Seit 50 Jahren wird im Volkspark Bundesliga-Fußball geboten. Peter Müller war von Anfang an dabei, der Fan hat seit 1963 eine Dauerkarte.

Hamburg. An sein erstes Mal kann sich Peter Müller nur noch verschwommen erinnern. „Das ist doch schon so lange her“, sagt der Wellingsbüttler, der dieses besondere Kribbeln aber nie ganz vergessen wird. Ein wenig aufgeregt sei er schon gewesen, sagt Müller, alles war irgendwie neu, irgendwie anders. Und obwohl sein erstes Mal schon 50 Jahre her ist, ist er seit diesem warmen Sommertag im Jahr 1963 treu geblieben. In guten wie in schlechten Zeiten, ein Leben lang.

Der HSV, der an jenem 31. August in seinem ersten Bundesligaheimspiel vor einem halben Jahrhundert nach 0:2-Rückstand dank dreier Tore von Charly Dörfel noch 4:2 gegen den 1. FC Saarbrücken gewinnen konnte, ist tatsächlich die längste Beziehung, die Müller jemals eingegangen ist. „Man kann seinen Verein des Herzens ja nicht so einfach wechseln“, sagt der zweifache Familienvater, der in zweiter Ehe verheiratet ist. Fußball im Allgemeinen und der HSV im Speziellen war bei den Müllers schon immer Familiensache, das war bereits in der ersten Bundesligasaison 1963/64 so. „Ich habe damals zwei Dauerkarten gekauft, eine für mich und eine für meinen Vater zum 66. Geburtstag“, sagt der passionierte Fußballfan. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.

„Das Leben als Fußball-Fan war aber auch nicht immer einfach“, sagt Müller, der gemeinsam mit seinem Vater alle Höhen und Tiefen des HSV im Zweiwochenrhythmus von der Haupttribüne, Reihe 17, Platz 28 und 29, hautnah mitverfolgt hat. „Vattern hat häufiger gefragt, ob wir uns das noch antun müssen“, erinnert sich der frühere Schiffskaufmann. Aber sie mussten.

Müller senior und junior waren dabei, als der HSV trotz „Uns Uwe“ im Sturm in den Anfangsjahren der Bundesliga im Mittelmaß zu versinken drohte, widerwillig duldeten sie die Einführung von Trikotsponsoren, erst Campari, später BP und Hitachi, und selbst als Vereinspräsident Peter Krohn die Mannschaft 1976/77 in rosa Trikots spielen ließ, kamen die Müllers auch zum nächsten Heimspiel wieder. „Verglichen mit der heutigen Zeit war die Kommerzialisierung damals ja kaum der Rede wert“, sagt Müller, der sich nur schwer damit anfreunden kann, dass sein geliebtes Volksparkstadion bald wohl zum vierten Mal den offiziellen Namen wechseln wird.

Den härtesten Einschnitt in all den Jahren beim HSV musste Peter Müller aber in der Saison 1986/87 verkraften: „Bis zu seinem 89. Lebensjahr kam Vattern mit zum HSV. Nachdem er starb, musste ich alleine ins Stadion.“ Seine Dauerkarten aufgeben wollte Müller aber auf keinen Fall – auch nicht, als es ihm der HSV Ende der 80er und in den 90ern alles andere als leicht machte. „Manches Mal wollten sich weniger als 11.000 Zuschauer das Gekicke antun, da konnte man dann fast jeden Einzelnen mit Handschlag begrüßen.“

Das änderte sich erst mit dem Bau des neuen Stadions, genau wie sein Sitzplatz. Westtribüne, Block A, vierte Reihe, hier war und ist nun Müllers neues Zuhause. „Ich sitze jetzt so nah dran am Rasen, dass ich den Spielern schon mal den einen oder anderen deutlichen Wunsch übermitteln kann“, sagt Müller, der für 605,70 Euro pro Saison für sich reklamiert, auch mal etwas lauter werden zu dürfen. „Die Preisentwicklung ist schon heftig“, sagt der Dauer-Dauerkarteninhaber, der schätzt, mehr als 30.000 Euro über die Jahre für seinen HSV ausgegeben zu haben. „Ich bereue aber keinen Cent“, versichert das Supporters-Mitglied Nummer 3157567.

