Wir sollten wieder etwas bescheidener und einfacher werden. Besserwisser und Wichtigtuer brauchen wir nicht. Bei aller Wertschätzung für Wissen und Können – es geht nicht ohne Gefühle. Und wer Glück haben will in seinem Leben, muss es sich erarbeiten.

Du hast das Glück, dass deine Popularität ungebrochen ist, du schreibst Autogramme für Kinder, die dich nie am und mit dem Ball gesehen haben.

Seeler: Vielleicht liegt es daran, dass ich immer ein ganz normaler Mensch geblieben bin, was wohl an der Erziehung und auch an Ilka liegt, mit der ich 54 Jahre verheiratet bin und die ich seit 60 Jahren liebe. Ich freue mich auch über meine drei verheirateten Töchter mit acht Enkelkindern. Alles Menschen, die das Familienleben sehr schätzen. Die Familie gibt mir viel Kraft.

Ohne Ilka hätte es also keine so erfolgreiche Karriere als Fußballer und Kaufmann gegeben?

Seeler: Ich bin ja Realist, kein Prophet. Aber ich glaube, ja. Ich bin dem lieben Gott sehr dankbar, dass er mir diesen Menschen geschenkt hat ...

... und der ganz gerne mal bestimmt, was zu Hause Sache ist.

Seeler: (lacht): Genau. Ich entscheide die großen Dinge und meine Frau die kleinen. Welche Dinge groß und welche Dinge klein sind, entscheidet Ilka.