“Trink einen Schnaps“, riet Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge HSV-Manager Frank Arnesen nach dem 9:2 der Münchner gegen wehrlose Hamburger. Die Chronologie des Versagens

Es war ein Spiel für die Geschichtsbücher. 2:9, dieses Ergebnis gab es für den HSV zuletzt am 7. März 1964 gegen 1860 München. Wer es nicht für möglich gehalten hätte, dass solch ein Resultat im modernen Fußball noch möglich ist, wurde am Sonnabend eines Besseren belehrt. "Wir haben uns abschlachten lassen", sagte René Adler über den Horrorauftritt des HSV bei Bayern München, der mit Worten nur schwer zu beschreiben ist. Die Chronologie der Schande von München.

Vor dem Anpfiff: Die Bayern rotieren vor dem Champions-League-Spiel gegen Juventus Turin am Dienstag. Während Franck Ribéry, Thomas Müller, Daniel van Buyten und Mario Mandzukic auf der Bank für Fotos posieren, sind David Alaba und Mario Gomez nicht mal im Kader. Im Kreis vor dem Anpfiff hält Adler eine Ansprache, spornt die Kollegen lautstark an.

Das 0:1: Mit dem ersten Schuss gehen die Bayern in Führung. Shaqiri entschließt sich zu einem Spaziergang durch die HSV-Defensive, wird nicht angegriffen. Der Schweizer nimmt die Einladung an, zielt aus 18 Metern ins rechte Eck. Nach fünf Minuten ist das taktische Konzept des Pressens gescheitert, die Bayern haben früh die Lücke zwischen den Linien gefunden.

17.: Zehn Minuten ohne Torschuss, dann wagt Son einen Schuss. Die Bayern wiegen den HSV in Sicherheit, scheinen die Führung nur verwalten zu wollen. Erinnerungen an Cordoba 1982 werden wach, als Deutschland und Österreich sich nach dem 1:0 nur noch die Bälle zuschoben. Sind die Bayern etwa gnädig?

Das 0:2: Der Cordoba-Traum ist geplatzt. Die Bayern führen eine Ecke mit Robben kurz aus, die Defensive schläft selig, als Shaqiri flankt und Schweinsteiger per Kopf trifft (19.).

Das 0:3: Robben steht frei vor Adler, der aber zur Ecke retten kann. Robben rächt sich direkt: Seine Ecke verlängert Pizarro wird sträflich allein im Strafraum gelassen (30.).

Das 0:4: Robben passt von rechts in die Mitte auf Pizarro, Doppelpass auf Robben, dessen Schuss sitzt (33.).

44.: Schweinsteiger spielt Robben frei, der aber aus acht Metern verpasst.

Das 0:5: Erst kein Glück, dann kommt Pech dazu: Shaqiris Schuss prallt vom rechten Pfosten Pizarro vor die Füße (45.). Das höchste Pausenrückstand in der Bundesligageschichte des HSV ist perfekt. "Unglaublich!", sagt Adler.

In der Pause: Einige Spieler werden laut in der Kabine, berichtet Manager Arnesen. Trainer Fink beschwört sein Team, defensiv besser zu stehen.

Das 0:6: Der Plan gelingt - acht Minuten lang. Robben läuft auf rechts Son und Westermann davon, passt fast von der Grundlinie in die Mitte zu Pizarro, der Bruma alt aussehen lässt und mit der Hacke aus drei Metern einschiebt (53.). Das schönste Tor des Tages.

Das 0:7: Sekunden später verliert Bruma anfängerhaft den Ball an Pizarro, der Robben anspielt. Mit einem Lupfer aus zehn Metern düpiert er Adler (57.).

Das 0:8: Auf der Stirn der HSV-Profis macht sich Angstschweiß breit: Ribéry und Müller bereiten sich auf ihre Einwechslung vor. Die Sorgen sind berechtigt: Müller flankt flach nach Vorlage Ribérys auf Pizarro, der nur einschieben muss (68.). Der vierte Treffer des Peruaner, der in 21 Spielen gegen den HSV nun schon 18 Tore erzielt hat. Die Bayern-Fans hoffen auf ein zweistelliges Ergebnis, rufen: "Nur noch zwei!"

74.: Überraschung! Neuer muss sein Warmhalteprogramm kurz unterbrechen, klärt van der Vaarts Schuss zur Ecke.

Das 1:8: Nach der van-der-Vaart-Ecke von rechts köpft Bruma das erste HSV-Tor (75.). Die Hamburger Fans beweisen Sinn für Humor, rufen: "Auswärtssieg!" Note eins.

Das 1:9: Theoretisch könnte der HSV das Spiel noch drehen, wenn er alle zwei Minuten trifft. Vielleicht denken die Spieler darüber nach und vergessen erneut das Decken. Ribéry läuft von links in den Strafraum, schießt unbedrängt von Bruma ins rechte Eck (76.). Bei 15 Bayern-Schüssen auf das Tor der neunte Treffer - eine Traumquote. "Einer geht noch, einer geht noch rein", rufen die Bayern-Fans selig.

Das 2:9: Wieder Ecke van der Vaart, diesmal köpft Westermann ein (86.).

87.: Die Anzeigetafel verdeutlicht das kuriose Ergebnis: Eckenverhältnis 7:3 für die Bayern, Spielstand: 9:2.

90.+1: Kroos verpasst eine Müller-Flanke nur ganz knapp.

Abpfiff: Der HSV hat seine höchste Bundesliga-Niederlage seit dem 1:8 in Oberhausen im September 1970 kassiert. Adler flieht sofort, van der Vaart klatscht den HSV-Fans von der Mittellinie zu, Skjelbred, Diekmeier und Westermann wagen sich zehn Meter weiter.

In der Mixed-Zone: Bayern-Präsident Karl-Heinz Rummenigge verabschiedet sich von Frank Arnesen: "Trink einen Schnaps und verdau's." Der HSV-Manager: "1979 hab ich mal 1:8 gegen die Bayern verloren beim Abschiedsspiel von Johan Cruyff. Du versuchst, das schnell zu vergessen, aber das vergisst du nie."