Mit Niederlagen hat sich Dauer-Fan Müller über die Jahre zu arrangieren gelernt, mit der heutigen Profigeneration tut er sich dagegen schwer. „Die heutigen Fußballer sind doch fast alles Söldner“, sagt der Pensionär, der sein genaues Ü80-Alter wie ein Staatsgeheimnis hütet.

Doch auch in seinem Alter würde man sehr wohl verstehen, was da der eine oder andere Profi so treibt, sagt Müller, der besonders auf Kapitän Rafael van der Vaart nicht gut zu sprechen ist. Dass er sich 2007 vor dem Heimspiel gegen Leverkusen mit einem Valencia-Trikot hat fotografieren lassen, das hat er bis heute nicht vergessen. „So etwas macht man einfach nicht“, sagt Müller, der auch im April 2010 im Stadion war, als Paolo Guerrero einen Zuschauer mit einer Trinkflasche sehr viel zielgenauer traf als manches Mal den Ball vor dem gegnerischen Tor: „Früher hätte es so etwas nicht gegeben.“

Ein Fan, das ist so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz, vergibt und verzeiht aber fast immer. „Ich komme ja wegen des Fußballs ins Stadion, nicht wegen eines Millionärs in kurzen Hosen, der sich nicht benehmen kann.“ Und natürlich gebe es auch immer noch die Ausnahmen von der Regel, die Müller nicht nur nach einem gelungenen Zweikampf begeistern. Der Westermann sei so ein Typ, der gefalle ihm, auch wenn nicht jeder Pass beim Mitspieler ankomme. Und auch David Jarolim hätte sich immer für den HSV reingehauen, „da kann man nun wirklich nicht meckern“.

Richtig ärgerlich wird Müller nur, wenn man auf die aktuelle Vereinsführung zu sprechen kommt. „Ich finde es eine Unverschämtheit, wie der Verein mit seinen treuen Zuschauern so umgeht“, sagt der Treuste der Treuen. Dass sein Sitzplatz im Einzelverkauf gegen Bayern München oder Werder Bremen mittlerweile stolze 94 Euro kostet („eine Frechheit“), hätte er ja widerwillig geschluckt, dass seine Briefe vor dem 125. Vereinsjubiläum an Oliver Scheel aber lange Zeit unbeantwortet blieben, nimmt er dem Vorstand für Mitgliederbelange noch heute übel.

Letztendlich hat es auf seine Initiative dann aber doch im April ein Treffen der „Fünfziger“ vor dem Heimspiel gegen den SC Freiburg gegeben. Immerhin sechs Anhänger, die wie Müller von Anfang an ein Leben lang eine Dauerkarte haben, hatten sich gemeldet. „Es war ein netter Nachmittag, auch wenn ihn der HSV mit einer leider so typischen 0:1-Heimniederlage fast verdorben hätte“, sagt Müller.

Was er von der neuen Saison, seiner 51. Spielzeit, erwarten soll, weiß er noch nicht so recht. Aber immerhin ist er seit einem Jahr nicht mehr alleine im Stadion. Sohn Daniel, der lange in den USA studiert hatte, begleitet seinen Vater. „Zu zweit bringt es doch irgendwie mehr Spaß“, sagt Müller, der auch an der Tradition festhält, dass es vor dem Spieltag immer ein zünftiges Familienessen mit dem 31-jährigen Sohnemann gibt. Früher gab es Brotpudding oder Langen Hans (ein Hefeteig-Gericht) im Hause seiner Eltern in Harvestehude, heute wird eben in Wellingsbüttel zu Tisch gebeten. Anschließend fahren Vater und Sohn mit dem Auto bis zur Holstenstraße, von wo aus sie die S 21 direkt bis nach Stellingen nehmen. „Das ist die perfekte Verbindung. Wenn ich nach dem Spiel frühzeitig zurückfahre, komme ich so sogar noch pünktlich zur ,Sportschau’ nach Hause“, sagt Müller, der immerhin auf eine 50-jährige Praxiserfahrung verweisen kann.

Ob er irgendwann mal die Lust am HSV verloren hätte? Peter Müller zuckt mit den Schultern. Oft, sagt er. Seine Dauerkarte hat er sich dann aber doch immer wieder gekauft. Und das wird auch kein van der Vaart oder Guerrero in den kommenden Jahren ändern können – „nur der liebe Gott“.