Vor dem Klassiker gegen Bayern am Sonnabend (Liveticker ab 18.30 Uhr bei abendblatt.de) spricht der Brasilianer Zé Roberto über seine beiden früheren Clubs

Hamburg. Als Zé Roberto im fernen Porto Alegre von den derzeitigen Temperaturen in Deutschland erfuhr, konnte man das frostige Zusammenzucken sogar durch die Telefonleitung hören. Den deutschen Winter vermisst der Brasilianer nicht, seine früheren Arbeitgeber dafür umso mehr. So war es auch wenig überraschend, dass Zé Roberto umgehend einem Gespräch über Bayern und den HSV vor dem Nord-Süd-Schlager der Bundesliga am Sonnabend (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker auf abendblatt.de) zustimmte. "Was willst du denn wissen?", fragte der mittlerweile 38 Jahre alte Fußballer.

Hamburger Abendblatt: Senhor Zé Roberto, wo und wie werden Sie das Spiel Ihrer beiden früherer Vereinen schauen?

Zé Roberto: Ich habe Glück, weil wir mit Grêmio Porto Alegre erst am Sonntag gegen Passo Fundo spielen. Die Partie zwischen Bayern und dem HSV wird sicherlich bei ESPN Brasil übertragen, und dieses Spiel werde ich um keinen Preis verpassen. Wenn ich richtig gerechnet habe, dann können die Bayern ja bereits an diesem Osterwochenende Meister werden, oder?

Das stimmt. Verraten Sie uns, wem Sie die Daumen drücken?

Zé Roberto: Ich ahnte, dass diese Frage kommen würde. Beide Vereine haben einen Platz in meinem Herzen. Da Bayern die Meisterschaft aber nicht mehr zu nehmen ist, der HSV dagegen auf jeden Punkt im Kampf um die Europa League angewiesen ist, drücke ich einen Tick mehr für Hamburg die Daumen.

In einem Abendblatt-Interview haben Sie vorausgesagt, dass die Bayern die beste Saison aller Zeiten spielen könnten. Fühlen Sie sich bestätigt?

Zé Roberto: Klar. Wissen Sie, was mich damals schon so sicher machte?

Sie werden es uns verraten.

Zé Roberto: Dass Dortmund zwei Jahre in Folge Meister wurde, konnten die Münchner nicht auf sich sitzen lassen. Zudem musste der Verein mit dem Spott leben, mit drei zweiten Plätzen auf den Spuren von Bayer Vizekusen zu wandeln. Ich kann mich ja selbst noch gut erinnern, wie hart so ein dreifacher Vizetitel sein kann, ich war ja damals in Leverkusen dabei. Für Bayern ist so etwas aber noch schlimmer. Deswegen war klar, dass diese Saison für den Verein eine Frage der Ehre sein würde. Bayern ist richtig hungrig auf Titel.

Wäre es für Bayern eine erfolgreiche Saison, wenn der Club eine Meisterschaft der Rekorde feiert, aber wieder nicht die Champions League gewinnt?

Zé Roberto: Es wäre eine gute, aber keine perfekte Saison. Jeder weiß, dass die Bayern seit 2001 unbedingt die Champions League mal wieder gewinnen wollen. Und außer Barcelona sehe ich keine Mannschaft, die in dieser Saison bessere Chancen hat. Auch wenn es die Bayern nicht gerne hören, aber Barcelona ist noch immer einen Tick besser.

Die Bayern spielen in dieser Saison wie befreit auf. Ist es wirklich so einfach, in München mit dem Druck umzugehen?

Zé Roberto: Nein, einfach ist es nicht. Man muss das lernen. Für Bayern ist ein Unentschieden ja schon wie eine Niederlage, die ganze Woche wird dann ungemütlich. Als ich damals aus Leverkusen nach München kam, musste ich mit diesem Druck erst mal klarkommen. Aber wer die Philosophie des Vereins verinnerlicht, der kann bei Bayern Karriere machen. Ich habe sechs Jahre in München gespielt und acht Titel gewonnen. Nur darum geht es bei den Bayern: Titel zu gewinnen.

Wie läuft der Tag in München nach einer Niederlage in einem wichtigem Spiel?

Zé Roberto: Ach, im Detail weiß ich das gar nicht mehr so genau. Wobei ich mich sehr wohl an meine erste Saison bei den Bayern erinnern kann. Uli Hoeneß hatte im Sommer auf dem Transfermarkt so richtig zugeschlagen. Michael Ballack und ich kamen aus Leverkusen, Sebastian Deisler wurde von Hertha verpflichtet. Als wir dann aber in der Gruppenphase der Champions League sang- und klanglos ausgeschieden waren, hat er von uns eine deutliche Reaktion in der Meisterschaft gefordert. Am Ende wurden wir Meister mit 16 Punkten Vorsprung und holten auch noch den DFB-Pokal. Der Druck nach dem Aus in der Champions League war allerdings gewaltig.

Wie war das, als Uli Hoeneß nach einer schlimmen Niederlage mit hochrotem Kopf in die Kabine gestürmt ist?

