Nicht nur Torschütze Maximilian Beister wertet das 3:3 auf Schalke als Schritt in die richtige Richtung. In der Veltins Arena überzeugte der HSV mit Spielwitz und Kampfgeist.

Gelsenkirchen. Wie ein angeschlagener Schwergewichtsboxer nach einem Zwölf-Runden-Kampf klackerte Lasse Sobiech kurz nach Spielschluss in seinen Stollenschuhen durch die Katakomben der Veltins Arena. Das rechte Auge ein wenig geschwollen, auf der Stirn eine klaffende Platzwunde. Ins Auge, das stellte der frühere Dortmunder umgehend klar, war der Saisonauftakt des HSV auf Schalke aber keineswegs gegangen: „Wir wollten uns zerreißen, wollten allen zeigen, was wir können. Und wir haben heute auch richtig Moral und Charakter gezeigt“, sagte Sobiech, der den Sonderapplaus der Fans nach einem zeitweise begeisternden Fußballfest mit einem verdienten 3:3 als Resultat so richtig genießen konnte. Der HSV hatte zumindest in diesem Spiel bewiesen, dass die Mannschaft, so wie von Vereinschef Carl Jarchow in der Vorbereitung mutig angekündigt, mit Schalke 04 auf Augenhöhe ist.

Richtig viel zum Klatschen gab es für die mehr als 5000 mitgereisten Hamburger bereits vor dem Anpfiff. Wie beim Pokalspiel in Jena gingen die HSV-Profis auch in der Veltins Arena nach dem Warmmachen in die Kurve, um sich mit gemeinsamem Klatschen anzufeuern. „Die Idee kam von unseren Fans. Ich fand das sofort richtig klasse, das ist doch mal etwas ganz anderes“, sagte Trainer Thorsten Fink.

Ganz anders als erwartet ließ der Coach auch seine Mannschaft auflaufen. Für den grippegeschwächten Artjoms Rudnevs und den formschwachen Petr Jiracek rückten Jacques Zoua und Hakan Calhanoglu in die Startelf, die in einem variablen 4-2-4-System ohne echten Stürmer antrat. Besonders interessant: Aus der offensiven Viererkette mit Maximilian Beister (rechts), Rafael van der Vaart, Calhanoglu (beide zentral) und Zoua (links) rotierte bei Ballbesitz im Wechsel je ein Offensivallrounder in den Sturm, sodass aus dem 4-2-4- schnell ein 4-2-3-1-System wurde. „Wir wollten die Schalker ein bisschen überraschen, wollten vorne flexibel spielen und viel rotieren“, sagte Fink, der nach abwechslungsreichen 90 Minuten mit seiner Systemumstellung zufrieden sein konnte: „Unser Plan ist insgesamt aufgegangen.“

Dabei schienen sich sämtliche taktischen Überlegungen bereits nach 84 Sekunden erledigt zu haben, als Schalke einen ungenauen Pass Milan Badeljs auf Beister zu einem blitzsauberen Konter ausnutzte, den HSV-Schreck Klaas-Jan Huntelaar nach Traumpass von Julian Draxler zum frühen 1:0 vollendete. Wer sich nun aber mit Schrecken an das letzte Aufeinandertreffen zurückerinnerte, als der Niederländer den HSV mit drei Treffern beim 4:1-Sieg fast im Alleingang abgeschossen hatte, sollte schnell eines Besseren belehrt werden. Finks Mannschaft ließ sich durch das schnellste Gegentor dieser Saison überhaupt nicht schocken, sie machte das Spiel – und sie wurde bald belohnt.

Problem bei Standards bleibt

Zunächst war es Regisseur Rafael van der Vaart, der einen von Matip verschuldeten Handelfmeter verwandelte (12.), dann legte Beister nach einer maßgeschneiderten Flanke von Dennis Diekmeier sogar noch nach (24.). „Nach dem frühen Rückstand sind wir toll zurückgekommen. Wir sind reifer als in der vergangenen Saison, das konnte man heute schon sehen“, sagte Beister, dessen Worte von Trainer Fink bestätigt wurden: „Im vergangenen Jahr wären wir nach dem frühen Gegentor noch mit 0:3 oder 0:4 untergegangen. Aber wir haben gelernt, das lässt auf mehr in den nächsten Spielen hoffen.“

Ein Problem konnte Finks Mannschaft dann allerdings doch nicht abstellen: das ungeschickte Defensivverhalten bei Standardsituationen. „Das Gegentor zum 2:2 hat mich natürlich sehr geärgert, weil es so nicht fallen muss“, sagte Fink, der in dieser Spielzeit bei Defensivstandards im Raum verteidigen lässt. Weil aber Fuchs ungehindert flanken durfte und Huntelaar kurz vor dem Pausenpfiff erneut zur Stelle war, musste der HSV mit einem blauen Auge und einem schlechten Gefühl in die Halbzeit gehen.

Es dauerte allerdings gerade mal vier Minuten nach dem Wiederanpfiff, ehe Ex-Borusse Sobiech nach Flanke van der Vaarts zur erneuten Führung einköpfte (49.). Doch es gehört zur Unberechenbarkeit des Fußballs, dass ausgerechnet ein Patzer René Adlers, der kurz zuvor noch überragend gegen Adam Szalai retten konnte, den erhofften Sieg kostete. Nachdem der Nationalkeeper Christian Clemens’ Schuss nur abklatschen konnte, bedankte sich Schalkes Acht-Millionen-Euro-Zugang Szalai mit dem Tor zum 3:3-Endstand (72.). „Ich habe mich bei den Jungs in der Kabine entschuldigt und ihnen gesagt, dass ich diese verlorenen zwei Punkte im Laufe der Saison zurückholen werde“, sagte Adler. Und hält der Torhüter bereits am kommenden Wochenende im Heimspiel gegen Hoffenheim Wort, dürften sich die HSV-Fans über den ersten gelungenen Saisonstart nach drei Jahren freuen. Das wäre dann wirklich einen Sonderapplaus wert.

Statistik:

Schalke: Hildebrand - Uchida, Matip, Höwedes, Christian Fuchs - Neustädter (58. Szalai), Jones - Farfan, Draxler (23. Goretzka), Clemens - Huntelaar. - Trainer: Keller

Hamburg: Adler - Diekmeier, Sobiech, Westermann, Jansen - Badelj (64. Rincon), Arslan - Beister (83. Rudnevs), van der Vaart, Zoua - Calhanoglu (74. Aogo). - Trainer: Fink

Schiedsrichter: Manuel Gräfe (Berlin)

Tore: 1:0 Huntelaar (2.), 1:1 van der Vaart (12., Handelfmeter), 1:2 Hildebrand (24., Eigentor), 2:2 Huntelaar (45.+2), 2:3 Sobiech (49.), 3:3 Szalai (72.)

Zuschauer: 61.973 (ausverkauft)

Beste Spieler: Huntelaar, Szalai - van der Vaart, Arslan

Gelbe Karten: Christian Fuchs - van der Vaart, Arslan

Erweiterte Statistik (Quelle: impire):

Torschüsse: 19:16

Ecken: 3:6

Ballbesitz: 55:45 Prozent