Bei der verdienten Niederlage gegen den FC Schalke 04 bekam der HSV seine Grenzen aufgezeigt - Thorsten Fink stellt die Qualitätsfrage.

Gelsenkirchen. Nicht immer sind viele Worte nötig, um etwas Wichtiges mitzuteilen. "Es geht um die Wurst!", teilte Dirk Oberschulte-Beckmann, der Stadionsprecher des FC Schalke 04, den Zuschauern in der voll besetzten Veltins-Arena beim Blick auf die Bundesligatabelle mit, und das mit Recht. Schließlich hatte die Europacup-Konkurrenz komplett Federn gelassen. Der SC Freiburg verlor standesgemäß, aber knapp in München (0:1), Mönchengladbach war in Wolfsburg chancenlos (1:3), und am Sonntagnachmittag ließen die Frankfurter beim 0:0 in Mainz wertvolle Punkte liegen. Was bedeutete: Ein Sieg auf Schalke, und die Hamburger würden auf den so begehrten wie lukrativen Platz vier vorstoßen, der zur Qualifikation für die Champions League berechtigt.

Und der HSV? Er schien die Mini-Chance auf die Königsklasse packen zu wollen. Die Stadionuhr sprang auf vier gespielte Minuten um, als die Hamburger plötzlich auf Rang vier standen. Nach einer langen Ecke von Rafael van der Vaart hatte Heiko Westermann auf Marcell Jansen aufgelegt, der mit der ersten Torchance das 1:0 köpfte. Vorlagengeber van der Vaart, der sein Team zum dritten Mal als Kapitän aufs Feld führte, schien sich wieder einmal als Glücksbringer zu betätigen. Dabei war sein Einsatz wegen einer beim Abschlusstraining erlittenen Oberschenkelblessur fraglich gewesen. Wer aber nun geglaubt hatte, dass die frühe Führung dem Team von Trainer Thorsten Fink Sicherheit und Stabilität verleihen würde, sah sich getäuscht.

Sehr schnell traten wieder altbekannte Defizite auf - fahrlässige individuelle Fehler, die den Gegner ins Spiel bringen. Wie in der neunten Minute. Nach einem schlampigen Pass von Jacopo Sala verlor Per Skjelbred den Ball, und Schalke spielte den Konter blitzschnell aus: Roman Neustädter passte in die Spitze auf den nach seiner Verletzung erstmals wieder spielenden Klaas-Jan Huntelaar, Pass auf Michel Bastos - 1:1. Wer jemals von der Champions League geträumt hatte, wusste jetzt, warum dies nur ein Traum bleiben würde.

Zwar versuchten die Hamburger in der Folge durchaus, in der Offensive Akzente zu setzen - vor allem über links -, doch wirklich gefährlich wurde es kaum vor dem Schalker Strafraum, Heung Min Son hing völlig in der Luft.

Die Schalker waren da bedeutend effektiver im Ausnutzen der gegnerischen Fehler. Es war schon erstaunlich und erschreckend zugleich, wie leicht sich Julian Draxler im HSV-Strafraum gegen Sala und Michael Mancienne durchsetzen und quer auf Huntelaar legen konnte - 1:2 nach 21 Minuten, Schalke hatte das Spiel gedreht. Natürlich, die HSV-Mannschaft kämpfte brav, wehrte sich. Dennoch ging die Mehrzahl der Zweikämpfe (54 Prozent) verloren. Dass das spielerische Niveau im zentralen Mittelfeld mit Dennis Aogo, Tolgay Arslan und van der Vaart nicht reicht, um in der nationalen Spitze mitzuspielen, ist keine allzu gewagte These, die auch auf Schalke bestätigt wurde. Es fehlt gerade im Mittelfeld auch am nötigen Tempo. Hätte René Adler bei einem Kopfball von Jermaine Jones nicht stark gehalten, wäre die Partie schon vor der Pause entschieden gewesen (45.). "Wir waren mit dem 1:2 zur Pause ganz gut bedient", gab Sportchef Frank Arnesen zu, "aber die Stimmung in der Kabine war dennoch positiv."

Grund dafür gab es nicht, es schien nur eine Frage der Zeit zu sein bis zum nächsten Gegentreffer. Der Eindruck trog nicht. Nachdem Bastos Petr Jiracek abgeschüttelt hatte, servierte er perfekt für Huntelaar, der per Kopf seinen zweiten Treffer erzielte (58.). Wer sich in diesem Moment noch einmal den kläglichen Kopfballversuch von Son aus der ersten Halbzeit in Erinnerung rief, bekam einen weiteren Qualitätsunterschied serviert. Und es kam noch schlimmer: Als sich Julian Draxler auf links durchsetzte und Adler dessen Schuss nur kurz abwehren konnte, köpfte Huntelaar zum 1:4 ein (67.). Fink reagierte sofort, nahm den angeschlagenen und mit vier Verwarnungen belasteten van der Vaart sofort vom Platz, das Spiel war für ihn abgehakt.

+++ DER SPIELVERLAUF ZUM NACHLESEN +++

Als Fink nach dem Abpfiff über die Gründe für die Niederlage räsonierte, sprach er mit ruhiger, fast gelassener Stimme, aber seine Wertung ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. "Wenn man oben mitspielen will, muss man meiner Meinung nach die Qualitätsfrage stellen, das ist ganz klar", sagte der HSV-Coach. "Es gibt immer wieder Spieler, die guten Partien ganz schlechte Auftritte folgen lassen. Wenn sie aber keinen guten Tag haben, müssten sie wenigstens eine mittelmäßige Leistung hinkriegen." Und weiter: "Wir geben zwar alles, um dranzubleiben, stoßen aber ans Limit."

Trotz der Erkenntnis, dass seine Mannschaft zu schlecht ist, um sich für höhere Aufgaben zu empfehlen, hat Fink die Europa League längst noch nicht aufgegeben. Warum auch. Die Chancen des HSV im Schneckenrennen um Europa stehen weiter nicht schlecht. In den verbleibenden drei Spielen gegen Wolfsburg am kommenden Sonntag, in Hoffenheim (11. Mai) und beim Saisonfinale gegen Bayer Leverkusen (18. Mai) hat es der HSV weiter in der Hand, trotz der vielen Rückschläge für ein erfolgreicheres Finale zu sorgen, was die meisten Experten dem HSV nach dem missratenen Start zugetraut hatten. "Wir haben noch eine realistische Chance, wollen die Zuschauer im kommenden Heimspiel begeistern", hofft Fink. Wer die Anhäufung an Fehlern in Gelsenkirchen gesehen hatte, mochte daran aber nicht glauben.

Das Schema

Schalke: Hildebrand – Uchida, Höwedes, Matip, Kolasinac – Jones (81. Moritz), Neustädter – Bastos (78. Christian Fuchs), Raffael, Draxler – Huntelaar (87. Pukki). – Trainer: Keller

HSV: Adler – Sala, Mancienne, Westermann, Jansen – Arslan, Aogo – Skjelbred (63. Rudnevs), Jiracek – Son, van der Vaart (68. Rincon). – Trainer: Fink

Schiedsrichter: Peter Sippel (München)

Tore: 0:1 Jansen (5.), 1:1 Bastos (10.), 2:1 Huntelaar (21.), 3:1 Huntelaar (58.), 4:1 Huntelaar (66.)

Zuschauer: 61.673 (ausverkauft)

Gelbe Karten: Bastos – Mancienne (2), Arslan (8), Adler (5)