Zé Roberto: Das passierte tatsächlich mal, aber wirklich unangenehm wurde es für uns nur, wenn er die ganze Mannschaft zu einer überlegten Standpauke einbestellte. Er hatte dann jedes Wort vorher genau durchdacht. Hoeneß ist eine Respektsperson, dessen Worte großes Gewicht haben. Er ist aber auch sehr ehrlich und immer fair.

Bevor Sie zum HSV gekommen sind, haben Sie auf einen Zweijahresvertrag gehofft, die Bayern hatten Ihnen aber nur einen Einjahresvertrag angeboten. Können Sie Hoeneß heute verstehen?

Zé Roberto: Klar. Es ist nun mal die Philosophie des Clubs, dass Spielern, die älter als 31 Jahre sind, normalerweise kein langfristiger Vertrag mehr angeboten wird. Für mich hatten sie ja schon mal eine Ausnahme gemacht. 2006, da war ich 32 Jahre alt, wollte ich einen Zweijahresvertrag haben, Hoeneß mir aber nur einen Einjahresvertrag geben. Ich bin dann nach Santos gegangen und habe in Brasilien gezeigt, dass ich noch immer Qualität habe. Das haben dann auch die Bayern registriert. Nach zehn Monaten bei Santos habe ich schließlich doch einen Zweijahresvertrag in München bekommen. Als der auslief, war ich bereits 35 Jahre alt. Da sollte ich dann wirklich nur noch einen Einjahresvertrag bekommen. Ich bin dann für zwei Jahre zum HSV gegangenen. Und die Zeit will ich keinesfalls missen.

Haben Sie beim HSV, der natürlich andere Ziele als der FCB hat, einen anderen Leistungsdruck als in München gespürt?

Zé Roberto: Druck gibt es überall im Profifußball, aber in Hamburg war das natürlich anders. Der HSV hatte nie die Philosophie, mit Millionen-Investitionen die Bayern anzugreifen. Natürlich wollten auch die HSV-Verantwortlichen immer Erfolg haben, aber ein Unentschieden war kein Weltuntergang.

In Hamburg weigert man sich diese Saison sogar, öffentlich die Europa League als Ziel zu formulieren. Ist dieses Anspruchsdenken der Unterschied?

Zé Roberto: Für die Bayern gibt es immer nur ein Ziel: Titel. Der HSV wäre dagegen wohl schon mit Platz sechs zufrieden. In Hamburg muss man den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit schaffen.

Können Sie versuchen, die unterschiedliche Stimmung in den Kabinen beim HSV und bei Bayern zu beschreiben?

Zé Roberto: Der Konkurrenzkampf ist in München viel größer. Niemand kann es wagen, sich mal einen schwachen Trainingstag zu erlauben. Sofort wäre ein Nationalspieler da, der einem den Stammplatz streitig macht. Dieses Gefühl spürt man dann auch in der Kabine. Diesen extrem harten Konkurrenzkampf gibt es in dieser Form beim HSV nicht. Die Stimmung ist vielleicht etwas lockerer, nicht ganz so verbissen.

Zu Ihrer HSV-Zeit hatte der Verein viele Führungsspieler wie Frank Rost, Ruud van Nistelrooy, Mladen Petric, Joris Mathijsen oder David Jarolim. Fehlt dem HSV trotz Rafael van der Vaart und René Adler in dieser Saison Erfahrung?

Zé Roberto: Adler und van der Vaart sind schon mal ganz wichtige Führungsspieler, aber insgesamt scheint mir die HSV-Mannschaft noch ein wenig zu unerfahren. Das merkt man dann auch auf dem Feld, wo in dieser Saison die Konstanz fehlt. Es gibt viele Talente im Team, aber zu wenige Persönlichkeiten.

Sind Sie überrascht, dass der HSV trotzdem nur einen Punkt Rückstand auf einen Champions-League-Platz hat?

Zé Roberto: Ich wäre zumindest nicht überrascht, wenn der HSV einen Platz für die Europa League schaffen würde. Hamburg hat eine gute Mannschaft, hat sich im Sommer noch mal qualitativ verstärkt, und vor allem hat der HSV einen sehr guten Trainer.

Aber dieser gute Trainer, Ihr ehemaliger Mitspieler Thorsten Fink, tut sich weiter schwer damit, einen internationalen Startplatz als Ziel auszugeben. Fehlt da nicht diese Mir-san-mir-Mentalität?

Zé Roberto: Die fehlt in Hamburg tatsächlich. Aber das kann ein Trainer allein nicht ändern. Jeder Verein hat eine eigene Philosophie. Und die Bayern haben nun mal das Sieger-Gen, das andere gerne hätten. Es liegt aber auch an den Spielern selbst, ob sie sich hohe Ziele setzen oder eben nicht.

Fehlt dem HSV eine Figur wie Uli Hoeneß, die für den bedingungslosen Erfolg steht?

Zé Roberto: Man kann in Hamburg nicht einfach das bayerische Modell kopieren. Der Verein braucht seine eigene Philosophie, um langfristig Erfolg zu haben. Ich habe aber das Gefühl, dass der Club schon auf einem ganz guten Weg ist. Spieler wie René Adler oder Rafael van der Vaart leben doch auch eine Siegermentalität vor.